Rechts und Links. Йозеф Рот

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Название Rechts und Links
Автор произведения Йозеф Рот
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750207370



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die unter ihren Gästen kursierten, mit den Worten begannen: »Ein Jude saß einmal in der Eisenbahn ...«, fühlte sich Frau Bernheim auch verletzt, und sie geriet, sobald jemand Anstalten machte, eine kleine Geschichte zu erzählen, in ein trübes und verwirrtes Schweigen – aus Furcht, es könnte die Rede auf einen Juden kommen. Von seinen Geschäften mit den Gästen zu sprechen hielt Herr Bernheim für unpassend. Sie wieder hielten es für überflüssig, ihm von der Landwirtschaft, dem Militär, den Pferden zu berichten. Manchmal spielte Bertha, die einzige Tochter des Hauses und eine gute Partie, Chopin auf dem Klavier, mit der üblichen Virtuosität eines besser erzogenen Fräuleins. Manchmal tanzte man im Hause Bernheim. Eine Stunde nach Mitternacht gingen die Gäste nach Hause. Hinter den Fenstern die Lichter erloschen. Alles schlief. Nur der Wächter, der Hund und die Zwerge im Garten blieben wach.

      Paul Bernheim ging, wie es in Häusern mit guten Kinderstuben üblich war, um neun Uhr abends schlafen. Mit seinem jüngeren Bruder Theodor teilte er das Zimmer. Paul blieb länger wach, er schlief erst ein, als es im ganzen Hause still geworden war. Er war ein empfindsamer Junge. Man nannte ihn »ein nervöses Kind« und schloß aus seiner Sensibilität auf seine besondere Begabung.

      Diese zu zeigen, bemühte er sich in jungen Jahren. Als der Haupttreffer zu den Bernheims kam, war Paul, der Zwölfjährige, mit dem Verstand eines Achtzehnjährigen ausgestattet. Die rapide Verwandlung des gutbürgerlichen Hauses in ein reiches mit feudalen Aspirationen erhöhte seinen natürlichen Ehrgeiz. Er wußte, daß Reichtum und gesellschaftliche Geltung des Vaters den Sohn zu einer mächtigen »Position« führen können. Er ahmte den Hochmut seines Vaters nach. Er forderte Kollegen und Lehrer heraus. Er hatte weiche Hüften, langsame Bewegungen, einen vollen, roten, halboffenen Mund und weiße, kleine Zähne, eine grünlich schimmernde Haut, helle und leere Augen, beschattet von langen, tiefschwarzen Wimpern und lange, aufreizende, sanfte Haare. Lässig, zerstreut, lächelnd saß er in der Bank. Seine Haltung verriet den ständig wachen Gedanken: Mein Vater kann die ganze Schule kaufen. Ohnmächtig und klein standen die andern da, der Übermacht der Schule ausgeliefert. Er allein setzte ihr die Macht seines Vaters entgegen, seines Zimmers, seines angelsächsischen Frühstücks, des Ham-and-Eggs mit ausgelöffelten Orangen, seines Hauslehrers, dessen Nachhilfestunden er jeden Nachmittag zugleich mit Schokolade und Keks einnahm, seines Weinkellers, seines Wagens, seines Gartens und seiner Zwerge. Er roch nach Milch, Wärme, Seife, Bädern, Zimmergymnastik, Hausarzt und Dienstmädchen. Es schien, daß die Schule und ihre Aufgaben nur einen unwichtigen Teil seines Tages einnahmen. Mit einem Fuß stand er schon in der Welt. Das Echo ihrer Stimmen im Ohr, saß er wie ein Gast in der Klasse. Er war kein ganzer Kamerad. Manchmal holte ihn sein Vater ab. Im Wagen und eine Stunde vor Schulschluß. Am nächsten Tag brachte Paul ein Zeugnis vom Hausarzt.

      Dennoch sah es manchmal so aus, als sehnte er sich nach einem Freund. Aber er fand keinen Weg. Immer stand sein Reichtum zwischen ihm und den andern. »Komm heut nachmittag zu mir, wenn mein Hauslehrer da ist – und er macht uns beiden die Arbeit«, konnte er manchmal sagen. Aber nur selten kam einer. Er hatte »mein Hauslehrer« betont.

      Er lernte leicht und erriet vieles. Er las fleißig. Sein Vater hatte ihm eine Bibliothek eingerichtet. Er sagte manchmal, wenn es überflüssig war: »Die Bibliothek meines Sohnes!«, oder zum Dienstmädchen: »Anna, gehen Sie in die Bibliothek meines Sohnes!« – obwohl es im Haus keine andere gab. Eines Tages versuchte Paul, seinen Vater nach einer Photographie zu zeichnen. »Mein Sohn hat ein frappierendes Talent«, sagte der alte Bernheim – und er kaufte Skizzierbücher, Farbenstifte, Leinewände, Pinsel und Öl, nahm einen Zeichenlehrer auf und begann, einen Teil des Dachbodens in ein Atelier umzubauen.

      Zweimal in der Woche, am Vorabend, von fünf bis sieben, übte Paul mit seiner Schwester auf dem Klavier. Man hörte sie vierhändig spielen – immer wieder Tschaikowsky –, wenn man am Haus vorbeiging. Manchmal sagte ihm einer am nächsten Tag: »Ich habe dich gestern vierhändig spielen gehört!« »Ja, mit meiner Schwester! Sie spielt noch viel besser als ich.« Und alle ärgerten sich über das kleine Wörtchen »noch«.

      Die Eltern nahmen ihn in Konzerte mit. Er summte dann Melodien, nannte Werke, Komponisten, Konzertsäle und die Dirigenten, die er nachzuahmen liebte. In den Sommerferien fuhr er in die weite Welt – damit er »nichts verlerne«, mit einem Hofmeister. Er fuhr in Berge, über Meere, an wildfremde Küsten, kam schweigsam und stolz zurück und begnügte sich mit hochmütigen Andeutungen, als setzte er die Kenntnis der Welt bei allen anderen voraus. Er hatte Erfahrungen. Alles, was er las und hörte, hatte er schon gesehen. Nützliche Assoziationen schuf sein flinkes Gehirn. Aus »seiner Bibliothek« bezog er überflüssige Details, mit denen er blendete. Sein Zettel mit »Privatlektüre« war der ausführlichste. Seine Lässigkeit wurde ihm »nachgesehen«. Sie warf keinen Schatten auf sein »sittliches Betragen«. Es wurde angenommen, daß ein Haus wie das Bernheimsche eine genügende Gewähr für gute Sitte böte. Widerspenstige Lehrer zähmte der Vater Pauls durch Einladungen zu einem »bescheidenen Abendessen«. Eingeschüchtert durch den Anblick des Parketts, der Bilder, des Dienstpersonals und der hübschen Tochter kehrten sie zurück in ihre kargen Behausungen.

      Die Mädchen konnten Paul Bernheim keineswegs einschüchtern. Er wurde mit der Zeit ein flotter Tänzer, ein angenehmer Plauderer, ein wohldressierter Sportsmann. Im Laufe der Monate und Jahre wechselten seine Neigungen und seine Talente. Ein halbes Jahr galt seine Leidenschaft der Musik, einen Monat dem Fechten, ein Jahr dem Zeichnen, ein Jahr der Literatur und schließlich der jungen Frau eines Bezirksrichters, deren Bedarf an Jünglingen in dieser nur mittelgroßen Stadt kaum gedeckt werden konnte. In der Liebe zu ihr vereinigte er alle seine Talente und Leidenschaften. Für sie malte er Landschaften und weiße Kühe, für sie focht er, komponierte er, dichtete er Lieder über die Natur. Schließlich wandte sie sich einem Fähnrich zu, und Paul versenkte sich, um »sie zu vergessen«, in die Kunstgeschichte. Ihr beschloß er nun sein Leben zu widmen. Er konnte bald keinen Menschen sehn, keine Straße, kein Stückchen Feld, ohne einen berühmten Maler und ein bekanntes Bild zu zitieren. In der Unfähigkeit, etwas unmittelbar aufzunehmen und einfach zu bezeichnen, übertraf er schon in jungen Jahren alle Kunsthistoriker von Rang.

      Aber auch diese Leidenschaft erlosch. Sie machte einem gesellschaftlichen Ehrgeiz Platz. Sie hatte vielleicht nur zu diesem übergeleitet. Sie war die Hilfswissenschaft einer gesellschaftlichen Karriere. Einen gewissen selig naiven, charmanten und fragenden Augenaufschlag mochte Paul Bernheim ganz bestimmten Heiligenbildern abgeschaut haben. Es war ein Blick, der halb den Menschen traf und ein wenig den Himmel streifte. Die Augen Pauls schienen das Licht des Himmels durch ihre langen Wimpern zu filtrieren.

      Mit derlei Reizen ausgestattet, mit einem an der Kunst und ihren Kommentaren geschulten Geschmack stürzte er sich in das gesellige Leben der Stadt, das in der Hauptsache aus den Bemühungen der Mütter bestand, ihre heranwachsenden Töchter zu verheiraten. In allen Häusern, in denen Mädchen lebten, war Paul gerne gesehen. Er konnte jeden Ton anstimmen, der gerade verlangt wurde. Er glich einem Musikanten, der alle Instrumente des Orchesters beherrscht und der es versteht, mit Anmut falsch zu spielen. Eine Stunde lang konnte er gescheite (erdachte und erlesene) Dinge sagen. Eine Stunde später zeigte er einen warmen, lächelnden Plaudereifer, trug er zum zehntenmal eine platte Anekdote vor, stattete sie immer wieder mit einem neuen Zug aus, liebkoste er mit der Zunge einen banalen Aphorismus, hielt ihn noch eine Weile zwischen den Zähnen, schmeckte ihn mit den Lippen nach, brachte er mit leichtem Gewissen Witze vor, die andern gelungen waren, machte er sich schamlos lustig über abwesende Altersgenossen. Und die Mädchen kicherten, ein nacktes Kichern, sie entblößten nur ihre Zähne, aber es war, als enthüllten sie ihre jungen Brüste, sie schlugen nur die Hände zusammen, aber es war, als spreizten sie die Beine, sie zeigten ihm Bücher, Bilder und Notenhefte, aber es war, als schlügen sie ihre Betten auf, sie richteten sich das Haar, aber es war, als lösten sie es. Um jene Zeit fing Paul an, ins Bordell zu gehn, zweimal in der Woche, mit der Regelmäßigkeit eines alternden Beamten, um dann von der Köstlichkeit erfundener Mädchenkörper zu erzählen, die er natürlich mit berühmten Bildern verglich. Er berichtete Geheimnisse von der und jener Haustochter und beschrieb Brüste, die er gesehen und gefühlt haben wollte.

      Immer noch malte, zeichnete, komponierte und dichtete er. Als seine Schwester sich verlobte – mit einem Rittmeister übrigens, – machte er ein längeres Gelegenheitsgedicht, vertonte, spielte und sang es. Später – weil