Die Seele des Ruhrgebiets wäre dann weg. Thomas Hölscher

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Название Die Seele des Ruhrgebiets wäre dann weg
Автор произведения Thomas Hölscher
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783750218901



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wie man aktiv Einfluss nehmen könnte. Das ist übrigens auch immer eine Frage der Zeit: Bei uns im Bergbau wird rund um die Uhr gearbeitet; wann bekommt man also mal alle Leute zusammen, um derartige Fragen zu diskutieren? Und dann darf man nicht außer acht lassen, dass die Gesellschaft sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt hat. Heutzutage ist jeder so stark mit sich selber, mit seinen eigenen Problemen beschäftigt, dass viele Leute kaum noch die Zeit finden, über die eigentlich wichtigen Dinge zu reden.

      - Bis jetzt konnte der Abbau der Belegschaft im Bergbau immer sozial abgefedert werden. Wird das in Zukunft noch so möglich sein?

      Nein. Der Bergbau ist damals ja ziemlich ungeordnet in die Krise gegangen. Um dies zu ordnen, ist für den Bereich der Ruhr vor rund 25 Jahren die Ruhrkohle gegründet worden, in die viele Altgesellschaften einen skelettierten Bergbau eingebracht haben. D. h. was in den Altgesellschaften gewinnträchtig war, ist im Regelfall nicht in die Ruhrkohle eingegangen. Und doch hat es die Ruhrkohle von 1969 bis heute geschafft, die gesamten Anpassungsmaßnahmen, Reduzierung der Förderung und der Belegschaft, für die betroffenen Menschen sozial verträglich zu gestalten. Betriebsbedingte Kündigungen hat es noch nie gegeben. Nun ist der Bergbau allerdings an seine Grenzen gekommen. Selbst wenn man heute weitere Maßnahmen wie die Anpassung, also die Frührente, ergreifen wollte, dann wäre das schon wegen des Durchschnittalters der Belegschaft gar nicht mehr möglich. Die Belegschaft ist in den vergangenen Jahren immer jünger geworden. Der letzte Tarifabschluss hat dann wegen der dramatischen Situation schon erhebliche Einkommenseinbußen für die Belegschaft gebracht, damit über mehr Freizeit alle in Beschäftigung bleiben können. Man sieht heute ganz deutlich, dass wir an Grenzen gekommen sind und dass die Sozialverträglichkeit ein Ende hat.

      - Würden Sie heute noch einem jungen Menschen empfehlen, im Bergbau anzufangen?

      Das kommt darauf an, für welchen Bereich sich die Leute entscheiden. Für die handwerklichen Berufe würde ich eine Ausbildung auf der Zeche immer empfehlen, einfach weil diese Ausbildung hervorragend ist. Bezogen auf den rein bergmännischen Bereich hätte ich allerdings Probleme, heute noch Empfehlungen auszusprechen. Einfach weil die Politik nicht verlässlich ist. Mein eigener Sohn ist bereits seit 14 Jahren unter Tage tätig, er fühlt sich dort wohl, kann eigenständig und kreativ arbeiten und möchte eigentlich auch im Bergbau bleiben. Ich habe ihm auch noch nie gesagt, dass es Zeit wäre, den Bergbau zu verlassen. Vor allem weil ich den Glauben an die Zuverlässigkeit der Politik noch nicht ganz verloren habe und weiß, dass wir alle vier bzw. fünf Jahre zur Wahl gehen. Es gibt unter den Politikern nämlich auch noch Leute mit Phantasie, die gestalten können und den Menschen bei ihren Überlegungen noch an vorderster Stelle sehen, Leute die vor allem wissen, dass es in jeder Beziehung besser ist, in Arbeit zu investieren als Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Um es auf den Punkt zu bringen: Ich sehe doch immer noch den Silberstreif am Horizont, auch wenn es manchmal über einen längeren Zeitraum ganz schön dunkel aussieht.

      4. Ich würde sofort eine Umschulung machen

      Anonym, 64 Jahre, Steiger i.R.

      Ich war mit Leib und Seele Bergmann; aber wenn ich heute noch einmal wählen müsste, würde ich im Bergbau nicht mehr anfangen.

      Ich werde in diesem Jahr 64; 1948 habe ich mit 16 Jahren im Bergbau angefangen. Allerdings nicht hier, sondern in der ehemaligen DDR. Und auch eher der Not gehorchend als dem eigenen Triebe. Wir kommen ursprünglich aus Schlesien und sind nach dem Krieg in Mitteldeutschland hängen geblieben. Ich bin damals zum Gymnasium gegangen und war mehr oder weniger Miternährer unserer Familie. Mein Vater war sehr früh während des Krieges verstorben, und ich hatte noch drei jüngere Schwestern. Schließlich ließ sich das alles nicht mehr miteinander vereinbaren; ich bin nachts losgezogen, habe Kohlen geklaut, Kartoffeln geklaut, und vormittags bin ich in der Schule eingeschlafen. Ich bin nach der Mittleren Reife von der Schule gegangen und habe im Bergbau angefangen, weil man drüben - ähnlich wie hier über den zweiten Bildungsweg - ein Praktikum von drei Jahren machen und dann in Freiberg oder Mansfeld Bergbau studieren konnte. Angefangen habe ich in Staßfurt im Salzbergwerk, Steinsalz und Kali. In den drei Jahren des Praktikums musste man damals alle Sparten des Bergbaus durchlaufen; das gab es damals drüben ja noch, Kupfer-, Schiefer-, Steinkohlenbergbau. Ende der 50er Jahre ist das dort allerdings alles kaputt gegangen. Schließlich habe ich versucht, hier im Westen im Steinkohlenbergbau ein mir noch fehlendes Praktikum zu absolvieren, von dem ich hoffte, dass es dann auch drüben anerkannt würde. Ich hatte drüben einen guten Freund, der war Bergrat in Staßfurt am dortigen Bergamt; dessen Freund wiederum war hier Werkchef auf "Bismarck". Mit dem habe ich mich dann in Verbindung gesetzt und habe auch die Zusage bekommen, falls das Durchgangslager in Bochum-Hiltrop zustimme, könne ich im Ruhrbergbau anfangen. Also habe ich meinen Urlaub eingereicht, um mir hier vor Ort alles einmal anzusehen. Und als ich zu meinem Fahrsteiger kam, sagte der nur: Sie tragen sich doch mit Fluchtgedanken. Sie wollen doch nur in den Westen rüber. Die hatten also meine Post abgefangen. Das war übrigens Anfang 1948. Ich muss noch hinzufügen, dass die Betriebsräte auf der Schachtanlage in Staßfurt so rot waren, wie es roter nicht ging; und bei denen kam ich ohnehin nie auf den grünen Zweig. Ganz offensichtlich hatten die mich schon auf ihrer Liste vorgemerkt, und bei der kleinsten Kleinigkeit sollte ich dann dran sein. Ich wusste das von einem guten Bekannten, der ebenfalls im Betriebsrat saß und mir immer mitteilte, was dort hinter meinem Rücken gegen mich lief.

      Im Juli 1948, kurz nach der Währungsreform, wurden in Aue, im Uranbergbau, Bergleute gebraucht. Ich kam zur Zeche, hatte Mittagsschicht, musste zum Betriebsführer, und der sagte mir: Melden Sie sich mal beim Fahrsteiger, der hat für Sie eine Mitteilung! Dann bekam ich einen Zettel, Sie haben für zwei Tage Marschverpflegung und Decken mitzubringen; morgen früh um sechs Uhr melden Sie sich hier auf dem Zechengelände und werden von dort mit dem Lkw nach Aue gebracht. Dort können Sie ja dann Ihr Praktikum beenden. Das Praktikum war natürlich nur das offizielle Mäntelchen, um mich dort hinzuschicken. Aue stand damals schon in einem sehr schlechten Ruf. Der Uranbergbau wurde dort mit geradezu mittelalterlichen Mitteln betrieben. Auf die Gesundheit der Menschen wurde nicht die geringste Rücksicht genommen. An dem Abend bin ich dann nach Hause gekommen, habe zu meiner Mutter gesagt: für mich ist die Zeit hier abgelaufen, habe meinen Rucksack genommen und bin mit dem letzten Zug aus Staßfurt rausgefahren in Richtung Westen, so weit wie ich kam. Bei Nacht und Nebel bin ich dann die letzten 20 Kilometer bis zur Grenze gelaufen; auf DDR-Seite gab es ja diese sog. Sperrzone an der Grenze, die man überhaupt nur mit Sonderausweisen betreten durfte. Ich bin bis kurz vor die Grenze bei Helmstedt gekommen; noch auf östlicher Seite hatte ich einen guten Bekannten wohnen, der im Westen im Braunkohletagebau arbeitete. Das war damals noch möglich; die Arbeiter pendelten jeden Tag über die Grenze. Diesem Bekannten habe ich mich anvertraut und habe dort noch einige Stunden schlafen können. Er meinte, du nimmst morgen früh mein Fahrrad, meinen Rucksack, ziehst meine Kleidung an, und dann fährst du einfach rüber. Ich weiß es noch ganz genau, es war ein schreckliches Wetter, regnerisch, für die Jahreszeit viel zu kühl, und als ich an die Grenze kam, dachte ich, mein Herz bleibe jeden Augenblick stehen. Dann war aber doch alles ganz einfach, die Vopos spielten Skat, und ich war drüben. Hinter der Grenze habe ich mir erstmal eine Zigarette angesteckt, und dann war das ein Gefühl wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten an einem Tag.

      In Helmstedt wohnte wieder ein guter Bekannter von mir aus Schlesien, der auch im Braunkohlebergbau arbeitet. Der hat mir 20 Mark gegeben, und das war 1948 natürlich viel Geld. 18 Mark kostete dann die Fahrkarte nach Gelsenkirchen, zwei Mark blieben mir, um noch ein paar Briefe zu schreiben - das Porto betrug damals 20 Pfennig. Nachdem ich mich in Gelsenkirchen auf der Zeche "Bismarck" gemeldet hatte, bin ich schließlich mit 20 Pfennig in der Tasche im Durchgangslager Bochum-Hiltrop eingetroffen. Ich hatte die Zusicherung, auf "Bismarck" anfangen zu können, aber durch dieses Lager musste ich dennoch.

      Am 2.August 1948 habe ich dann tatsächlich auf "Bismarck" angefangen zu arbeiten, hier in Erle auf der alten Schachtanlage. Gewohnt habe ich zwei Jahre lang im Lager am Forsthaus, wo heute der Fußballplatz von Erle 08 liegt. Dann bin ich auf die Suche gegangen nach einem Kosthaus und habe das in Erle auf der Waldstraße auch gefunden. Dort habe ich neun Jahre mit einem Kollegen zusammen gewohnt und war dort wirklich wie bei Muttern untergebracht. Bis 1956 habe ich dann auf der Schachtanlage hinter dem Kanal an der Uechtingstraße gearbeitet,