Die Seele des Ruhrgebiets wäre dann weg. Thomas Hölscher

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Название Die Seele des Ruhrgebiets wäre dann weg
Автор произведения Thomas Hölscher
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783750218901



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zwei Prozent des gesamten Primärenergieaufkommens, und man schätzt vorsichtig ein, dass dieser Anteil sich auf vielleicht fünf oder sechs Prozent bis zum Jahr 2010 oder 2020 steigern lassen wird. Und wenn man sich nun noch vorstellt, dass die Kernkraftwerke in absehbarer Zeit außer Betrieb genommen werden müssten, dann braucht man auch für diesen Bereich Ersatz durch andere Energien. Allein aufgrund der Situation anderer Energiearten sehe ich eine reelle Chance für unsere Kohle.

      - Wer trägt nach Ihrem Dafürhalten die Schuld an der augenblicklichen Krise des Bergbaus?

      Wenn ich davon ausgehe, dass Politik auch gestalterisch tätig sein kann, dann ist die Verantwortung für die augenblickliche Krise in sehr starkem Maß bei der Politik zu suchen. Ich gewinne allerdings immer mehr den Eindruck, dass die Politik bei uns von der Industrie bestimmt wird. Oder noch deutlicher gesagt: Händler bestimmen heute unsere Politik. Und damit ist eine solche Situation, in der wir uns befinden, nicht verwunderlich. Das hat übrigens gar nichts mit der deutschen Einheit zu tun, und es ist auch Unsinn, wenn immer wieder gesagt wird, es sei kein Geld mehr vorhanden, wir müssen umdenken. Geld ist in diesem Land in Masse vorhanden, es müsste nur anders verteilt werden. Zumindest auf Zeit müsste die Politik nun einfach den Mut haben, finanzielle Mittel so umzuverteilen, dass es den Menschen hier hilft. Dass man vor allem nicht länger mit der Angst der Menschen vor der Arbeitslosigkeit spielen kann, wie man das im Augenblick tut. Denn was daraus resultiert, spüren wir ja nun in immer stärkerem Maße: Gewalt und Kriminalität nehmen in erschreckendem Maße zu.

      - Konkret bedeutet das doch: die Kohle muss Ihrer Meinung nach auch in Zukunft subventioniert werden?

      Ja natürlich, subventioniert werden muss immer, wobei diese Subventionen aber näher zu beschreiben sind. Sind es direkte Steuern, oder sind es indirekte Steuern?, wenn man das einmal so bezeichnen will. Der sog. Kohlepfennig ist ja eine Gesetzesvorgabe, die jeden Stromverbraucher trifft. Unsere Subventionen werden also nicht von den direkten Steuern genommen. Richtig ist natürlich, dass unsere Kohle heute mehr als dreimal so teuer ist wie die Kohle, die auf dem Weltmarkt zu beziehen ist. Aber diesen Vergleich kann man so nicht einfach stehen lassen, darüber muss man diskutieren. Nur die Preise zu vergleichen, ist ein großer Fehler. Wenn ich nur einmal unsere Normen zum Arbeitsschutz, zur Sicherheit betrachte, dann frage ich mich, ob diese Normen, die ja mit großen Kosten verbunden sind, auch anderswo gelten. Ferner wäre zu denken an viele soziale Komponenten, die für die Bergleute hier selbstverständlich sind. Das Vergleichen des Preises allein ist eine große Ungerechtigkeit, solange eben diese anderen Dinge außer acht gelassen werden. Man denke nur daran, dass in Kolumbien die Kinderarbeit im Bergbau an der Tagesordnung ist. Und da macht ja auch keiner einen Hehl draus, das wissen alle, auch die, die bei uns politisch die Verantwortung tragen. In dem Alter, in dem wir erst den Höhepunkt unserer Schaffenskraft erreichen, sind die Menschen in Kolumbien schon verbraucht. Aber um einen möglichst niedrigen Kohlepreis zu haben, nimmt man so etwas hin. Genauso nimmt man hin, dass internationale Arbeitsnormen, Sicherheitsvorschriften, Arbeitszeitbegrenzungen und alles, was in den sozialen Bereich hineingehört, in keiner Weise eingehalten wird; man blicke nur nach Südafrika oder China. Es herrschen unglaubliche Zustände für die Arbeitnehmer in diesen Ländern, die aber gar nicht erst in unser Blickfeld geraten, wenn wir ausschließlich den Weltmarktpreis zum Kriterium nehmen. Ferner muss man noch berücksichtigen, unter welchen Bedingungen abgebaut wird. In Australien z.B. wird Steinkohle fast ausschließlich im Tagebau abgebaut, d. h. man nimmt dort nur die verkaufsfähigen Produkte aus den riesigen Kohleflözen und hinterlässt eine Landschaft, die den Braunkohlegebieten in der ehemaligen DDR entspricht. Dort sprach man ja völlig zu Recht von Mondlandschaften. Der Raubbau an der Natur wie in Australien ist eine Katastrophe, die hier schon aufgrund sehr strenger und damit wieder kostensteigernder Umweltschutzbestimmungen gar nicht möglich wäre. Und auch dies müsste bei der Bestimmung eines ehrlichen Kohlepreises mit in Rechnung gestellt werden. Erst wenn man all diese Faktoren berücksichtigt, kann man einen fairen Preisvergleich anstellen. Und so etwas ist Aufgabe von Politik, nicht von Händlern, die den Weltmarkt beherrschen.

      Es sieht doch im Augenblick konkret so aus, dass allein die großen Industrienationen über Wohl und Wehe und Not und Elend auf dieser Welt entscheiden. Und alle Prognosen sagen eigentlich, dass trotz aller Zuwächse die Armut auf der Welt eben nicht abgeschafft wird. Die Länder der Dritten Welt werden Länder der Dritten Welt bleiben, die Zuwächse, die etwa im Energiebereich auf 50 bis 60 Prozent in den nächsten 20 Jahren geschätzt werden, verbraucht man anderswo. In den armen Ländern wird auch weiterhin nur Ausbeutung stattfinden, ihre Rohstoffe, ihre Arbeitskräfte werden billig benutzt werden. Ich bin davon überzeugt, dass es ein großer Irrtum ist, zu meinen, eine solche Ausbeutung armer Länder betreiben zu können, während man sich hier gänzlich dem Sektor "Dienstleistung" widmet. Das ist - neben allen moralischen Bedenken - schon deshalb ein Irrtum, weil auch wir die Menschen dafür nicht haben; denn dann müssten wir ein Volk von ausschließlich hochqualifizierten, studierten Menschen sein. Zur Welt kommen aber Gottseidank immer noch ganz normale Menschen. Wir brauchen also auch hier weiterhin industrielle Produktion, um all diese Menschen in Arbeit zu bringen. Oder aber wir nehmen in Kauf, dass ein Großteil der Bevölkerung einfach auf der Straße liegt. Erste Anzeichen für eine solche Entwicklung sind ja auch schon sichtbar; es wurde schon oft gesagt, die Armut werde hier zunehmen und ebenso der Reichtum in den Händen weniger. Hier wäre also wieder die Politik gefragt: Inwieweit kann sie steuern, inwieweit kann sie ausgleichen?

      - Wird durch den Abbau der industriellen Produktion bei uns nicht auch die Einflussmöglichkeit der Arbeitnehmervertreter immer geringer?

      Da ist leider etwas dran, das kann man auch nicht so einfach wegwischen. Wir haben doch eigentlich mit den Gewerkschaften, mit der Vernunft der Gewerkschaften, diesen Wohlstand erreicht. Dadurch dass diejenigen, die über das Kapital verfügen, immer mächtiger geworden sind und die internationale Verflechtung des Kapitals die Macht des Geldes heutzutage schon fast unendlich erscheinen lässt, ist der Druck auf die Beschäftigten und damit auf die Gewerkschaften immer stärker geworden. Bei uns ist durch die Vereinigung und das Wegbrechen des Marktes im gesamten Osten eine Situation entstanden, die das Kapital aus meiner Sicht schamlos ausnutzt. Die Daumenschrauben werden im Augenblick mit einer Brutalität angesetzt, die man vorher von Arbeitgeberseite in diesem Land nicht gekannt hat. Der Zerfall der Großindustrie geht in der Tat ganz eindeutig auf Kosten von Arbeitnehmerinteressen; denn in jedem kleinen oder mittleren Unternehmen ist die Abhängigkeit des einzelnen doch viel größer, es wird insgesamt mehr von der Hand in den Mund gelebt. Die Sicherheit, die die Großindustrie dem Arbeitnehmer trotz allem geben konnte, geht verloren. Diese Entwicklung verändert die Gesellschaft in eine Richtung, über die man sich Sorgen machen sollte. Vor allen Dingen ist unsere Zeit so schnelllebig, und noch bevor man überhaupt irgendetwas überbringen kann, ist man schon überrannt. Hier ist natürlich an die Verantwortung jedes einzelnen zu appellieren, auch wenn einige so etwas anscheinend schon nicht mehr hören können: Inwieweit kann jeder einzelne über die Parteien, über die Gewerkschaften an der Gestaltung dieses Staates mitwirken, um ihn nicht denen zu überlassen, die eigentlich mächtig genug sind, die Richtung einfach vorzugeben? Wenn diese Verantwortung nicht oder besser: nicht mehr wahrgenommen wird, sehe ich eine große Gefahr. Nicht nur vonseiten der Arbeitgeber; auch die Politik unternimmt in der letzten Zeit doch ständig den Versuch, in die Tarifautonomie einzugreifen.

      - Haben Sie in Ihrer Funktion als Betriebsrat in der augenblicklichen Situation eher Engagement oder ein Gefühl der Ohnmacht bei Ihren Kollegen bemerkt?

      Ohnmacht ist vielleicht nicht der richtige Begriff; aber das Gefühl der Abhängigkeit führt ab und zu in Diskussionen schon zu der Haltung: Da hilft ja doch nichts mehr, wir können nichts mehr daran ändern. Und dann ist da eben ein Faktor, der ganz wichtig ist: die Zeit. Man muss einfach Geduld haben. Etwas von einer Stunde auf die andere ändern wollen, das funktioniert nicht. Auch in ein paar Wochen sind Veränderungen nicht herbeizuführen, erst recht nicht, wenn man dies im Rahmen der legalen Möglichkeiten gestalten möchte. Es scheint mir so, dass ein Großteil derer, die in absoluter Abhängigkeit leben, diese Geduld inzwischen einfach nicht mehr haben und auch nicht mehr einsehen wollen, dass man nur mit Geduld weiterkommt. Und dann stellt sich natürlich schnell solch eine Haltung ein: Es hilft ja doch nichts, die anderen sind die Stärkeren. Das verspürt man schon, und zwar schon über einen sehr langen Zeitraum. Man stellt in Diskussionen aber auch immer wieder