Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen

Читать онлайн.
Название Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke
Автор произведения Hans Christian Andersen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783746750194



Скачать книгу

Findelkind mit den sprechenden Augen!« Und er küßte ihren rothen Mund, spielte mit ihrem langen Haare und legte sein Haupt an ihr Herz, so daß dieses von Menschenglück und einer unsterblichen Seele träumte.

      »Du fürchtest doch das Meer nicht, mein stummes Kind?« sagte er, als sie auf dem prächtigen Schiffe standen, welches ihn nach den Ländern des Nachbarkönigs führen sollte; er erzählte ihr vom Sturme und von der Windstille, von seltsamen Fischen in der Tiefe und von Dem, was die Taucher dort gesehen; und sie lächelte bei seiner Erzählung; sie wußte ja besser, als sonst Jemand, was auf dem Grunde des Meeres vorging.

      In der mondhellen Nacht, wenn Alle schliefen, bis auf den Steuermann, der am Steuerruder stand, saß sie am Bord des Schiffes und starrte durch das klare Wasser hinunter; sie glaubte ihres Vaters Schloß zu erblicken; hoch oben stand die Großmutter mit der Silberkrone auf dem Haupte und starrte durch die reißenden Ströme zu des Schiffes Kiel empor. Da kamen ihre Schwestern über das Wasser hervor und schauten sie traurig an und rangen ihre weißen Hände; sie winkte ihnen, lächelte und wollte erzählen, daß es ihr gut und glücklich ginge; aber der Schiffsjunge näherte sich ihr und die Schwestern tauchten unter, so daß er glaubte, das Weiße, was er gesehen, sei Schaum auf der See gewesen.

      Am nächsten Morgen segelte das Schiff in den Hafen von des Nachbarkönigs prächtiger Stadt, Alle Kirchenglocken läuteten, und von den hohen Thürmen wurden die Posaunen geblasen, während die Soldaten mit fliegenden Fahnen und blitzenden Bayonetten dastanden. Jeder Tag führte ein Fest mit sich. Bälle und Gesellschaften folgten einander: aber die Prinzessin war noch nicht da; sie werde, weit von hier entfernt, in einem heiligen Tempel erzogen, sagten sie; dort lerne sie alle königlichen Tugenden. Endlich traf sie ein.

      Die kleine Seejungfer war begierig, ihre Schönheit zu sehen, und sie mußte solche anerkennen: eine lieblichere Erscheinung hatte sie noch nie gesehen. Die Haut war fein und klar, und hinter den langen dunklen Augenwimpern lächelten ein paar schwarzblaue, treue Augen.

      »Du bist Die!« sagte der Prinz, »die mich gerettet hat, als ich, einer Leiche gleich, an der Küste lag!« Und er drückte seine erröthende Braut in seine Arme. »O, ich bin allzu glücklich!« sagte er zur kleinen Seejungfer. »Das Beste, was ich je hoffen durfte, ist mir in Erfüllung gegangen. Du wirst Dich über mein Glück freuen, denn Du meinst es am Besten mit mir von ihnen allen!« Und die kleine Seejungfer küßte seine Hand, und es kam ihr schon vor, als fühle sie ihr Herz brechen. Sein Hochzeitsmorgen würde ihr ja den Tod geben und sie in Schaum auf dem Meere verwandeln.

      Alle Kirchenglocken läuteten; die Herolde ritten in den Straßen umher und verkündeten die Verlobung. Auf allen Altären brannte duftendes Oel in köstlichen Silberlampen. Die Priester schwangen die Rauchfässer, und Braut und Bräutigam reichten einander die Hand und erhielten den Segen des Bischofs. Die kleine Seejungfer war in Seide und Gold gekleidet und hielt die Schleppe der Braut; aber ihre Ohren hörten die festliche Musik nicht, ihr Auge sah die heilige Ceremonie nicht; sie gedachte ihrer Todesnacht und alles Dessen, was sie in dieser Welt verloren hatte.

      Noch an demselben Abende gingen die Braut und der Bräutigam an Bord des Schiffes; die Kanonen donnerten, alle Flaggen wehten, und mitten auf dem Schiffe war ein köstliches Zelt von Gold und Purpur und mit den schönsten Kissen errichtet: da sollte das Brautpaar in der kühlen, stillen Nacht schlafen!

      Die Segel schwellten im Winde, und das Schiff glitt leicht und ohne große Bewegung über die klare See dahin.

      Als es dunkelte wurden bunte Lampen angezündet, und die Seeleute tanzten lustig auf dem Verdecke. Die kleine Seejungfer mußte ihres ersten Auftauchens aus dem Meere gedenken, wo sie dieselbe Pracht und Freude erblickt hatte; und sie wirbelte sich mit im Tanze, schwebte, wie die Schwalbe schwebt, wenn sie verfolgt wird; und Alle jubelten ihr Bewunderung zu: nie hatte sie so herrlich getanzt. Es schnitt ihr wie scharfe Messer in die zarten Füße, aber sie fühlte es nicht; es schnitt ihr noch schmerzlicher durch das Herz. Sie wußte, es sei der letzte Abend, an dem sie ihn erblickte, für den sie ihre Verwandten und ihre Heimath verlassen, ihre schöne Stimme dahingegeben und täglich unendliche Qualen ertragen hatte, ohne daß er es mit einem Gedanken ahnte. Es war die letzte Nacht, daß sie dieselbe Luft mit ihm einathmete, das tiefe Meer und den sternenhellen Himmel erblickte; eine ewige Nacht ohne Gedanken und Traum harrte ihrer, die keine Seele hatte, keine Seele gewinnen konnte. Und Alles war Freude und Heiterkeit auf dem Schiffe bis über Mitternacht hinaus; sie lachte und tanzte mit Todesgedanken im Herzen. Der Prinz küßte seine schöne Braut, und sie spielte mit seinem schwarzen Haare, und Arm in Arm gingen sie zur Ruhe in das prächtige Zelt.

      Es wurde still auf dem Schiffe, nur der Steuermann stand am Steuerruder, die kleine Seejungfer legte ihre weißen Arme auf den Schiffsbord und blickte gegen Osten nach der Morgenröthe; der erste Sonnenstrahl, wußte sie, würde sie tödten. Da sah sie ihre Schwestern der Fluch entsteigen; die waren bleich, wie sie; ihr langes schönes Haar wehte nicht mehr im Winde; es war abgeschnitten.

      »Wir haben es der Hexe gegeben um Dir Hilfe bringen zu können, damit Du diese Nacht nicht stirbst! Sie hat uns ein Messer gegeben, hier ist es! Siehst Du, wie scharf? Bevor die Sonne aufgeht, mußt Du es in das Herz des Prinzen stoßen, und wenn dann das warme Blut auf Deine Füße spritzt, so wachsen diese in einen Fischschwanz zusammen und Du wirst wieder eine Seejungfer, kannst zu uns herabsteigen und lebst Deine dreihundert Jahre, bevor Du zu todtem, salzigem Seeschaume wirst. Beeile Dich! Er oder Du mußt sterben, bevor die Sonne aufgeht! Unsere Großmutter trauert so, daß ihr weißes Haar, wie das unsrige, unter der Scheere der Hexe gefallen ist. Tödte den Prinzen und komm zurück! Beeile Dich! Siehst Du den rothen Streifen am Himmel? In wenigen Minuten steigt die Sonne auf, dann mußt Du sterben!« Und sie stießen einen tiefen Seufzer aus und versanken in den Wogen.

      Die kleine Seejungfer zog den Purpurteppich vom Zelte und sah die schöne Braut mit ihrem Haupte an des Prinzen Brust ruhen; und sie bog sich nieder, küßte ihn auf seine schöne Stirn, blickte gen Himmel, wo die Morgenröthe mehr und mehr leuchtete; betrachtete das scharfe Messer und heftete die Augen wieder auf den Prinzen, der im Traume seine Braut bei Namen nannte. Nur sie war in seinen Gedanken, und das Messer zitterte in der Hand der Seejungfer. – Aber da warf sie es weit hinaus in die Wogen; sie glänzten roth, wo es hinfiel; es sah aus, als keimten Blutstropfen aus dem Wasser auf. Noch einmal sah sie mit halbgebrochenen Blicken auf den Prinzen, stürzte sich vom Schiffe in das Meer hinab und fühlte, wie ihr Körper sich im Schaum auflöste.

      Nun stieg die Sonne aus dem Meere auf: die Strahlen fielen so mild und warm auf den kalten Meeresschaum und die kleine Seejungfer fühlte nichts vom Tode. Sie sah die helle Sonne, und über ihr schwebten Hunderte von durchsichtigen, herrlichen Geschöpfen, sie konnte durch dieselben des Schiffes weiße Segel und des Himmels rothe Wolken erblicken; die Sprache derselben war melodisch, aber so geisterhaft, daß kein menschliches Ohr sie vernehmen, ebenso wie kein irdisches Auge sie erblicken konnte, ohne Schwingen schwebten sie vermittelst ihrer eigenen Leichtigkeit durch die Luft. Die kleine Seejungfer sah, daß sie einen Körper hatte, wie diese, der sich mehr und mehr aus dem Schaume erhob.

      »Wo komme ich hin?« fragte sie, und ihre Stimme klang wie die der andern Wesen, so geisterhaft, daß keine irdische Musik sie wiederzugeben vermag.

      »Zu den Töchtern der Luft!« erwiderten die Andern. »Die Seejungfer hat keine unsterbliche Seele und kann sie nie erhalten, wenn sie nicht eines Menschen Liebe gewinnt; von einer fremden Macht hängt ihr ewiges Dasein ab. Die Töchter der Luft haben auch keine unsterbliche Seele, aber sie können durch gute Handlungen sich selbst eine schaffen. Wir fliegen nach den warmen Ländern, wo die schwüle Pestluft den Menschen tödtet; dort fächeln wir Kühlung. Wir breiten den Duft der Blumen durch die Luft aus und senden Erquickung und Heilung. Wenn wir dreihundert Jahre lang gestrebt haben, alles Gute, was wir vermögen, zu vollbringen, so erhalten wir eine unsterbliche Seele und nehmen Theil am ewigen Glücke der Menschen. Du arme, kleine Seejungfer hast mit ganzem Herzen nach demselben, wie wir, gestrebt; Du hast gelitten und geduldet, hast Dich zur Luftgeisterwelt erhoben und kannst nun Dir selbst durch gute Werke nach drei Jahrhunderten eine unsterbliche Seele schaffen.«

      Und die kleine Seejungfer erhob ihre verklärten Augen gegen Gottes Sonne, und zum ersten Male fühlte sie Thränen in ihren Augen, – Auf dem Schiffe war wieder Lärm und Leben; sie sah