Der blaurote Methusalem. Karl May

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Название Der blaurote Methusalem
Автор произведения Karl May
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783746750187



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keine Worte.«

      »Buchstaben hat der Chinese nicht, sondern Zeichen. Das erste Zeichen ist der fünfundachtzigste Schlüssel der chinesischen Schrift, besteht aus einer senkrechten Linie, zwei krummen, divergierenden Halbdiagonalen und zwei Quasten an denselben; es ist das Zeichen für Wasser. Das zweite Zeichen besteht aus –«

      »Um des Himmels willen, halten Sie ein!« rief Turnerstick, sich mit den Händen nach den Ohren langend. »Mir brummt der Kopf schon von diesem einen Zeichen. Wie viele solcher Zeichen hat denn eigentlich die chinesische Schrift?«

      »Wohl achtzigtausend.«

      »Alle guten Geister –! Da lobe ich mir unsre Schrift mit den wenigen Buchstaben!«

      »Aber Sie, der Sie so ausgezeichnet chinesisch sprechen, sollten wenigstens die zweihundertvierzehn Schlüssel dieser Sprache kennen lernen!«

      »Wozu der Schlüssel, wenn ich gar nicht hinein will in die Schrift! Meine Schlüssel sind die Endungen; mit ihrer Hilfe bin ich in die Tiefen der Sprache eingedrungen, die Schrift aber ist mir Leberwurst. Lassen wir das also sein, und steigen wir lieber zum Deck der Dschunke empor. Es wird sich wohl ein Marsgast finden lassen, welcher einem Rede und Antwort steht. Aber, Methusalem, ich bitte mir aus, daß Sie schweigen! Ich selbst will sprechen und die Erkundigung führen. Sie mit Ihrem Bücherchinesisch könnten leicht alles falsch verstehen.«

      Degenfeld nickte bescheiden und schickte sich an, voranzusteigen; aber der Kapitän faßte ihn hinten an dem blausamtnen Schnurenrock, zog ihn zurück und sagte: »Halt, Musenalmanach! Ich bin der Sprecher und muß also voran. Schauen Sie doch, wie Sie sich hinaufschmuggeln wollen, um mir zuvor zu kommen und das erste Wort zu haben! Ich heiße Tur-ning sti-king und mache meine Rechte als Mandarin geltend.«

      »Habe ja gar nichts dagegen, alter Seebär! Aber ich muß Sie warnen: Nennen Sie sich einem Chinesen gegenüber ja nicht Mandarin!«

      »Warum nicht? Denken Sie vielleicht, man erkenne den Esel unter der Löwenhaut, und ich werde wegen der Führung eines gestohlenen Titels bestraft?«

      »Ist auch möglich; aber ich meine nicht das, sondern etwas andres. Die Chinesen kennen das Wort Mandarin gar nicht.«

      »Nicht? Da sind sie dumm genug! Wenn wir es kennen, muß es ihnen doch erst recht geläufig sein!«

      »Eben nicht. Mandarin kommt her von dem Sanskritworte Mantri, ein weiser Ratgeber, ein Minister. Die Portugiesen hörten dieses Wort und machten es sich mundrechter, indem sie es in Mandarin umwandelten. Mit diesem Titel belegten sie dann die chinesischen Beamten. Die Chinesen aber wenden dieses ihnen ganz fremde Wort niemals an. Sie nennen ihre Beamten alle Kuan, welches Wort ein Dach bezeichnet, einen Ort, unter welchem viele beisammen sind. Um nun auszudrücken, wer diese Versammelten sind, setzen sie das Zeichen Fu dazu, welches Vater oder Greis bedeutet, einen erfahrenen, weisen Mann, welcher also zum Beamten geeignet ist. Kuan-fu bedeutet also eine Vielheit von klugen Leuten, von Beamten. Hier unterscheidet man nun wieder Zivil- und Militärbeamte. Die ersteren werden Wen-kuan genannt, litterarische Beamte, und die letzteren heißen Wu-kuan, tapfere Beamte. Sie dürfen sich also nie Mandarin nennen, auch nicht Kuan-fu im allgemeinen, sondern weil Sie ein Generalmajor, also ein Militär sind, so gehören Sie zu der Abteilung der Wu-kuan. Merken Sie sich das ja!«

      Turnerstick kratzte sich hinten unter dem falschen Zopfe.

      »Alle Wetter, ist das eine Not!« seufzte er. »Kuan-tschu, Wäng-Kuan, Wau-kuan. Das ist eine Tschu- und Wäng- und Wau-kuanerei, daß es einem die Ohrläppchen hinten im Genick zusammenzieht!«

      »Sie sprechen die Worte ganz falsch aus!«

      »Wegen den vielerlei Kuans. Sagen Sie mir noch einmal, was für einer ich bin! Das werde ich mir schon merken.«

      »Ein Wu-kuan!«

      »Wu, Wu, Wu, Wu-kuan! Nun werde ich das Wu wohl im Kopfe haben, wenn ich dabei nur das Kuan nicht wieder vergesse. Es ist ein sehr schlechtes Chinesisch. Die richtige Endung fehlt; es muß ein ng hintenan, also Wung-Kuang. Das wäre hochchinesisch. Haben Sie vielleicht einen Bleistift bei sich?«

      »Ja. Hier ist er.«

      »Danke! Will mir dieses Wu-kuan, zu welcher Sekte ich doch nun einmal gehöre, doch lieber aufschreiben, und zwar hierher auf den Fächer, wo ich es stets vor Augen habe. Fällt mir es nicht gleich bei, so öffne ich den Fächer und fächle mir meine Kriegerklasse zu. Prächtiger Gedanke! Man sollte sich eigentlich jedes chinesische Wort, welches man leicht vergessen könnte, auf den Fächer notieren.«

      »Wie groß müßte er dann bei Ihnen sein?«

      »Wie groß? Ah, Sie wollen mich wohl foppen? Ich denke, mein Kopf faßt ebensoviel wie der Ihrige!«

      »O, noch weit mehr. Ihr Zopf beweist das ja.«

      »Wieso? Machen Sie sich wirklich über mich lustig?«

      »Nein, Kapitän. Wie heißt Zopf in chinesischer Sprache?«

      »Jedenfalls Zopfing oder Zopfeng.«

      »Nein. Dieses Mal sind Sie leider falsch unterrichtet.«

      »Wie denn?«

      »Pen-tse, zu deutsch Sohn des Gehirnes. Die Chinesen gehen von der Ansicht aus, daß aus einem gesunden Kopfe auch ein gesunder, also recht langer Zopf wachsen müsse. Demzufolge muß also ein langer Zopf das sichere Zeichen eines guten Gehirnes, eines klugen Mannes sein. Daher lachen sie über unser geschorenes Haar und halten uns für Dummköpfe. Je höher ein Chinese steht, desto länger und dicker wird sein Zopf sein, ob Natur oder Kunst, das ist Nebensache. Da Sie nun so einen gewaltigen Zopf besitzen, während ich leider keinen Pen-tse habe, so müssen Sie mir geistig ungeheuer überlegen sein.«

      »Das ist auch gewiß sehr richtig. Wart, den Zopf muß ich mir auch sofort notieren. Also Pen-dse?«

      »Nein, denn dse heißt ›vier‹.«

      »Also Pen-ße?«

      »Auch nicht, denn ße oder sse bedeutet den akademischen Grad eines Doktors.«

      »Wohl Pen-se?«

      »Bewahre, denn se heißt Liebe, Farbe, Figur, Malerei. Sie müssen ein hartes t vor das s setzen.«

      »Folglich Pen-tße?«

      »Unmöglich; tße bedeutet nämlich: sich, selbst, Eigenart, innere Beschaulichkeit, Identität und auch Identifikation.«

      Turnerstick hielt den Fächer in der Linken und den Bleistift in der Rechten zum Schreiben erhoben; aber er schrieb nicht, sondern zog ein ganz merkwürdiges Gesicht und rief erbost: »Jetzt hören Sie nun mal auf, Sie Deutschverderber! Es braust mir ja um die Ohren, als ob ich den Niagarafall im Kopfe hätte!«

      »Ja, mein Lieber, Sie müssen die beiden Konsonanten genau und scharf unterscheiden. Im Chinesischen ist ein großer Unterschied zwischen se, sse, sze, tse, tze, dse und dze.«

      »Ihr Unterschied kann mir gestohlen werden! Warum bringen Sie mir lauter Worte ohne eine meiner Endungen! Peng tseng wäre richtig; warum soll ich da Pen-tse sagen? Ich schreibe mir den unglückseligen Zopf gar nicht auf. Hier haben Sie Ihr Stückchen Bleistift zurück. Mir brauchen Sie mit Ihrem hölzernen Pantoffelchinesisch nicht zu kommen. Da hat das meinige doch mehr Saft und Kraft. Pang, peng, ping, pong und pung, das ist der wahre Jakob; das klingt wie Glockengeläute! Was würden Sie sagen, Mijnheer van Aardappelenbosch, wenn einer von Ihnen verlangte, sieben- oder achterlei dse und tse zu unterscheiden?«

      »Ik zoude ihm sagen: Gij zijt een ongelukkige Nijlpaard!« antwortete der Dicke, indem er so tief und ängstlich Atem holte, als ob an ihn das Verlangen gestellt worden sei, den malefikanten Pen-tse zu deklinieren.

      »Ja, ein Nilpferd sondergleichen wäre dieser Kerl. Merken Sie sich das, mein bester Methusalem, und sündigen Sie hinfort nicht mehr, sonst zwingen Sie mich. Sie einmal in die linguistische Wäsche zu nehmen. Jetzt aber wollen wir endlich an Bord. Vorwärts!«

      Die fünf sonderbaren Personen hatten durch ihr längeres Verweilen an dieser Stelle eine große Anzahl von Neugierigen