DER AUFBRUCH. Michael Wächter

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Название DER AUFBRUCH
Автор произведения Michael Wächter
Жанр Языкознание
Серия Die Raumsiedler von Puntirjan
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742734709



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Blüten einiger Rank-Pflanzen, die Ähnlichkeit mit Ackertrichterwinden zeigten. Einige Pflanzen waren von parasitären Klein-Saugern bedeckt, deren orange Panzer schwach im trüben Sonnenlicht glänzten. Tau tropfte von den Halmen, und kleine Wesen, ähnlich den Blattschneiderameisen, schleppten Mykorrhiza-Pilze, Blattläuse, Blattsegmente und Halmspitzen die Stängel hinab in ihren Bau. Ein Wasserfall rauschte und bildete den akustischen Hintergrund für die Laute der Urwald-Tiere, die das Tal erfüllten.

      „Hier ist das Wasser wunderbar!“, schwärmte Fisca und schwamm zu einem kleinen Wasserfall, der sich in den Tümpel ergoss.

      Tüngör schwamm zu ihr rüber. Sie spielten im Wasser, spritzten es einander zu. Es schimmerte blaugrün, enthielt Mikroben, den Blaualgen ähnlich, Muscheln und Korallen, die mit puntirjanischen Zooxanthellen in einer Art Symbiose lebten (so wie auf der Erde anaerobe Darmbakterien in Symbiose lebten mit ihren luftfreien, lebenden Behältern, die man als Säugetiere und Menschen bezeichnete).

      Ein Schwarm Putzervögel streifte durch das Tal – auf der Suche nach neuen Großlurchen.

      Fisca tauchte auf, freudig erregt.

      „Schau, eine Krakenqualle!“, rief sie und winkte Tüngör herbei.

      „Sonnentau und Bärenklau!“, rief Tüngör freudig, holte tief Luft und tauchte in den Tümpel. Da sah er sie – eine apfelgroße, hellblau schimmernde Krakenqualle, ein selten großes Exemplar. Einige kleine Quallen folgten ihr, wohl der Nachwuchs, und dann kamen weitere, im Wasser wallende Wolken dort scheinbar qualmender Quallentierchen. Sie quirlten, leise quiekend, aus einer Quelle warmen Wassers, strömten quer zu einer quarkähnlich aussehenden Quarzwand, knapp unter der Wasseroberfläche.

      Später ruhten sich Tüngör und Fisca kurz auf einem der Felsen aus Amblygonit-Erz aus, die aus dem Tümpel ragten. Trotz allen Genusses – sie blieben wachsam, denn auch im puntirjanischen Dschungel drohten Gefahren. Schwärme von Libellenmücken, Riesenzecken und Blauwespenschwärme zogen gelegentlich durch die Sümpfe. Und sie hatten keine Lust, einem von ihnen zu begegnen.

      Fisca und Tüngör genossen ihren Badeausflug bis in den späten Morgen. Mittags zog Gugay mit Tüngör los, ein paar Flugechsen zum Abendessen jagen. Nachmittags waren sie dann müde, aber mit guter Beute zu Fisca heimgekehrt. Sie hatte am Platz für den späteren Nestbau eine Platte mit Früchten vorbereitet, und ein Büffet mit köstlichen, pflanzlichen Speisen, die der Urwald zu bieten hatte. Feierlich und unter Absingen ihrer Balzgesänge legten sie die ersten Zweige für ihr Nest. Tüngör zeigte sein ganzes, grellbuntes Balzgefieder, vollführte mit Fisca den Rundflug zur Bekundung der Paarungsbereitschaft und nahm mit Fisca und Gugay das traditionelle Nistplatz-Einweihungsmahl zu sich.

      Tüngör und Fisca ließen es sich noch lange schmecken. Gugay hingegen war sofort nach dem Essen aufgesprungen und für den Abend zu Malalo geflogen. Er wollte mit ihm seinen nächsten Coup aushandeln, einen Coup, der ihn bald in eine äußerst brisante, ja, gefährliche Geschichte verwickeln sollte. Diese Geschichte jedoch veränderte sein Leben, und sie führte ihn und seine Familie weit über die Welt von Puntirjan hinaus.

      Anmerkungen: Die Welt von Puntirjan, Tüngörs Heimat, ist ein Planet vom Typ „Supererden“. Er liegt im System eines Dreifachsterns und umrundet dessen Hauptstern Wemur, eine gelborange Sonne. Weiter außen liegt der braune Zwergstern Fronan, ein erkalteter Methanzwerg, und als drittes Gestirn gehört noch Wemuran dazu, ein weißer Zwergstern, der die Sonne Wemur und ihren Methanzwerg in großer Ferne umrundet. Puntirjan kreist in einem sehr günstigen Abstand von Wemur, dort herrschen angenehme Temperaturen, es gibt eine dichte Atmosphäre, und so konnte sich Leben entwickeln.

      Nahezu 78% der Oberfläche des Planeten sind von Ozeanen bedeckt. Hier hatten sich die ersten Urzeller gebildet, urtümlich mikrobiotische Einzeller-Arten. Später bildeten sie eine Fülle von Vielzellern. Sie ähnelten Weichtieren, Pilzen, Blaualgen und Fischen, aber auch im Wasser lebenden Insekten- und Krakenarten. In den Ozeanen dominierte bald eine intelligente Art blauer Riesenkraken. Sie wiesen Funkorgane auf und konnten über große Strecken hinweg kommunizieren, ähnlich wie die Wale auf der Erde. Schließlich wurden die Landmassen Puntirjans von Ravrokylpflanzen besiedelt. Die Wälder bevölkerten sich mit zahlreichen Pilzen, Pflanzen, Landinsekten, amphibien- und reptilienähnlichen Kriechtieren wie Flugechsen und andere, fremden Gattungen. Hier dominierten schließlich die Puntirjaner, hochintelligente Vogelmenschen, zu denen Tüngör und Jenis gehörten.

      Puntirjaner sehen teils dem Menschen ähnlich, teils aber auch dem Wellensittich, dem Papagei oder dem Raben. Sie entstammten reptilienähnlichen Kleintieren, die in Flüssen, Meeren und Erdhöhlen lebten. Ein urzeitlicher Meteoreinschlag hatte die damals noch vorherrschenden Groß-Säugetiere und Riesen-Insekten vernichtet. Die Reptilienähnlichen aber entwickelten sich daraufhin weiter zu den puntirjanischen Vogelmenschen. Puntirjaner legen Eier. Sie haben Schnäbel und ein Gefieder, eine sehr lange Lebensdauer und sechs Gliedmaßen, je zwei Beine, Flügel und Arme – wobei die Flügel nur noch zu kurzen Gleitflügen taugen. Zusätzlich zu ihren Augen, Ohren, Fühlern, Zungen und Nasen haben sie, genau wie die Riesenkraken, noch ein weiteres Sinnesorgan – das mit dem Groß- und Rindenhirn vernetzte Funkorgan. Es besteht aus einer langen Elektrolyt-Kapillare und Tausenden von Electrocyten, die Strom erzeugen, wie bei irdischen Zitterrochen und –aalen. Wenn die Elektrocyten mit ihrer Elektroplaque feuern, dann schwingen in der Kapillare elektrische Ladungen, Ionen. Das erzeugt natürlich Funkwellen – und diese können umgekehrt auch in den Kapillaren wahrgenommen werden. Die Funkorgane sind also wie kleine Sende- und Empfangsantennen, und die drahtlose Kommunikation über diese Organe wird als Interfunk bezeichnet.

      Im Unterschied zu den Riesenkraken verfeinerten die Puntirjaner ihre Funkorgane mit Hilfe elektrischer Geräte, vor einigen hundert Jahrmillionen zu Beginn ihrer technischen Zivilisation. So konnten sie die Frequenzen und Amplituden der Funkwellen viel feiner modulieren und mehr Informationen übertragen. Ihre Interfunk-Kommunikation wurde schließlich dadurch perfektioniert, dass sie ihrem Nachwuchs im zarten Kükenalter Mikrochips implantierten, indem sie sie an spezielle Neuronen koppelten, und später durch eine Art „Armband-smartphones“ ergänzten.

      Interfunk ist auf Puntirjan das Kommunikationsmedium. Doch die hoch technisierte Zivilisation der Puntirjaner fußt nicht nur auf dem Interfunk, sondern auch „offline“, auf der Kommunikation über die Stimme, das Zwitschern, und einigen Flugfiguren, ähnlich dem Bienentanz irdischer Honigbienen. Wenn Puntirjaner sich unterhalten – und das tun sie wie irdische Papageien, meisterhaft und leidenschaftlich – dann klingt es akustisch wie das Zwitschern eines Wellensittichs mit dem Kropf einer Taube. Es ist also nicht ganz einfach gewesen, die Geschichte von Tüngör und Jenis und von einer völlig andersartigen Zivilisation zu erzählen. Trotz Koevolution und Konkurrenz, Selektion und Symbiose – die Entwicklung lebender Arten ist hier völlig andersartig gelaufen, ebenso die technische Entwicklung. Diese Geschichte ließ sich trotzdem schreiben, indem für die uns fremden Vorgänge, Wesen und Geräte möglichst entsprechende, irdische Ausdrücke eingesetzt wurden. Die Funk- und Zwitschersprache der geselligen Vogelmenschen aus Puntirjan wurde, so gut es ging, durch phonologisch-semantische Wortübertragungen in unseren Buchstaben und Worten ausgedrückt. Der zwitschernd-gurrende Laut, den sie zum Beispiel ausstoßen, wenn sie ihren Heimatplanet meinen, kann zum Beispiel in etwa mit "Puntirchan, Puntirjän" oder eben "Puntirjan" wiedergegeben werden).

      Kapitel 4

      Malalos Bau lag im inndjarschen Viertel von Clénairville. Es und besaß ein Bürozimmer, wo man ungestört zwitschern und trinken konnte. Das heiße Krøggetränk bremste jede Bewegung Gugays aus. Die Luft war so schwül, dass es von den Wänden zu tropfen schien.

      „Hey Malalo, es reicht doch völlig aus, wenn du mir lediglich einen deiner schrottigen Frachtshuttles überlässt! Ich werde es wird für dich mit Profit so vollstopfen, dass du dir ein gigantisches Imperium aufbauen und finanzieren kannst!“

      „Ach ja?“ sagte Malalo völlig kühl und lüftete seine Flügel, wobei sein Antlitz in diesem Augenblick dem Blick eines misstrauischen Papagei glich.

      „Ich habe dir noch nie zu viel versprochen!“ krächzte Gugay verärgert.