Silas Marner. George Eliot

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Название Silas Marner
Автор произведения George Eliot
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783746756196



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nimmt und Dich zum trauernden Wittwer macht. Nancy würde auch Deine zweite Frau, wenn sie von der ersten nichts wüßte. Und so’n gutmütiger Bruder wie ich, – ich würde Dein Geheimnis gut bewahren, Du tätst mir ja alles zu Gefallen.«

      »Hör mal, ich will Dir was sagen«, sagte Gottfried bebend und bleich. »Meine Geduld ist ziemlich zu Ende. Hätt’st Du ein bißchen mehr Verstand, so würdest Du wissen, daß man einen Menschen auch zu weit treiben kann, und dann springt er ebensogut nach der einen Seite wie nach der andern. Ich könnte ebensogut hingehen und dem Alten selbst alles gestehen – Dich wär ich dann wenigstens los. Und zudem, ’mal erfährt er’s doch. Sie hat gedroht, sie wolle selbst herkommen und es ihm sagen. Schmeichle Dir also nicht, Dein Schweigen sei jeden Preis wert, den Du dafür forderst. Du ziehst mich so aus, daß mir am Ende nichts mehr bleibt, um sie zu beruhigen, und dann führt sie ihre Drohung aus. Das ist eins wie’s andere. Ich will Vater selbst alles sagen, und dann magst Du zum Teufel gehen.«

      Dunsey sah ein, er habe übers Ziel geschossen und es gebe wirklich einen Punkt, wo selbst der schwankende Gottfried zu einer Entscheidung getrieben werden könnte; aber er sagte gleichgültig:

      »Ganz wie Du willst, aber erst muß ich einen Schluck Bier haben.« Dabei zog er die Klingel, warf sich auf zwei Stühle und schlug mit dem Griff seiner Peitsche aufs Fensterbrett.

      Gottfried blieb mit dem Rücken gegen das Feuer stehen, fuhr unruhig mit den Fingern in den Taschen herum und sah zu Boden. In seinem derben muskulösen Körper stack physischer Mut genug; aber der half ihm zu keiner Entscheidung, wenn er Gefahren trotzen sollte, die sich weder zu Boden schlagen noch erwürgen ließen. Seine natürliche Unentschlossenheit und moralische Feigheit wurden noch durch seine Lage vermehrt, in der die bedenklichsten Folgen ihn von allen Seiten gleichmäßig zu bedrängen schienen, und nicht so bald war er in seinem Ärger so weit gegangen, Dunstan zu trotzen und sich alle möglichen Entdeckungen seines Geheimnisses auszumalen, als ihm auch schon das Elend, welches dadurch über ihn kommen müßte, viel unerträglicher schien als seine gegenwärtige Lage. Nach einem Geständnis handelte es sich nicht mehr um Möglichkeiten, sondern um eine schreckliche Gewißheit; eine Entdeckung war aber doch nur eine Möglichkeit. Von dem klaren Anblick jener Gewißheit kam er mit einem Gefühl von Beruhigung auf die Ungewißheit und das Schwankende seiner jetzigen Lage zurück. Der enterbte Sohn eines kleinen Gutsbesitzers, der eben so wenig graben mochte wie betteln, war fast hilflos wie ein entwurzelter Baum, der mit Hilfe von Erde und Himmel an der Stelle, wo er zuerst aufschoß, zu einem hübschen Stamme herangewachsen ist. Vielleicht hätte er sich an den Gedanken, zu graben oder sonst zu arbeiten, mit einer gewissen Heiterkeit gewöhnen können, wenn Nancy Lammeter dadurch zu gewinnen wäre, aber da er auf sie ebenso unwiderruflich hätte verzichten müssen wie auf die Erbschaft, und jedes Band auf Erden brechen, außer dem einen, welches ihn herabzog und von jeder Besserung zurückhielt, so konnte er sich hinter einem etwaigen Geständnis keine andere Zukunft denken, als die, Soldat zu werden – und das war in den Augen wohlhabender Familien ein höchst verzweifelter Schritt, der nahe an Selbstmord grenzte. Nein, lieber dem Zufall vertrauen, als seinem eigenen Entschluß – lieber sitzen bleiben und weiter schmausen und den Wein trinken, den er liebte, wenn auch das Schwert über ihm hing und die Angst ihm am Herzen nagte – lieber als fortzustürzen in das kalte Dunkel, wo keine Freude seiner wartete. Dunstans Vorschlag wegen des Pferdes schien ihm schon leichter als die Ausführung seiner eigenen Drohung. Aber sein Stolz erlaubte ihm nicht, das Gespräch anders wieder aufzunehmen als mit neuem Streit. Dunstan wartete darauf und trank sein Bier in kleineren Zügen als gewöhnlich.

      »Es sieht Dir recht ähnlich«, fuhr Gottfried bitter heraus, »mir so ruhig davon zu sprechen, daß ich Feuerbrand verkaufen soll – das letzte, was ich auf der Welt mein eigen nenne, und das beste Stück Pferdefleisch, was ich je im Leben gehabt habe. Und wenn Du einen Funken Stolz in Dir hättest, so würdest Du Dich schämen, daß die Ställe so leer sind und daß uns alle Welt darüber verhöhnt. Aber ich glaube, Du könntest Dich selbst verkaufen, bloß um die Freude zu haben, daß ein andrer ein schlechtes Geschäft macht.«

      »Ja, ja«, sagte Dunstan sehr versöhnlich, »ich sehe, Du läßt mir Gerechtigkeit widerfahren. Du weißt, beim Geschäft zieh’ ich den Leuten das Fell über die Ohren. Und darum rat’ ich Dir, laß mich Feuerbrand verkaufen. Ich reite ihn morgen auf die Jagd – für Dich tu’ ich das mit wahrem Vergnügen. Ich nehme mich zwar im Sattel nicht so gut aus als Du, aber die Leute bieten aufs Pferd und nicht auf den Reiter.«

      »Jawohl, das wär ’ne schöne Geschichte – ich Dir mein Pferd anvertrauen!«

      »Ganz wie Du willst«, sagte Dunstan und schlug wieder mit höchster Gemütsruhe auf die Fensterbank, »das Geld von Fowler hast Du zu bezahlen, mich geht’s nichts an. Du hast das Geld von ihm bekommen und Du hast dem Alten gesagt, es wär’ noch nicht bezahlt. Ich habe nichts damit zu tun; Du warst so gefällig, es mir zu geben, das ist alles. Willst Du das Geld nicht bezahlen, dann laß es bleiben; mir ist’s all einerlei. Ich hätte Dir gern geholfen und das Pferd für Dich verkauft, da es Dir ja nicht paßt, morgen einen so weiten Weg zu machen.«

      Gottfried schwieg einige Augenblicke; am liebsten wär’ er auf Dunstan losgesprungen, hätte ihm die Peitsche aus der Hand gerissen und ihn halb tot geprügelt, und keine leibliche Furcht hätte ihn davon zurückgehalten, aber eine andere Furcht schreckte ihn, und die war stärker als sein Mut. Als er antwortete, geschah es in einem halbfreundlichen Tone.

      »Nun, Du hast doch nicht wieder Unsinn vor mit dem Pferde, he? Du verkaufst das Tier in aller Ordnung und bringst mir das Geld? Sonst, weißt Du, kommt die Geschichte zum Klappen; denn ich kann mir nicht mehr helfen. Und ’s wird Dir nicht so viel Spaß mehr machen, mir das Haus über’m Kopfe einzureißen, seit Du weißt, daß es Dir mit auf den Schädel fällt.«

      »Schön«, sagte Dunstan sich erhebend, »das ist abgemacht. Ich wußte wohl, Du nähmst doch noch Vernunft an. Bryce soll schon anbeißen. Ich schaff Dir hundertundzwanzig für den Feuerbrand, das sollst Du sehen.«

      »Aber wenn’s nun morgen vom Himmel heruntergießt wie gestern, dann kannst Du ja nicht fort«, sagte Gottfried und er wußte kaum, ob er ein solches Hindernis wünschen solle oder nicht.

      »’s wird schon nicht«, sagte Dunstan; »ich bin immer glücklich mit dem Wetter; es könnte vielleicht regnen, wenn Du selbst ausreiten wolltest. Du hast nie die Trümpfe, weißt Du – ich immer. Du hältst es mit der Liebe, und ich habe das Glück, darum mußt Du mich als Heckpfennig bei Dir behalten; ohne mich wirst Du nie fertig.«

      »Hol’ Dich der Henker, halt’ Dein Maul«, rief Gottfried heftig. »Und, hörst Du, daß Du morgen nüchtern bleibst; sonst stürzest Du beim Nachhausereiten mit dem Pferde und das möchte Feuerbrand schlecht bekommen.«

      »Darüber mag sich Dein zärtliches Herz beruhigen«, sagte Dunstan und öffnete die Tür. »Ich sehe nie doppelt wenn’s ’n Geschäft gilt; es verdirbt einem die Freude. Überdies, wenn ich auch falle, ich falle immer auf die Füße.«

      Damit schlug Dunstan die Tür hinter sich zu und überließ Gottfried den bitteren Gedanken über seine persönliche Lage, die ihn schon seit vielen Tagen unablässig bedrängten und nur von der Aufregung der Jagd, des Trinkens und Spielens, oder dem selteneren und tiefer haftenden Vergnügen unterbrochen wurden, Fräulein Nancy Lammeter zu sehen. Die feinen und vielfachen Schmerzen, welche aus der größeren Empfindlichkeit gebildeter Naturen hervorgehen, verdienen vielleicht weniger Mitleid, als der jammervolle Mangel an geistigem Genuß und Trost, welcher rohere Gemüter der steten beängstigenden Gemeinschaft ihrer eigenen Leiden und Plagen überläßt. Das Leben jener Landleute in früherer Zeit, die wir uns leicht als sehr prosaische Figuren denken – als Leute, deren einzige Beschäftigung war, ihre Felder abzureiten, bis sie dabei immer schwerer im Sattel hingen, und die den übrigen Teil ihrer Zeit in einer halb teilnahmslosen Befriedigung ihrer durch ein einförmiges Dasein abgestumpften Sinne hinbrachten – dieses Leben hatte doch ein gewisses Pathos. Unglück hatten sie auch, und die Irrtümer ihrer Jugend führten zu schlimmen Folgen. Vielleicht hatte die Liebe zu einem süßen Geschöpf, einem Bilde von Reinheit, Ordnung und Ruhe, ihren Blicken die Vision eines Lebens erschlossen, in welchem die Tage auch ohne Zechen und Schmausen nicht zu lang zu sein versprachen, aber sie hatten