Название | AUSNAHMEZUSTAND IM SCHLARAFFENLAND |
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Автор произведения | Erhard Schümmelfeder |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847698869 |
»Halte ich denn, was ich verspreche?« wollte sie wissen.
»Bestimmt -«, flüsterte er zuversichtlich.
Sie schluckte und blickte ihm versonnen tief in die Augen. Kaum vernehmbar hauchte sie die zärtlichen Worte: »Probieren wirs aus?«
Dann gingen sie auf ihr Zimmer, fernab jeder Kamera, jeder einsatzbereiten Wanze, um das Unaussprechliche zu tun. Ich versuchte zu läuten, aber die Glocke hatte keinen Plöckel; auch der Alarmknopf, den ich betätigte, zeigte keine Wirkung - wahrscheinlich schliefen die Wachen betrunken, wie so oft, draußen im Garten. Ich lief durch die Seitenflügel des Palastes, stolperte über die Stufen einer Treppe, und erreichte die Registratur der Bibliothek, wo ich Matcho Nolo traf, der hilflos in der Königlichen Datei herumsuchte und ängstlich zusammenzuckte, als er mich im Halbdunkel erkannte.
»Hoheit, ich bitte um Nachsicht!«, flehte er.»Wo - wo soll ich nur nachschlagen?«
»Maul halten!«, befahl ich ihm. Sogleich verstummte er. »Wo ist das Zimmer des Mädchens?«
Er wusste es nicht. Er wusste überhaupt nichts. Ich ärgerte mich über seine völlige Unfähigkeit und verstand zum ersten Male Vater, wenn er sich über den schleppend funktionierenden Beamtenapparat beklagte. Es dauerte lange, bis wir zusammen genügend nüchterne Wachen mobilisiert hatten, um das Zimmer des Mädchens zu erstürmen. Ich selbst leitete die nächtliche Aktion. Ich wusste: Das Unaussprechliche war längst geschehen und ließ sich nicht mehr verhindern.
Plötzlicher als ich erwartet hatte, stand mir Macuthee, beim Verlassen des Zimmers, gewarnt vom Lärm der säbelrasselnden Wachen, gegenüber. Einen Moment blickten wir uns nur grimmig an, zwei Todfeinde, die sich nichts zu sagen hatten.
»Habe ich dich endlich erwischt!«, rief ich aus. »Wachen! Festnehmen!«
Noch bevor die zögernd voranmarschierenden Posten ihn ergreifen konnten, schlug mir Macuthee eine Faust in die Fresse, wodurch ich hart auf die Fliesen stürzte, kurz die Besinnung verlor und nicht genau verfolgen konnte, was nun geschah. Ich nahm wahr: Ein metallischer Gegenstand flog gegen eine Deckenlampe... Handgemenge im Dunkeln. Kettengeklirr. Stoßenreißenfluchen. Geräusche brechender Knochen. Schreie. Gewimmer ...
»Was ist geschehen?«, hörte ich mich in der Finsternis des Ganges rufen.
»Was ist gestern Nacht hier geschehen?«, hörte ich am Vormittag des folgenden Tages Vater in seinem Amtszimmer fragen, erregt darüber, dass hier Dinge geschahen, von deren Entwicklung er nichts wusste. Mein Kopf steckte in einem Gipsverband, ich konnte nicht antworten. Matcho Nolo beschrieb Vater, was sich ereignet hatte: Macuthee, der Meisterfliegenfänger verbotenerweise im Zimmer einer Tänzerin; auf frischer Tat ertappt, nächtlicher Kampf im Palast; acht Wachen mit gebrochenem Nasenbein; Ali Abbas III. verletzt (Nasenbein); der Minister für alles Mögliche unverletzt (göttliche Fügung); Flucht des Fliegenfängers und der Tänzerin; Verfolgung der beiden bis zu den Klippen; Rettung der Flüchtigen durch einen todesmutigen Sprung vom Felsen ins Meer; Verfolgung der Entkommenen durch die Haibucht; die Spur verloren am Ufer; weitere Flucht wahrscheinlich mit gestohlenem Kanu durch den Dschungel...
»Ein Tausendsassa!«, rief Vater mit bewegter Stimme.»Gut, der Mann!«
»Hoheit, ich verstehe nicht -«, sagte Matcho Nolo zögernd.
»Das ist ein Mann nach meinem Geschmack!«, sagte Vater mit deutlicher Begeisterung. »Kein Schwätzer, kein Waschlappen, sondern ein ganzer Kerl mit Biss!«
»Jawohl, mit Biss!«, stammelte der Minister für alles Mögliche.
»Einer, der die Ärmel hochkrempelt und seine Sache anpackt!«
»Anpackt. Jawohl!«
Ich war sprachlos und verstand die Welt nicht mehr.
»Holt mir diesen Burschen!«
»Tot oder lebend, Hoheit?«
»Lebend, ihr Narren!«, brüllte Vater und warf uns einen verachtungsvollen Blick zu.
Die Entwicklung des Geschehens war für uns unbegreiflich. Vater ließ die gegen Macuthee erhobene Anklage noch am gleichen Tage fallen und verkündete persönlich über Rundfunk und Fernsehen die Nachricht hierüber im ganzen Lande. Bereits wenige Tage später erhielt Macuthee Audienz im Palast des Sultans von Salima, um seine öffentliche Rehabilitation aus dem Munde meines Vaters zu vernehmen. Das war schlimm für mich. Vater gewährte Matcho Nolo einen Urlaub von einem Tag, um während seiner Abwesenheit ein neues Gesetz ins Leben zu rufen. Als Matcho Nolo, der auf seinem Posten als Minister für alles Mögliche rund und fett geworden war, nach Ablauf seines Urlaubs zurückkehrte, klagte er Vater sein Leid, indem er fassungslos berichtete, sein Ministerposten sei irrtümlich mit Macuthee besetzt worden.
»Das ist kein Irrtum«, belehrte mein Vater ihn. »Du hast dich heute morgen um vier Minuten verspätet. Das neue Gesetz sieht für unpünktliche Staatsdiener eine empfindliche Strafe vor.«
»Was für ein Gesetz?«, fragte der entgeisterte Matcho Nolo.
»Weggegangen - Platz vergangen!«, erläuterte Vater ihm mit schlichten Worten den Inhalt der revolutionären Verfassungsänderung.
Es blieb uns nichts anderes übrig, als verbittert dem Fortgang der weiteren Ereignisse tatenlos und machtlos zuzusehen.
Macuthee feierte mit Delila Hochzeit. Eine lange Reihe mit Tischen, die sich durchs ganze Land - von der Meeresküste bis zu den staubigen Steinbrüchen Salimas - erstreckte, wurde aufgestellt und mit köstlichen Speisen und kühlenden Getränken beladen. Alle Einwohner unseres kleinen Reiches waren zur Hochzeitsfeier eingeladen. Eine grandiose Oper mit dem Titel Der Fliegenfänger von Salima wurde mit überwältigem Erfolg uraufgeführt. Lieder, Gedichte und Legenden über den Fischersohn aus Mescana gingen von Mund zu Mund ... Ich grämte mich vor Neid und Enttäuschung.
Als reformfreudiger Minister für alles Mögliche setzte Macuthee wesentliche Veränderungen durch, die sogar die mürrische Opposition im Lande mit Vater versöhnten. Auch die Schulreform stand auf dem Plan meines einstigen Klassenkameraden. Ich selbst war das erste Opfer dieser für mich unerwarteten Veränderungen. Das Recht des ersten Schlages wurde kurzerhand abgeschafft und durch das Recht auf Notwehr ersetzt. Damit war ich so gut wie vogelfrei. Es versetzte meinem gedemütigten Herzen einen weiteren schmerzvollen Stoss, als mein letztes Zeugnis vom Direktor des Internats gnadenlos storniert wurde. Das hätte er nicht tun dürfen. Ich dachte sogar daran, meinem Leben ein Ende zu setzen, nachdem ich die Aufnahmeprüfung an der Schule der Besten auch nach drei Anläufen nicht bestanden hatte, doch fasste ich neuen Mut und beschloss, mich in Abendkursen weiterzubilden, um wenigstens in den mittleren Staatsdienst zu gelangen. Alle meine Kraftanstrengungen erwiesen sich als vergeblich, denn mir fehlte das, was Vater treffend den »richtigen Biss« nannte. Als ich Vater bei einem Mittagsmahl dezent darauf hinwies, auch ich wäre gern Minister für alles Mögliche geworden, verschluckte er sich fast an einem Hähnchenknochen und sagte verständnislos nur: »Quatsch!«
Vom Leben und seinen harten, unmenschlichen Bedingungen ernüchtert, lungerte ich wochenlang im Palast herum, ohne Aussicht auf eine rosige Zukunft, die man mir einst an der Wiese prophezeit hatte. Ich war restlos überzeugt von meiner eigenen Unfähigkeit. Ich war am Ende... Am Strand von Salima legte ich mich in den warmen Sand und jammerte grämlich vor mich hin. Ich wartete auf die Flut, die sich mit schäumenden Wogen dem Ufer zu nähern begann. Zum Glück schlief ich ein, noch bevor die Wellen meinen gekrümmten Körper erreichten...
Ein metallisches Geräusch weckte mich. Ich lag in meinem Internatszimmer. Es war später Nachmittag. Wie lange hatte ich geschlafen?