Ostfriesland verstehen. Helga Ostendorf

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Название Ostfriesland verstehen
Автор произведения Helga Ostendorf
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844257625



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dürfen. Dort behandelte er u.a. Johann Wolfgang Goethe. Mit dem Vorspiel „Was wir bringen” widmete Goethe ihm einen Nachruf. (Da Goethe Ostfriesland nie bereist hat, dürfte seine Einschätzung der ostfriesischen Kultur nicht zuletzt auf Gesprächen mit Reil fußen.[14])

      Ernst Reuter

      (*1889 Appenrade, †1953 Berlin), Regierender Bürgermeister von Berlin 1948-1953

      Reuter kam als Dreijähriger nach Leer; sein Vater übernahm die Leitung der Steuermannsklasse der Leeraner Seefahrtsschule. Nach dem Abitur am Ubbo-Emmius-Gymnasium studierte er Geschichte, Germanistik und Geographie in Marburg, München und Münster. In München kam er mit sozialdemokratischem Gedankengut in Kontakt und entschloss sich für eine berufliche Tätigkeit in der Arbeiterbewegung. Dies bedeutete gleichzeitig den Bruch mit dem konservativ-religiösen Leeraner Elternhaus. Nach vielen Stationen als Wanderredner der Arbeiterbewegung, russischer Kriegsgefangener, Volkskommissar der Wolgadeutschen und KPD-Funktionär wandte sich Reuter der USPD und nach deren Spaltung der SPD zu. Er wurde Stadtrat für Verkehr in Berlin und danach Oberbürgermeister von Magdeburg sowie Reichtagsabgeordneter. 1933 wurde Reuter mehrfach verhaftet. Er kam nur durch Intervention der Briten frei und emigrierte in die Türkei. 1946 erhielt Reuter die Genehmigung, wieder nach Deutschland einzureisen und wurde in Berlin erneut Stadtrat für Verkehr und Versorgungsbetriebe. In dieser unmittelbaren Nachkriegszeit engagierte er sich besonders für die Versorgung der Berliner_innen und dafür, dass die Westmächte die Stadt nicht aufgaben. 1948 löste sich der Berliner Magistrat in einer von der SED gelenkten außerordentlichen Stadtverordnetenversammlung auf. Anschließend wählte die Bevölkerung der Westsektoren eine neue Stadtverordnetenversammlung und Ernst Reuter wurde Oberbürgermeister.

      Helma Sanders-Brahms

      (*1940 Emden), Filmemacherin

      Sanders-Brahms studierte an der Schauspielschule in Hannover und später Germanistik und Anglistik in Köln. Zunächst wurde sie Fernsehansagerin und Model. Im Anschluss an ein Praktikum in Italien, wo sie u.a. mit Pier Paolo Pasolini zusammenarbeitete, begann sie mit eigenen Filmproduktionen. Zu ihren Werken zählen u.a.: „Angelika Urban, Verkäuferin, verlobt” (1969/70), „Shirins Hochzeit” (1975/76) und „Deutschland, bleiche Mutter” (1979/80). Ihr bislang letzter Film ist „Geliebte Clara” (2007/08). Sanders-Brahms ist Chevalier des französischen Ordre des Arts et des Lettres und Mitglied der Akademie der Künste, Berlin.

      Wilhelmine Siefkes

      (*1890 Leer, †1984 Leer), Schriftstellerin

      Siefkes ist die „grande dame” der ostfriesischen Literatur. Sie entstammt einer Leeraner Bauernfamilie, wobei ihr Vater wegen eines Unfalls den Beruf schon früh aufgeben musste. Nach dem Abitur wurde sie zunächst Lehrerin in Jemgum und später in Leer. Hierdurch fand sie Zugang zur plattdeutschen Sprache und erlebte die materielle Not der Arbeiter_innen. Nach dem ersten Weltkrieg wandte sie sich sozialdemokratischen Ideen zu und engagierte sich in der sozialdemokratischen Partei und der Arbeiterwohlfahrt. 1933 wurde sie aus dem Schuldienst entlassen und erhielt Schreibverbot. Dennoch schrieb sie unter Pseudonym weiter. 1940 erhielt sie für ihr anonym eingereichtes plattdeutsches Manuskript „Kerlke” den Herman Fehrs-Preis. Das Manuskript durfte trotz des Schreibverbots veröffentlicht werden, da eine Nicht-Veröffentlichung Aufsehen erregt hätte. Sie lebte mit Louis Thelemann zusammen, einem Leeraner Gewerkschaftsführer, der 1944 in das KZ Neuengamme eingewiesen wurde. (Später war Thelemann Bürgermeister der Stadt Leer und Mitglied des Landtages.) Siefkes wurde aufgrund ihres Gesundheitszustandes vom Schuldienst beurlaubt. In den folgenden Jahrzehnten schrieb sie zahlreiche Werke und war in vielen Verbänden aktiv.

      Klaus Störtebeker

      (*um 1360, †vermutlich 1401), Pirat

      Störtebeker soll zeitweilig in Marienhafe beheimatet gewesen sein. An ihn erinnert der dortige Störtebekertum, wo er sich aufgehalten haben soll. Die These ist mittlerweile umstritten. Belegt ist jedoch, dass die ostfriesischen Hafenstädte zur Verärgerung der Hanse den Seeräubern Unterschlupf gewährten.

      Otto Waalkes

      (*1948 Emden), Komiker

      Waalkes ist der Sohn eines Malermeisters und wuchs im Emder Arbeiterviertel Transvaal auf. Nach dem Abitur studierte er kurzzeitig Kunstpädagogik an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg – einen Studienplatz in Freier Malerei hatte man ihm verwehrt. Um sein Studium zu finanzieren, trat er als Musiker in kleineren Clubs auf, wobei seine Witze besser angekommen sein sollen als seine Musik. 1972 erschien seine erste LP, die sich gleich 500.000-mal verkaufte. Seine erste Fernsehshow „Otto Show” brachte 1973 Einschaltquoten von bis zu 15%. Es folgten weitere, ebenso erfolgreiche Fernsehshows und LPs. Ab den 1980er Jahren wandte sich Waalkes verstärkt dem Film zu. „7 Zwerge – Männer allein im Wald” (2004) hatte allein in den ersten eineinhalb Jahren drei Millionen Besucher_innen. Sein bislang letzter Film „Otto’s Eleven” kam 2010 in die Kinos. Waalkes lebt in Hamburg. In Emden unterhält er das „Otto Huus”, wo Exponate aus der Anfangszeit seines Schaffens zu besichtigen sind und Fanartikel verkauft werden.

      Alois Wobben

      (* 1952 Rastdorf/Emsland), Erfinder und Unternehmer

      Nach einer Lehre als Elektromaschinenbauer studierte Wobben Elektrotechnik an der Fachhochschule Osnabrück und später an der Technischen Universität Braunschweig, wo er auch einige Jahre als Assistent tätig war. Bereits 1975 entwickelte er mit seinem Studienfreund Meinhard Remmers die erste Windenergieanlage. 1984 gründete er in Aurich die Firma „Enercon”. Zunächst produzierte man in einer Garage. Heute arbeitet die Firma weltweit, hat ihren Stammsitz aber nach wie vor in Aurich. In Deutschland werden 60% der durch Windkraft erzeugten Energie mithilfe von Enercon-Anlagen gewonnen; weltweit sind es 7%.[15] Das Unternehmen befindet sich nach wie vor in Familienbesitz.

      Die Auswahl der hier aufgeführten Personen ist sicherlich durch persönliche Wahrnehmung geprägt. Auch Massenmedien spielen eine große Rolle, „sortieren” sie doch, was wahrgenommen wird und was nicht. Zudem geraten die Leistungen vieler Menschen häufig in Vergessenheit, sobald sie beruflich nicht mehr aktiv sind. Nur ältere Leser_innen werden sich z.B. noch an Heiko Engelkes erinnern (*1933 in Norden, †2008 in Köln), ARD-Korrespondent und zweiter Chefredakteur der Tagesschau). Auch der Name Reinhold Robbe (*1954 in Bunde, Wehrbeauftragter des Bundestages 1995-2010) dürfte vielen schon entfallen sein. Backhuyzen, Emmius, Reil und Pagels werden auch in 200 Jahren noch Weltruhm haben. Ob die anderen dann aber noch jemand kennt? Andersherum betrachtet: Vor zweihundert Jahren wird es möglicherweise auch Ostfriesen_innen gegeben haben, die damals eine wesentliche Rolle spielten, an deren Namen sich heute aber niemand mehr erinnert. So stieß ich kürzlich zufällig auf Wenzel Anton Graf Kaunitz, der 41 Jahre Staatskanzler Österreichs und einer der wesentlichen Kriegstreiber während des siebenjährigen Krieges (1756-1763) war. Seine Mutter kam aus Ostfriesland. Damals kannte ihn ganz Europa. Manche behaupten sogar, der Krieg habe so lange gedauert, weil Kaunitz sich nach einem Sieg Österreichs die Übereignung der Besitztümer der mütterlichen Familie erhoffte.

      4.

      „Seit Urzeiten …”

      Geschlechterverhältnisse

      „Was ist so falsch daran, sein Kind zu Hause zu betreuen, besonders in den ersten drei Jahren bis es zum Kindergarten geht? Seit Urzeiten wurde so verfahren und es hat den Kindern gutgetan; sie fühlten sich geborgen und geliebt” (Leserinnenbrief, OZ 2.7.2012).[16]

      Es ist keineswegs seit „Urzeiten” so, dass kleine Kinder ausschließlich von der Mutter erzogen werden. Vielmehr entstand die Idee, dass Ehefrauen nicht erwerbstätig sein sollten, erst Ende des 19. Jahrhunderts. Die Realität sah vielfach anders aus. In Ostfriesland z.B. waren Frauen noch in den 1950er und 1960er Jahren zwar „zu Hause”, bewirtschafteten aber einen großen Gemüsegarten und zumeist waren auch ein Schlachtschwein, Hühner und Kaninchen zu versorgen. Zudem halfen sie auf den Bauernhöfen aus, um sich etwas hinzu zu verdienen. Heute ist in Ostfriesland die oben zitierte Auffassung häufiger anzutreffen. Im Ranking der Prognos-AG zur „Chancengleichheit am Arbeitsmarkt” schneiden die