Название | Ostfriesland verstehen |
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Автор произведения | Helga Ostendorf |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783844257625 |
Auch heute gibt es keine Stimmen oder gar Bewegungen, die dafür plädieren, dass Ostfriesland ein eigener Staat werden solle, aber eine Abgrenzung gegenüber dem, was aus „Düütskland” oder „von oben” kommt, besteht nach wie vor und die „Friesische Freiheit” im politischen Sinne wird durchaus wach gehalten. So veranstaltet die Ostfriesische Landschaft am Pfingstdienstag – dem Tag, an dem das Parlament der „Freien Friesen” tagte – regelmäßig Tagungen oder Ähnliches. Auch an den Tag, an dem die Grafschaft Ostfrieslands ihre jährliche Landesrechnungsversammlung abhielt, wird alljährlich erinnert (10. Mai). Endgültig genommen wurde den Ostfriesen_innen die politische Freiheit 1815, als das Königshaus Hannover das Land besetzte. Abgrenzungen gegen „oben” und dem „Fürstenland” richten sich noch heute vorrangig gegen Entscheidungen aus „Hannover”.
Die Friesische Freiheit
Im Gegensatz zu den übrigen Regionen Europas (mit Ausnahme einiger Gebiete der Schweiz) gab es in Ostfriesland nie eine Feudalherrschaft. Die Friesen organisierten sich in autonomen Landgemeinden. Deren gewählten Vertreter kamen alljährlich am Pfingstdienstag am Upstalsboom in Rahe (nahe Aurich) zusammen, sprachen Recht und schlichteten Streit unter den 27 Provinzen der Frieslande, die in der Blütezeit um 1300 von der Rheinmündung bis zum Land Wursten reichten. Die Entstehung der „Friesische Freiheit” ist nicht eindeutig geklärt. Heute wird sie Karl dem Dicken zugeschrieben, der sie den Ostfriesen_innen 885 als Dank für die Vertreibung der Normannen zugesprochen haben soll. Schon der Einfall der Wikinger hatte um 800 dazu geführt, dass die Friesen zwar verpflichtet wurden, ihr Gebiet zu verteidigen, dafür aber vom Militärdienst auf fremden Territorien freigestellt waren. Eine wesentliche Rolle spielte auch das Erfordernis des Deichbaus. „Wer nich will dieken, mut wieken”, heißt ein alter Spruch. (Wer sich nicht an der Eindeichung beteiligt, muss gehen.) Pest und Sturmflutkatastrophen ließen dieses Ständesystem verfallen und reiche Familien („Häuptlinge”) gewannen die Oberhand. Sie etablierten zwar ein Gefolgschaftssystem, leibeigen aber waren die Menschen in Ostfriesland nie.[4]
Upstalsboom – das Zentrum der Freien Frieslande
Bild: Onno Gabriel
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ostfriesland_um_1300.png
Die Häuptlinge waren Bauern, die zu Wohlstand gekommen waren. Ihr äußeres Zeichen: Sie konnten sich Häuser aus Steinen anstelle von Lehmziegeln leisten. Noch heute künden „Steinhäuser” von dieser Zeit. Diesen Häuptlingen wurde häufig die Rechtssprechung übertragen. 1430 jedoch kam es zum Widerstand verschiedener Landgemeinden. Sie forderten, auch die Häuptlinge sollten nichts anderes als „gemeine Friesen” sein. Ihr Führer wurde zunächst Enno Cirksena und später sein Sohn Edzard und es kam zu teils kriegerischen Auseinandersetzungen mit anderen Häuptlingen. Vor allem fehlte den Cirksena ein Adelstitel, um z.B. Herrschaftsansprüchen des Bischofs von Münster entgegentreten zu können. Einer der Nachfolger, Ulrich Cirksena, trug Ostfriesland dem Reich als Lehen an und wurde daraufhin 1454 zum Reichsgrafen ernannt – wobei die Urkunde aber nie gefunden wurde und Ulrich Cirksena auch nie vom Titel Gebrauch gemacht hat. Überfälle des Grafen von Oldenburg
„zeigten (…) Ulrich mehr denn je, dass er so rasch wie möglich einen neuen Besitztitel brauchte, der ihn vor solchen Überfällen sicherte. Und der einzig sichere und haltbare, den es gab, war der kaiserliche Lehnsbrief” (Kurowski 1987, 117).
Kaiser Friedrich III ernannte Ulrich Cirksena 1464 (erneut?) zum Grafen. Das Besondere an diesem Lehnbrief war, dass die „Friesische Freiheit” bestätigt wurde:
„’Die freyheitten und gerechtigkeiten die euch von keyser Karl dem Großen, auch anderen Romischen keysern und kunigen geben’ sollten nicht gemindert werden” (Kurowski 1987, 119).
Die Vertretung der Stände Ostfrieslands, die „Ostfriesische Landschaft”, wurde unter napoleonischer Herrschaft aufgelöst. Letztlich hat sie 1815 mit der Inbesitznahme Ostfrieslands durch das Königreich Hannover ihre Funktion als Parlament der (Ost-)Friesen_innen verloren. Als Organisation besteht sie nach wie vor. Heute aber ist sie nach eigenem Selbstverständnis Hüterin der friesischen Überlieferung und nimmt als solche regionale Aufgaben in den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Bildung wahr.
Die Entrechtung der Ostfriesen_innen
Als die männliche Linie der Cirksena 1744 ausstarb, machte Friedrich II von Preußen sein Erbrecht geltend, beachtete jedoch die „Friesische Freiheit”. Geholt worden waren die Preußen vor allem von den Ständen der Stadt Emden, die die Vorherrschaft des Fürstentums ablehnten und ihren Hafen wieder zu einem der führenden Europas gemacht wissen wollten. Friedrich II, ließ sich sein Kommen „fürstlich” vergüten, verlangte Geld für die Unterhaltung des Landes und für die Freistellung der Ostfriesen vom Militärdienst. Es gibt sogar die These, dass der Bau des Potsdamer Schlosses Sanssouci mit Geldern aus Ostfriesland bezahlt wurde: Friedrich II hatte den Bau schon seit langem geplant; das Erbe Cirksena gab ihm unverhofft die finanziellen Möglichkeiten dazu.[5] In Ostfriesland setzte mit der Übernahme durch die Preußen ein wirtschaftlicher Aufschwung ein; u.a. wurden Moore urbar gemacht und Land durch Eindeichungen gewonnen. Nicht zuletzt wurde auch der Emder Hafen ausgebaut. Während der Napoleonischen Feldzüge geriet Ostfriesland dann unter französische Besatzung, wurde Holland zugeschlagen und mit der Eingliederung Hollands in das französische Kaiserreich 1810 wurde Ostfriesland französisch. Auch die Ostfriesen wurden nunmehr verpflichtet, in Napoleons Truppen zu dienen. Sie sollen sich aber heftig gewehrt und vielfach ins Ausland abgesetzt haben. Nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft kamen 1813 erneut die Preußen. Nunmehr aber war Ostfriesland den Preußen nicht mehr wichtig. Sie verschacherten es und in Aurich zog eine Hannoveraner „Besitznahmekommission” ein:
„Was Ostfriesland seit längerer Zeit gefürchtet hatte, das trat schließlich im Jahre 1815 ein. Der König von Preußen schloß mit dem König von England und Hannover am 29. Mai 1815 einen Ablösungsvertrag. Neben einigen Städten Niedersachsens wurde darin ganz Ostfriesland zu Hannover geschlagen. Dieser Abtretungsvertrag wurde durch alle am Wiener Kongreß beteiligten Mächte anerkannt und in die Wiener Schlussakte vom 9. Juni 1815 aufgenommen” (Kurowski 1987, 380).
„Alle Steuergelder, die früher für das Land mitverwandt wurden, flossen nunmehr in die Generalkasse Hannovers und waren damit verloren. Die ostfriesischen Stände wurden aller Mitspracherechte beraubt” (ebd., 381).
Diese Entmachtung der Stände widersprach der Schlussakte des Wiener Kongresses. Durchsetzen konnte die Landschaft nach langjährigen Verhandlungen aber nur ein Mitspracherecht bei Gesetzen, die ausschließlich Ostfriesland betrafen.
Mit der Annexion Hannovers durch Preußen 1866 wurde Ostfriesland wieder preußisch. In Ostfriesland stieß dies „auf Begeisterung”.[6] Aus der Hannoverschen Landdrostei wurde der Regierungsbezirk Aurich. Mit der Reichsgründung 1871 setzte sich alsbald die kulturelle Verbindung mit Deutschland durch. U.a. wurde in den Schulen nun Hochdeutsch anstelle von Platt oder Niederländisch gesprochen. Seine Selbstständigkeit erhielt Ostfriesland jedoch nicht zurück;