Название | Das NOZ-Magazin 2015 |
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Автор произведения | Neue Osnabrücker Zeitung |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783737568906 |
Der Tourismus ist der andere Pfeiler, auf dem die Hoffnungen ruhen. Der Abenteuerfaktor der Entdeckerzeit ist dabei in Teilen erhalten geblieben. Ein wenig Überwindung braucht jedenfalls, wer sich auf kulinarische Erkundungen in Longyearbyen einlässt: Im Nansen-Restaurant des Radisson-Blue-Polar-Hotels kommen schon einmal Wal und Robbe auf den Teller. Wohlschmeckender sind die Alternativen: Im „Funktionærmessen“, ehemals Club und Unterkunft des Kohlengruben-Managements, ist für das siebengängige Menü mit Ente gedeckt, das einer Champagner-Probe im nördlichsten Weinkeller der Welt folgt.
Und das Team des hippen „Huset“ als dem vornehmsten Restaurant des Ortes punktet mit gebackener Makrele an grünem Kaviar oder kurz gebratenem Rentierfilet, jeweils mit erlesenen Weinen dazu, die nördlich des 78. Breitengrades keineswegs zu erwarten wären. Einfacheres Essen – zum Beispiel das Svalbard-Rentier im Eintopf – gibt es im Bistro des „Huset“ oder im Camp Barentz, einem originalgetreuen Nachbau der Hütte aus Schiffsplanken, in der der niederländische Seefahrer mit seiner Mannschaft den Winter überstand.
Wer handfestere Erlebnisse mag, kommt freilich auch auf seine Kosten. Hundeschlittentouren unterscheiden sich auf Spitzbergen von vergleichbaren Angeboten in Mitteleuropa schon allein dadurch, dass die Gespanne nicht auf Schwerlast, sondern Sportlichkeit ausgelegt und nicht fix und fertig sind, wenn der Gast kommt. Das An- und Abschirren und Versorgen der Hunde gehört dazu – durchaus mit Herzklopfen, sind die muskelbepackten Tiere doch nicht gerade sanfte Schoßhündchen. Auch die anschließende Fahrt durch Schnee, Eis und Fels hat mit glöckchenklingender Schlittenromantik à la Aschenbrödel nur wenig zu tun. Während in Harz oder Alpen jeder Loipenmeter beleuchtet ist, scheinen in den Tälern Spitzbergens nur Mond und Sterne und werden dabei zuweilen vom Nordlicht flankiert – und durch das Scheinwerferlicht, wenn der Guide Ausschau nach Eisbären hält.
Auch motorisierte Schneescooter-Touren führen durch die polare Einöde. Die Ziele können Täler mit Tiefschnee, schillernde Eishöhlen oder turmhohe Gletscherwände sein. Und wer die Stadt für ein kleines Abenteuer nicht verlassen will, kann ein Diplom als „Arctic Hero“ erwerben, indem er in Badehose bei null Grad ins Wasser springt, das hier passenderweise den Namen Isfjord trägt.
Ob der Plan aufgeht, das arktische Archipel nach den Stippvisiten von Seeleuten und Jägern, Fallenstellern und Abenteurern dauerhaft mit einer normalen Sozialstruktur auf Basis von Forschung und Tourismus zu besiedeln? Wer sich in Longyearbyen umhört, stößt auf Zweifel. Früher wohnten ausschließlich Männer hier, aber noch immer dominieren sie den Geschlechtermix deutlich. Auch hat sich bislang nichts daran geändert, dass die Bewohner im Schnitt nur für fünf Jahre bleiben und viele davon die dunklen Winter in ihrer Heimat verbringen, bevor sie zu den Hochsaisonphasen wiederkommen.
Erst diesen Herbst wurden zudem 100 Kohle-Arbeiter entlassen – viele wohnen mit ihren Familien vor Ort. Ziehen sie fort, ist es ein harter Schlag für alle, die auf den fortschreitenden Wandel zu einem gewöhnlichen Städtchen gehofft hatten, auch wenn die Kindergärtnerin beim Ausflug mit den Kleinen wegen der Eisbären das Gewehr zu schultern pflegt.
Das Tourismusgeschäft ist ebenfalls unsicher. An einigen wenigen Tagen im Sommer strömen zwar scharenweise Kreuzfahrtgäste durch den Ort. Aber im langen und dunklen Winter beherrscht die Einsamkeit nicht nur die vereisten Plateaus der umliegenden Berge, sondern auch die Straßen in Longyearbyen mit ihren Hotels und Geschäften, Restaurants und Bars. Bedauerlich finden die Bewohner dies freilich nicht alle. Echte Entdecker wollen schließlich genau dahin, wo kaum jemand ist. Eine touristische Erfolgsgeschichte würde da nur stören.
In der Polarnacht erhellen nur Mond, Sterne und Nordlicht die arktische Szenerie – wenn der Besucher Glück hat. Ansonsten ist es zappenduster. (Hilde Fålun Strøm)
Robbe, Rentier, Wal: Ein arktisches Dinner, das nicht jedem schmeckt. Aber unter dem Strich sind die Gerichte auf Spitzbergen von unerwarteter Qualität. (Burkhard Ewert)
Wie eine Raumstation: Geschlossene Kohlemine über Longyearbyen. (Burkhard Ewert)
Der Eingang zum globalen Pflanzensamenlager. (Burkhard Ewert)
Eisbär-Warnung für das ganze Archipel. Dort leben mehr Bären als Menschen. (Burkhard Ewert)
Vergitterter Himmel über Prag
Irmela Schröck fünf Jahre vor Öffnung deutsch-deutscher Grenze aus Gefängnis befreit
Von Carola Alge
Wenn die Wahl-Haselünnerin Irmela Schröck das vergangene Jahr Revue passieren lässt, muss sie an ein Datum denken, das ihr Leben komplett veränderte: an den 19. Dezember. An jenem Tag vor 30 Jahren wurden sie aus einem Prager Gefängnis entlassen, in dem sie wegen Fluchthilfe einsaß. Ihr damaliger Mann Hanspeter blieb weiter in Haft.
Seit dem 1. Januar 1984 war sie inhaftiert. Das seinerzeit in Düsseldorf lebende Ehepaar saß hinter Gittern, weil es Schröcks Cousine und ihrer Familie damals seine Pässe und sein Auto gab, um ihnen Silvester die Flucht aus der ehemaligen DDR in den Westen zu ermöglichen. „Der Mann meiner Cousine hatte uns glaubhaft gemacht, dass man einen Bundesbürger nicht länger als drei bis vier Tage festhalten könnte. Daraufhin haben wir es gewagt, haben unser Auto als gestohlen gemeldet“, erzählt die heute 70-Jährige von jenem Tag, der den „Anfang vom Ende“ bedeutet habe. Die Napps hatten sich mit den Verwandten in Vimperk, 21 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, getroffen, dort die Übergabe arrangiert.
Für die Cousine und ihre Familie lief alles problemlos. Den Schröcks kam die Volkspolizei, der sie den angeblichen Diebstahl melden mussten, jedoch auf die Schliche. Bei Vernehmungen fragten Beamte, was sich denn alles in dem angeblich gestohlenen Auto befunden hätte. Schröck und ihr Mann mussten zugeben, dass auch ihre Pässe im Handschuhfach lagen. Die Polizei zählte eins und eins zusammen, rief an der nahe gelegenen Grenzstation an und stellte fest, dass dort in Waidhaus ein Mercedes mit vier Personen ausgereist war. Für die Cousine war mit der Überschreitung der Grenze die Flucht beendet. Sie war frei.
Das Ehepaar Schröck aber wurde verhaftet, kam nach Ceske Budjovice (Budweis) in den Knast. Fluchthilfe war der Vorwurf. Irmela Schröck, die seinerzeit noch Napp hieß, glaubte dennoch daran, bald wieder freigelassen zu werden. Dazu kam es nicht, weil ihr Mann nach drei Tagen Haft gestand. „Warum er das gemacht hat, habe ich nicht verstanden“, sagt die heute in Haselünne lebende gebürtige Sächsin, deren erste Ehe neun Jahre nach dem Vorfall auseinanderging. „Wir hatten ausgemacht, dass ich – falls alle Stricke reißen – eventuell gestehen sollte, alles hinter dem Rücken meines Mannes organisiert zu haben, damit wenigstens ein Elternteil bei den Kindern sein konnte.“
Stattdessen kam eben die Haft. Für die Deutschen begann eine reine Tortur. Die Haare wurde den Neu-Häftlingen auf zwei Zentimeter Länge abgeschnitten. Dann ging es in die sogenannte Kapitalisten-Abteilung im Gefängnis. Dort war Strafarbeit angesagt: Prospekte falten, Druckknöpfe sortieren. Schaffte jemand sein Soll nicht, drohten drastische Strafen: Unterbringung im eisigen Keller ohne Matratze