Die Regeln der Gewalt. Peter Schmidt

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Название Die Regeln der Gewalt
Автор произведения Peter Schmidt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847654728



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seinen Rückzug entdeckt hatte, schob er leise die Tür zu und verließ so unauffällig wie möglich das Lokal.

      Er ging schnell bis zum Ende der Gasse, dann im Schutz mehrerer parkender Reisebusse über den Rathausplatz.

      Lummer galt schneller Schütze. Und er pflegte nicht zu warten, bis jemand ihm diesen Ruf streitig machte. Er hatte Birke auf dem Gewissen. Das Hirn über die Kachelwand neben dem Fahrkartenautomaten verteilt …

      Er benutzte den gleichen Browning-FN, Kaliber neun Millimeter, wie sie. Werders ging durch eine Toreinfahrt, bog in den nächsten Hauseingang und horchte auf Schritte …

      Nichts, dachte er erleichtert. Plötzlich wurde das Bedürfnis nach einem Bett und einem heißen Bad übermächtig.

       Herrgott noch mal. Da ist die Wohnung, und ich steh hier unten wegen einer Gardine, die sich bewegt hat …

      Er trat langsam aus dem Schatten des Hauseingangs und ging weiter. Das Hochhaus lag am Anfang der Parallelstraße.

      2

      Werders fuhr mit dem Lift in die Tiefgarage und ging der Reihe nach jeden parkenden Wagen ab, seine Hand in der Leinentasche versenkt, den entsicherten Browning so in der Faust, dass er jederzeit durch den Taschenrand zielen konnte.

      Keiner der Wagen war besetzt. Er sah jedes Mal auf ihre Fußmatten und die Rücksitze.

      Dann fuhr er mit dem Lift bis zur Etage, in der die Wohnung war.

      Er schlug laut die Fahrstuhltür zu, öffnete die danebenliegende Tür der Abstellkammer, in der sich Reinigungsgeräte und eine Aluminiumleiter befanden, warf sie ebenfalls vernehmlich zu – und öffnete sie sofort wieder einen Spalt weit.

      Dabei horchte er in den Gang hinaus.

      Jetzt hätte sich eigentlich etwas rühren müssen, wenn Gefahr im Anzug war. Meist postierten sie ihre Leute hinter den benachbarten Türen, und wenn sie über Funksprechgerät die Nachricht erhielten, dass er hochkam, würde das Schlagen der Tür ein Signal sein, mit der Waffe in der Hand herauszustürmen.

      Aber nichts geschah …

      Er wartete zehn Minuten ab …

      War wieder mal zu vorsichtig, dachte er und schob die Tür der Abstellkammer auf …

      Die Wohnung besaß einen Vorraum, der durch eine weitere Tür verschlossen war. Als er aufgeschlossen und die Klinke gedrückt hatte, sah er, dass im Zimmer dahinter Licht war … es flackerte bläulich und schien von einem Fernseher zu kommen. Werders erstarrte …

      Ein plötzlicher Schweißausbruch ließ ihn frösteln.

      Jetzt wieder die Nerven behalten, ermahnte er sich. Wenn sie meine Waffe sehen, schießen sie sofort. Also würde er auch ohne Warnung schießen. Falls sie hinter ihm in den Korridoren warteten, war es besser, sich den Weg nach vorn freizuschießen und über die Balkone zu flüchten. Das war seine Chance …

      Er drückte langsam die Tür zum Wohnzimmer auf. Im Fernsehsessel vor ihm schnarchte ein kleiner, graubekittelter Mann. Werders sah seine Goldzähne. Über den Bildschirm flimmerte eine Ballettrevue.

      Der Hausmeister, dachte er erleichtert.

      Als Werders sich bewegte, öffnete der kleine Mann wie durch Gedankenübertragung die Augen. «He … ach Sie sind’s», sagte er; dabei wischte er sich mit zwei Fingern über die Stirn, und Werders bemerkte erstaunt, dass er sich danach bequem wieder in den Sessel zurücksinken ließ. «Es ist nur …, weil so oft niemand da ist, schau ich hier schon mal nach dem Rechten.»

      «Vor unserem Fernsehgerät?»

      «Gehört zum Service.» Er grinste breit.

      Werders fragte sich, woher er diese Frechheit nahm.

      «Ich bin Küppers, der Hausmeister. Mit dem Zentralschlüssel lassen sich alle Türen öffnen.»

      «Und das gibt Ihnen das Recht, hier einfach …?»

      «Setzen Sie sich doch. Da am Sessel steht was zu trinken. Dosenbier.»

      «Danke. Würden Sie jetzt vielleicht …?»

      «Scheußliche Programme. Ganz scheußlich.» Er hob die Fernbedienung, um weiterzuschalten.

      Werders machte ein paar Schritte zum Fernseher und schaltete ihn ab. Dann ging er an den Wäscheschrank, legte ein frisches weißes Hemd heraus (der Geruch von Waschpulver tat ihm gut), nahm aber seine Hängetasche nicht ab, sondern betrat das Bad.

      Er wusch sich die Hände und sah in den Spiegel. Er hatte das Gefühl, dass der verdammte Kerl sich auf seine Kosten einen Scherz erlaubte.

      Gegen solche Scherze war er allergisch. Erst recht, wenn sie ihn persönlich betrafen.

      Als er fertig war, ging er ins Nebenzimmer, legte sich auf die Couch, nahm einen Zigarillo, hielt ihn eine Weile kalt im Mund und zündete ihn dann erst an. Von seinem Platz aus konnte er den Hausmeister in seinem Fernsehsessel nicht sehen … aber das Fernsehgerät war wieder eingeschaltet worden. Ein stummes Ballett, mit abgeschaltetem Ton, nur von dem gelegentlichen Zischen eines Ringverschlusses und den Schlucken aus der Bierdose unterbrochen. Werders betrachtete irritiert die geblümten Vorhänge zur Hofseite.

      «Ist Ihre Verlobte verreist?», fragte Küppers durch die offene Tür.

      «Wer? – ja, richtig. Bis morgen früh.»

      «Aber nicht nach Südafrika, hab ich recht?»

      Werders schwieg. Was sollte das nun wieder bedeuten? War der Kerl denn völlig übergeschnappt?

      Er stand auf, drückte den Zigarillo aus, nahm etwas zu essen aus dem Kühlschrank – Zwieback, Dauerwurst, Ölsardinen: Lebensmittel, die sich lange hielten und daher während ihrer Abwesenheit nicht schlecht wurden – und legte alles auf den Esstisch hinter Küppers Rücken.

      «Wollen Sie Bier?», erkundigte sich der Hausmeister. «Da unten steht noch genug von dem Zeug.»

      Werders folgte seiner ausgestreckten Hand. Erst jetzt bemerkte er die Batterie der Bierdosen am Fußende des benachbarten Sessels, dänisches Bier in Halb-Liter-Dosen. Einige waren leer.

      «Sie sind ja betrunken», sagte er «Und die Bierflecken auf dem Teppichboden …?»

      «Das sickert ein und ist weg …»

      Werders öffnete die Packung mit dem Zwieback, schnitt etwas Dauerwurst ab und aß schweigend. Dann nahm er eine Tageszeitung aus der Leinentasche. Er breitete sie vor sich auf dem Tisch aus und überflog die Kleinanzeigen im Gebrauchtwagenteil.

      Ein roter Audi wurde angeboten – mit der etwas merkwürdigen Offerte: zu tauschen gegen älteres Mercedes-Coupe.

      Sie haben also einen sauberen Wagen, dachte er zufrieden. Es machte vieles leichter. Der Satz war das vereinbarte Zeichen. Schon drei Tage alt. Er hatte sich das Exemplar der Zeitung in der Geschäftsstelle der Annoncenannahme besorgen müssen, weil die Luxemburger Grenze wegen der Fahndung nach einem Bankräuber genauestens kontrolliert worden war; schließlich wollte er nicht in eine Falle laufen, die einem anderen galt.

      Das Fernsehgerät wurde lauter gestellt.

      «Haben Sie nichts Besseres zu tun, als hier herumzusitzen?», erkundigte sich Werders.

      «Meine Frau ist verreist», wehrte Küppers ab. «Und weil unser Fernseher in Reparatur ist, hab ich mir … Fräulein Norden hätte sicher nichts dagegen.»

      Er hob eine weitere Dose vom Boden auf und öffnete sie zischend.

      «Fräulein Ulla Norden», sagte er. «Früher wohnhaft in Mannheim, Steinstraße 43, wie auf dem Meldezettel angegeben.»

      Werders faltete seine Zeitung zusammen, er legte verblüfft beide Hände auf den Tisch. «Was sagten Sie?», fragte er vorgebeugt. «Ihre Verlobte. So heißt sie doch?» Küppers wandte schwerfällig