Die Schattensurfer. Hubert Wiest

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Название Die Schattensurfer
Автор произведения Hubert Wiest
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783847667841



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Leben schon genug für RUHL getan. Hauptsache, du kannst gut programmieren. Für den Anfang bekommst du 5000 im Monat.“

      „5000?“, stammelte Luan.

      „Na ja, für den Anfang. Wenn du dich richtig reinkniest, zahle ich dir auch 10000 oder 20000. In Ordnung? Schlag ein!“, dröhnte Kalawesi und hielt Luan seine Hand entgegen.

      Luan konnte sein Glück nicht fassen. Nicht nur, dass er ohne Kristallfeier als Programmierer genommen wurde, nein, Kalawesi bot ihm auch noch wahnsinnig viel Geld. Luan atmete ganz tief durch und griff nach Kalawesis Hand.

      Doch im allerletzten Moment zog Kalawesi seine Hand zurück und tat so, als hätte er Luans Hand übersehen.

      „Da wäre noch eine Kleinigkeit“, meinte Kalawesi. „Dir ist sicherlich klar, dass du nicht in Mallinport bleiben kannst. Das ist viel zu gefährlich. Wenn dich die Sipos erwischen, lassen sie dich für immer verschwinden, und dann kann ich auch nichts mehr für dich tun.“

      Luan hielt seine Hand immer noch ausgestreckt. Jetzt zitterte sie. Dieser Kalawesi machte einen Scherz auf seine Kosten. Das war gemein.

      Aber Kalawesi grinste: „Du wohnst mit den anderen in der Schattenstadt. Verstanden!“ Wieder donnerte er seine Faust auf den Tisch.

      Luan verstand gar nichts. Er schüttelte den Kopf: „Was ist das, die Schattenstadt?“

      Kalawesi lachte: „Kaum jemand kennt sie, aber vielleicht hast du schon einmal von Mallinports verlassenen Nordvierteln gehört?“

      „Das waren früher Armenviertel“, wusste Luan aus der Schule. „Aber seit RUHL an der Macht ist, gibt es keine Armut mehr. Jeder hilft jedem. Alle haben die Nordviertel verlassen. Niemand muss mehr in den Nordvierteln leben.“

      „So in etwa“, stimmte Kalawesi zu. Er sah belustigt aus. „Als damals die Nordviertel verlassen wurden, standen die meisten Häuser leer. Niemand kümmerte sich um sie. Sie vergammelten, verkamen zu Ruinen. Viele Häuser in den Nordvierteln waren nicht ordentlich gebaut, sondern nur aus Schutt zusammengeflickt. Vor einigen Jahren wurde ein Mann durch ein einstürzendes Haus verletzt und musste ins Krankenhaus.

      Nach diesem Vorfall beschloss RUHL, zur Sicherheit aller Bürger die Nordviertel mit einer Mauer abzutrennen, der Dunklen Mauer. Sie ist hervorragend gesichert. RUHL gibt keine Informationen über die Mauer preis. Die allerwenigsten wissen überhaupt von ihr.

      Als die Mauer gebaut wurde, blieben nur zwielichtige Gestalten, ein paar Aussteiger und die Garmal-Sammler in den Nordvierteln wohnen. Sie nannten die Nordviertel von nun an Schattenstadt, denn sie lebten im Schatten der Dunklen Mauer. Im Grunde lebt es sich nicht schlecht in der Schattenstadt. Man hat seine Ruhe und die Sipos lassen sich dort nicht blicken.“

      Umständlich drückte Kalawesi noch etwas Senf aus der Tube und hielt ihn der Ratte hin. Er schien Luans Neugier zu spüren und ließ sich besonders viel Zeit. „Das ist genau der richtige Ort für Menschen, die Schwierigkeiten mit RUHL haben oder ungerecht behandelt wurden, so wie du“, fuhr er endlich fort. „Ohne Kristallfeier hast du in Mallinport keine Chance. Vier oder fünf Jahre würde das vielleicht noch gut gehen. Die Leute würden glauben, du bist noch keine 17 Jahre alt. Aber dann wäre es damit vorbei. Jeder würde wissen, dass du nicht zum Kristallfest zugelassen wurdest. Du wärst kein Mitglied der Gesellschaft mehr, sondern ein Schmarotzer. Niemand würde dich unterstützen und Zeit deines Lebens würden die Leute dich wie einen Schuhabstreifer behandeln.“ Kalawesi runzelte die Stirn und sah aus, als würde er sich Sorgen um Luan machen.

      Luan schluckte. Er hatte plötzlich so einen Klumpen im Hals.

      „Meine Teams arbeiten und leben in der Schattenstadt“, fuhr Kalawesi fort. „Dort sind sie ungestört. Ich schreibe ihnen nicht vor, was sie zu tun und zu lassen haben. Das interessiert mich nicht. Ihre einzige Aufgabe ist es, neue Attraktionen für den Lunapark zu entwickeln.“

      „Wie komme ich in die Schattenstadt, wenn sie hinter der Dunklen Mauer liegt?“, sorgte sich Luan.

      „Ich habe da so meine Tricks, dich rauszubringen.“

      „Und wieder zurück nach Mallinport?“, bohrte Luan nach. Er wollte nicht in die Schattenstadt. Wenn irgendetwas schiefging, konnte ihm dort draußen niemand helfen. Was waren das für Menschen, die dort freiwillig lebten? Luan fühlte sich, als würde Kalawesi ihn bei Tauwetter auf eine Eisscholle setzen. Es war doch nur eine Frage der Zeit, bis er unterging.

      Kalawesi strich in kreisrunden Bewegungen über seinen Bauch. Das goldene Hemd spannte sich und schimmerte im weichen Licht wie eine Weihnachtskugel. Er ließ sich viel Zeit bis er antwortete: „Zurück nach Mallinport, das ist viel schwieriger. Du kannst nicht einfach am Wochenende nach Mallinport fahren. Das geht nicht. Aber wenn du einige Jahre gut gearbeitet hast, besorge ich dir einen Kristall. Einen roten Kristall. Und dann bringe ich dich zurück nach Mallinport. Du kannst dein Leben als ehrenwertes Mitglied der Gesellschaft genießen. Das verspreche ich dir.“

      Luans Gefühle wechselten sich ab wie Wüstensturm und Eisregen. Begeistert glühte sein Gesicht. Ein Traumjob als Lunapark-Programmierer, unglaublich viel Geld und ein roter Kristall, das klang nach wunderschönem Märchen. Aber im nächsten Moment jagte ein Schauer aus Eissplittern über seinen Rücken. Wenn ihn Kalawesi überhaupt nicht zurückholen würde? Konnte er Kalawesi trauen? Er kannte den Mann doch gar nicht. In der Schattenstadt würde niemand ihn beschützen. Keiner würde wissen, dass er dort wäre.

      Kalawesi schien Luans Zögern zu bemerken. Er scheuchte Rüdiger vom Tisch und beugte sich zu Luan. Freundschaftlich legte er Luan die Hand auf die Schulter: „Du bist wirklich begabt, mein Junge. Ich kenne niemanden, der so schnell den Computer des Golden Surfers geknackt hat. Bodin könnte dich gut in seinen Teams gebrauchen.“

      Wie unter Starkstrom zuckte Luan zusammen: „Bodin, Marc Bodin?“

      Kalawesi lächelte und lehnte sich zurück: „Sicher, Marc Bodin. Er leitet meine Programmiererteams in der Schattenstadt. Er ist der technische Kopf des Lunaparks. Kennst du ihn?“

      Die letzten Eissplitter des Zweifels schmolzen im Wüstensturm. Luan konnte es nicht glauben: „Sie meinen Marc Bodin, den genialen Programmierer? Er wäre dort mein Chef und ich könnte ihn vielleicht einmal treffen?“

      „Natürlich wirst du ihn sehen und ihm die Hand geben und mit ihm sprechen. Marc ist ein cooler Typ, ein guter Kumpel. Er wird dir gefallen.“ Kalawesi schmunzelte. „Nun, was hältst du von meinem Angebot? Ich denke, das Team der Schattensurfer ist genau richtig für dich. Die Schattensurfer brauchen einen wie dich. Meine Programmierer arbeiten in verschiedenen Teams. Ich habe festgestellt, dass ein wenig Wettbewerb zwischen den Teams die Ergebnisse verbessert.“

      Luan riss seine tintenblauen Augen auf. Für Marc Bodin würde er überall arbeiten. Das war absoluter Wahnsinn. Vor einer halben Stunde hätte er noch jeden für verrückt erklärt, der ihm das erzählt hätte.

      Kalawesi hielt Luan die Hand hin. Luan schlug ein und sein allergrößter Wunsch ging in Erfüllung, einfach so, ohne dass er etwas dafür tun musste.

      Luan verdrängte darüber nachzudenken, wieso Kalawesi trotz seines lila Kristalls Menschen in der Schattenstadt für sich arbeiten ließ und woher er einen roten Kristall für Luan nehmen würde. Luan war plötzlich egal, dass es verboten war, in die Schattenstadt zu reisen und eigentlich unmöglich, zurückzukommen.

      7 IN DER SCHATTENSTADT

      „Willkommen im Team“, gratulierte Kalawesi und reichte Luan ein Glas sprudelndes Chambrottelixier.

      Mit zittrigen Fingern nahm Luan das Glas und stieß mit Kalawesi an. Noch nie hatte er Chambrottelixier getrunken. Die perlende Energie stieg ihm direkt in den Kopf.

      Kalawesi ging vor dem Couchtisch auf und ab. Dabei hielt er sein Glas hoch erhoben. „Der Lunapark begeistert Menschen. Unser Ziel ist es, die beste Unterhaltung der Welt zu erschaffen. Unsere Gäste sollen den Alltag für ein paar Stunden vergessen. Und ist es nicht die schönste Aufgabe der Welt, anderen Menschen Vergnügen zu bereiten?“

      Luan