Am Rande. Eine Bemerkung. Anna Lohg

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Название Am Rande. Eine Bemerkung
Автор произведения Anna Lohg
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742722935



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im nächst größeren Nest, sollte ihm wieder helfen, diesmal nicht Briefträger zu werden, sondern einer zu bleiben. Denn dem Vetter waren die blauen Uniformen auch viel lieber, die anderen nicht so ganz geheuer, so half er jedem Briefträger, der nicht in den Krieg wollte, dem Staat anderweitig zu dienen. An dem Vetter war es nicht gelegen, sondern einzig an seiner Sturheit, dass Edmund schließlich doch den Krieg mitmachte.

      Je länger das Gemetzel andauerte, desto mehr wurden an die Front geschickt, denn wenn der Krieg näher kommt, sind auch die Kinder entbehrlich, nur Edmund blieb der unabkömmliche Briefträger. Er brachte wie je gewissenhaft die Post, machte alles so wie immer, tat so, als hätte sich nichts verändert und erfreute sich an einer Realität, die er einfach ignorierte.

      "Einen schönen guten Morgen!"

      Edmund brachte die Post und preiste wie je den schönen guten Morgen, dabei hätte er einer einzigartigen Wahrheit und großartigen Ordnung huldigen können, wunderbar hergerichtet mit leicht erkennbaren Markenzeichen und einer grandios leichten Erzählung für jedermann, so dass alle wissen konnten, was zu denken sei. Dankbar dem Führer zu dienen, der sein williges Volk weise in ein tausendjähriges Reich geleiten würde, voll tüchtig glücklicher Herrenmenschen und ihren rein blonden, ewig gebärenden Frauen, doch Edmund grüßte lieber den Morgentau.

      "Heil Hitler!" Stramm den rechten Arm gen Himmel gereckt.

      "Einen schönen guten Morgen!", sagte dieser blau uniformierte Diener des Staates aus reiner Sturheit.

      

      Mia dagegen war ganz entzückt. Ihr gefielen diese feschen Jungs mit ihren verwegenen Frisuren, in diesen herrlich schneidigen Uniformen, mochte deren Farbe nicht ganz so liebreizend sein, aber in diesen schwarzen Stiefeln war es ihr durchaus ein erfreulicher Anblick. Dazu diese ergreifende Geste, wenn diese feschen Jungs die Hand zum Gruß gebieterisch nach oben schnellten, das hätte sie auch gerne gemacht, wäre ihr dabei nicht stets die Bluse aus dem Rock gerutscht. Sie war ganz angetan von diesem Auftreten, es wirkte so entschlossen, ja, so schlagend männlich, und das machte schon was her. Das war wie eine Erlösung von der Schmach des verlorenen Krieges, es wäre die Befreiung von der Unterjochung irgendwelcher Siegermächte, ihrer erzwungenen Reparationen, ruhte eine erdrückende historische Last auch auf ihren zarten Schultern. Und da machte es doch Sinn, nun ein tausendjähriges Reich mit lauter aufrechten Männern und Frauen aufzubauen. Und die von Natur aus Unaufrechten könnten in Holzschuhen und Schürzen die niedere Arbeit verrichten, also, das war doch wenigstens mal bedenkenswert. Und nun ja, vielleicht war das ein bisschen übertrieben, das mit den Juden, die hatten sie eigentlich nie belästigt, zumindest die im Dorf nicht, aber es hatte doch gewiss seine Berechtigung, wenn die zum arbeiten weggebracht wurden, denn für das Reich musste schließlich einiges getan werden. Allerdings, ein bisschen schade war es schon, dass ein paar von den feschen Jungs den Josef Bett reif geprügelt hatten und der darauf weglaufen war, das wäre sicher nicht nötig gewesen, denn der Josef war eigentlich auch ganz fesch gewesen und seine Gesinnung hatte sie nie gestört, das war doch nun wirklich nicht von Belang, dieser Kommunismus. Und überhaupt, wer interessierte sich schon für Politik?

      In dem kleinen Haus stand Mia kurz vor der Geburt ihres zweites Kindes und Edmund liebte sie, ganz egal was sie dachte, hat er sie letztlich nicht ernst genommen.

      Unterdessen wurde Edmund heftig von seinem Vetter bei der Postdirektion bedrängt, zum Donnerwetter, sollte er als Diener des Staates endlich den Arm strecken, um des lieben Friedens Willen.

      "Edmund.", mahnte der Vetter. "Das ist gar nicht schwer.", sagte er, stand auf und hob seinen Arm. "Sieh her. Das ist ganz leicht." Mit dem schräg nach oben ausstrecktem Arm, schien es, als wolle er dort in seiner Amtsstube eine schwierige Pirouette üben.

      "Das ist albern."

      "Edmund.", der Vetter schüttelte den Kopf. "Du verstehst den Ernst deiner Lage nicht." Edmund dürfte sehr wohl den Ernst seiner Lage verstanden haben, es war sein Vetter, der die Sturheit nicht verstand. Wegen dem Hans würde Edmund gewiss keinen Hampelmann machen, also auf gar keinen Fall weder sein Bein noch seinen Arm sonst wohin hampeln.

      "Der will sich das goldene Lenkrad verdienen."

      "Edmund.", der Vetter schien verzweifelt. "Der beschwert sich überall. Inzwischen auch bei den ganz hohen Stellen. Der Postbote hat nun mal gefälligst den Hitlergruß zu machen."

      "Der hat sich schon in der Schule überall angebiedert."

      "Edmund.", flehte der Vetter um ein Einsehen. "Wegen diesen Beschwerden kann ich dich hier bald nicht mehr halten. Die schicken jetzt schon die Kinder an die Front."

      "Der Hans kann mich schon seit der Schule nicht leiden. Wenn es nicht der Arm ist, findet der was anderes, um sich darüber zu beschweren."

      "Edmund! Nur den Hitlergruß! Sei doch vernünftig!"

      Der Hans war zum Bürgermeister erklärt worden, nachdem der Vorgänger unverhofft abgedankt hatte. Zum feierlichen Anlass war Hans umgehend in eine Uniform geschlüpft, bei der ihm die Nähte ein wenig spannten, wie Mia meinte. Hans fühlte sich allemal dazu berufen, im Dorf endlich für Ordnung zu sorgen. Mit dem Hackenkreuz an der Tracht und förderlichen Einsichten im Kopf sah sich Hans, insbesondere als Bürgermeister, voll umfänglich im Besitz der Wahrheit, folglich im Recht. Die Partei, mit der er rundum konform ging, bot ihm nun die Gelegenheit, wahrhaft Großes zu verrichten und keiner der dörflichen Kleingeister könnte ihn dabei aufhalten, denn niemand stellt sich einem Hans in den Weg. Als erstes kümmerte sich Hans um dieses Gesindel am Rand des Dorfes, die hätten schon längst aus ihrer dürftigen Holzhütte entfernt werden müssen, ließ sich mit diesen verlausten Lumpensammlern nämlich kein Staat machen, erst recht kein tausendjähriges Reich. Nachdem die Zigeuner endlich weg waren, kümmerte sich Hans um den Totengräber, diesen abartigen Menschen, gewiss ein als Christ verkleideter Jude, nichts weiter als unwertes Leben, welches Hans bequem deportieren ließ. Überdies konnte der Fabrikant die schäbige Baracke vom Totengräber gut gebrauchen, weil in der Nähe der Fabrik schleungist elendig viele Zwangsarbeiter untergebracht werden mussten, hatte sich Hans mit unermüdlicher Tatkraft auch darum gekümmert, würde doch ansonsten das wirtschaftliche Rückgrat des Dorfes zusammenbrechen, da alle Arbeiter rechtschaffen an der Front kämpften. Und so sorgte sich Hans verlässlich um die großen Dinge und kleinen Gesten, stets geleitet von einem strengen Pflichtgefühl und ausschließlich zum Wohlergehen des ganzen Dorfes. Alles, aber auch wirklich alles, was er tat, meinte er von Herzen gut.

      Endlich sollte sich Hans auch eifrig darum kümmern, dass Edmund wegen seiner Sturheit an die Front geschickt wurde, nachdem Mia ihr zweites Kind auf die Welt brachte. Einen Jungen den sie Paul nannte, aber erst nachdem er seinen ersten Happen vollständig geschluckt und verdaut hatte. Dass Edmund ausgerechnet jetzt Krieg machen sollte, kam ihr nicht sonderlich gut zu pass, soweit wollte sie eigentlich nicht in diese, doch wohl eher politischen Angelegenheiten mit hinein gezogen werden. Tausend Jahre, ein Reich und nun wurde auch noch die Seife knapp, die sie dringend zum waschen der Windeln brauchte. An die wirklich wichtigen Dringlichkeiten dachte augenscheinlich niemand.

      Inzwischen stand Edmund in einer anderen Uniform auf dem Appellplatz. Hastig war er in die nächstbeste Kaserne verbracht worden, sollte dort mit anderen Nachgezogenen ein paar Tage trockene Übungen vollführen, um sich für die anhängige Schlacht zu wappnen. Eilig erteilte Lektionen schienen einer siegreichen Wehrmacht zu genügen, zumal sterben sowieso schon jeder kann. Gleich am ersten Tag hatte sich Edmund, bemüht stramm in einer zu großen Uniform, in der ersten Reihe aufgestellt, er war es leid ständig hinten zu stehen und nichts zu sehen. Doch was er sah, unverstellt von ganz vorne, gefiel ihm gar nicht, wie ein tollwütiger Dirigent stand da dieser Feldwebel oder war es ein Offizier, eben so ein ungehobelter Kerl, der ein betrübt wirkendes Orchester vollkommen überdreht anschrie. Rüde Umgangsformen waren doch ausgesprochen unangenehm, solcherlei Ansprachen hatte Edmund bereits in der Schule verabscheut, trotzdem bleib er stehen, so wie er damals gegenüber dem schreienden Lehrer mucksmäuschenstill sitzen geblieben war, als sei er ein dressiertes Äffchen in einem Zirkus, das vor einem frenetisch applaudierenden Publikum beim nächsten Knall der Peitsche durch einen brennenden Reifen springt.

      Angst