Название | Die Liebe in deinen Spuren |
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Автор произведения | Nancy Salchow |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738067651 |
„Ja“, antwortete ich leise. „Ein Profi.“
*
Die braunen Reste von krümeligem Rührei auf meinem Teller erinnerten mich daran, mir die Telefonnummern ansässiger Pizzalieferanten zu besorgen. Vier Wochen waren eine lange Zeit, vor allem, wenn man nicht kochen konnte.
Mit dem Laptop auf dem Schoß saß ich mit ausgestreckten Beinen auf dem Sofa des fremden Wohnzimmers. An diesem ersten einsamen Abend konnte ich noch kein Vertrauen in die neue Umgebung fassen. Ich fühlte mich seltsam deplatziert und weit weg von allem. Weit weg von Hamburg. Und irgendwie auch weit weg von mir selbst.
Seit mittlerweile zwei Stunden durchforstete ich mein Archiv von Textbausteinen, die ich im Laufe der letzten Jahre in besonders hellen Momenten zusammengetragen und für die spätere Verwendung abgespeichert hatte. Den eigentlich ersten Schritt, mir die Demos anzuhören und nach der jeweiligen Stimmung des Songs über eine erste Richtung des Themas nachzudenken, zögerte ich instinktiv hinaus. Stattdessen starrte ich auf eines der Bilder, das auf der Collage meines Laptophintergrundes zu sehen war. Das Foto zeigte die Band und mich auf der Aftershow-Party der Verleihung eines Musikpreises, den sie für ihr Debütalbum erhalten hatten. Zacharias und Anton standen links von mir, Lars ganz rechts, während Piet direkt neben mir seine Hand auf meine Schulter legte.
Jedes Mal, wenn ich das Bild betrachtete, fiel mir das mädchenhafte Rosa meiner Wangen auf, das eindeutig auf zu hohen Martinikonsum zurückzuführen war. Das lange dunkelblonde Haar, das auf den olivgrün schimmernden Stoff eines Blazers fiel, der selbst heute noch in meinem Kleiderschrank hing. Piet, der sein dunkles Haar damals wie heute millimeterkurz trug, in einem schwarzen Shirt mit dem Schriftzug Qreuzwort, dem Namen der Band.
Wie alt war ich auf dem Foto? 25? 26? Dann war Piet höchstens 27. Drei Jahre war das inzwischen her, und noch immer erinnerte ich mich genau an die ausgelassene Stimmung. Er hatte an jenem Abend darauf bestanden, dass ich den Preis mit nach Hause nehme, denn seiner Meinung nach hatte die Band ihn zum Großteil meinen Texten zu verdanken. Ich hatte mit dem Argument abgelehnt, dass keine von Tausend verliebten Teenies auf den Text achtet, wenn gutaussehende Jungs mit Gitarren die Bühne stürmen. Resultat unserer endlosen Diskussion war das Anbringen eines Regals im Probenraum, auf dem der Preis plaziert wurde, um die Frage, wer ihn mit nach Hause nimmt, endgültig aus der Welt zu schaffen.
Ich öffnete das Textverarbeitungsprogramm, um Piets Anblick zu entgehen. Fotos vergangener Zeiten waren keine besonders große Hilfe bei dem Versuch, mich von den Erinnerungen abzulenken. Stattdessen überwand ich mich, endlich den ersten Track der Demos zu öffnen. Es war an der Zeit, produktiv zu werden.
Bereits bei den ersten Tönen – zu hören war eine einzelne Akustikgitarre – überkam mich das überwältigende Gefühl von beinahe schmerzlichem Vertrauen. Ich wusste, dass es Piet war, der für gewöhnlich die Rohfassungen der Demos einspielte, und auch bei diesem Track hatte ich seine Hände auf den Gitarrensaiten regelrecht vor Augen.
Ich klickte auf den Pause-Button und holte tief Luft. Wie sollte ich die Arbeit an vollen vierzehn Stücken durchhalten, wenn ich bereits bei den ersten Sekunden eines Songs gegen die Emotionen ankämpfte?
Andererseits waren es genau die Emotionen, die ich brauchte, um so zu schreiben, wie man es von mir erwartete. Wie ich es von mir erwartete!
„Profi“, murmelte ich mir selber zu. „Du bist ein Profi, Tina. Immer dran denken!“
Und während ich versuchte, mein eigenes Mantra zu verinnerlichen, wanderte der Cursor erneut zum Play-Button.
Die ersten Töne des Songs waren wie kleine Nadelstiche, die sich langsam in die Oberfläche meiner Haut bohrten. Jeder Akkord fügte dem Bild in meinem Kopf ein weiteres Detail hinzu. Dem Bild von Piet.
„Profi“, summte ich mir erneut zu. „Du bist ein Profi. Und Profis lassen sich nicht durch überflüssige Emotionen von ihrer Arbeit ablenken.“
Als nach einem längeren Intro die erste Strophe folgte, die er mit einem Wechsel im Rhythmus andeutete, begann schließlich der vertraute Ablauf in meinem Kopf. Wortfetzen reihten sich zusammenhanglos aneinander, um mit jedem weiteren Ton langsam Form anzunehmen.
Ein Gefühl der Erleichterung überkam mich. Die Gedanken an Piet hatten mich nur kurzzeitig aus dem Konzept gebracht, taten jedoch der instinktiven Suche nach einem geeigneten Thema für den Song keinen Abbruch.
Die Mollakkorde hauchten dem Song Wehmut ein. Eine Wehmut, die nur allzu gut zu meiner eigenen Stimmung passte. Vielleicht wartete der Song ja auf einen Text über einen Gitarristen, der seiner ambitionierten Songtexterin durch eine viel zu vertrauensselige Freundschaft Hoffnungen machte, die er mit einem denkwürdigen Wochenende krönte, nur um ihr wenige Wochen später mitzuteilen, dass seine Freundin, mit der er eigentlich Schluss gemacht hatte, ein Kind von ihm erwartet.
Ich klickte erneut auf Pause, um den Worten die Chance zu geben, sich in Ruhe zu sammeln. Noch bevor ich mir Gedanken über das Thema des Songs machen konnte, tauchten die ersten Zeilen wie eine Offenbarung vor meinem inneren Auge auf.
Ich hab zu lange gefehlt
In deinen Zukunftsskizzen
Viel zu lange gewartet
Auf einen Platz im Sitzen
Ich atmete tief ein. Die Detailliertheit, in der sich die Worte zu einem Textanfang gesammelt hatten, irritierte mich. Woher war der Einfall dazu gekommen, so plötzlich und ohne jede Vorankündigung? Lag der Grundstein dieser Zeilen womöglich in bereits existierenden Textbausteinen, die ich vor längerer Zeit geschrieben und nun unbewusst abgerufen hatte?
Ich versuchte, mich zu erinnern. Nein, diese Worte waren neu. Noch dazu auf seltsame Weise fremd, fast so, als hätte ich sie irgendwo anders aufgeschnappt. Ohne weiter darüber nachzudenken, schrieb ich die Zeilen, die in meinem Kopf herumschwirrten, in das offene Dokument meines Laptops.
Ich hab zu lange gefehlt
In deinen Zukunftsskizzen
Viel zu lange gewartet
Auf einen Platz im Sitzen
Nur ein Stehplatz am Fenster
In stickigen Massen
Um am Ende mich selbst
Auf der Strecke zu lassen
Mit offenem Mund starrte ich auf den blinkenden Cursor unter dem Text. Waren das wirklich meine Worte? Und was hatten sie zu bedeuten?
Für gewöhnlich schrieb ich die ersten Zeilen aus einer Laune heraus, um sie dann später in Richtung eines bestimmten Themas zu lenken. Hier war jedoch nur allzu deutlich, dass das Thema bereits feststand, ohne dass ich mir vorher Gedanken darüber gemacht hatte.
Doch meine Verwunderung hielt nicht lange an, viel zu fordernd überkamen mich die nächsten Textzeilen, die ich wie automatisch in das Dokument schrieb.
Es tut mir leid, Mella. Ich war ein gefühlskaltes Arschloch. Was auch immer geschehen ist, rechtfertigt nicht die Art und Weise, wie ich dich in den letzten Monaten behandelt habe.
Ich stockte. Was um Himmelswillen hatte das zu bedeuten? Woher kamen diese seltsamen Zeilen? Und wer war Mella? War ich überarbeitet und nicht mehr in der Lage, mich von äußeren Einflüssen zu lösen?
Doch welche Einflüsse sollten das sein? Ich hatte weder ferngesehen noch im Internet gesurft. Es war der erste Abend in meinem Schreibexil, außerdem erst kurz nach 21 Uhr. Somit fiel auch das Argument der Übermüdung weg. Aber wie sonst erklärten sich die fragwürdigen Worte?
Gerade als ich die sonderbaren Zeilen löschen wollte, blinkte das Display meines Handys