Vulkanjäger. Катя Брандис

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Название Vulkanjäger
Автор произведения Катя Брандис
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752918069



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      Dunkle Augen

      Als es dann wirklich losging, konnte ich es selbst kaum glauben. Ich warf meine Reisetasche in den Kofferraum unseres Golf Hybrid, meine Mutter saß schon am Steuer. Zum Glück war sie nicht der Typ, der mich fragte, ob ich auch wirklich meine Zahnpasta und genug frische Unterhosen eingepackt hatte. Stattdessen blickte sie mich nachdenklich von der Seite an. „Wenn irgendwas nicht klappen sollte ... man kann einen Flug auch umbuchen, weißt du? Du kommst einfach zurück und ich hole dich vom Flughafen ab.“

      „Von Dubai aus?“, gab ich trocken zurück. „Wow – toller Service!“

      Verlegen ließ sie den Motor an. „In Dubai bin ich ja erst in einer Woche. Schreib mir gleich eine Nachricht, wenn ihr angekommen seid, ja?“

      Sie setzte mich vor der Wohnung meines Vaters ab und stieg aus, um mich noch einmal zu umarmen. „Ich wünsche dir ganz viel Spaß und eine tolle Zeit“, sagte sie und drückte mich an sich. Etwas verlegen umarmte ich sie zurück und ihr vertrauter Duft stieg mir in die Nase. „Ich dir auch.“

      Ich klingelte beim Firmenschild meines Vaters, und als die Tür aufsummte, schleifte ich mein Gepäck die Treppen hoch in den ersten Stock. Die Tür stand einen Spalt offen. Ich klopfte kurz, doch als keine Antwort kam, drückte ich die Tür einfach auf und ging hinein. André war nirgends in Sicht, stattdessen stand ich vor einem Berg von Taschen und Rucksäcken unterschiedlichster Größe. An den Wänden hingen gerahmte Vulkanfotos und eine Art meterlanger Kalender, auf dem in unterschiedlichen Farben Zeiträume markiert waren, vielleicht Drehtage. Mehr bemerkte ich nicht, denn jetzt kam André mit langen Schritten aus einem Nebenraum geeilt, auf seinem Kopf thronte eine ausgeschaltete Stirnlampe. Als er mich sah, strahlte er. „Pünktlich auf die Minute, so mag ich das. In einer halben Stunde fahren wir zum Flughafen. Pass, Flugticket, Geld?“

      „Alles dabei“, sagte ich gehorsam. „Wo fliegen wir zuerst hin?“

      „Neapel.“ André zog sich die Lampe vom Kopf. „Aber wir holen dort nur jemanden ab und fliegen dann weiter. Fred – eigentlich heißt er Federico – wird für uns den Ton machen, er kann aber auch verdammt gut drehen.“

      Irgendwie hatte ich gedacht, wir würden nur zu zweit sein, André und ich. Total naiv. Ich nickte und hoffte, dass er mir die Enttäuschung nicht ansah. Schon redete André weiter. „Hier, bring das schon mal runter, unser Taxi kommt jeden Moment.“ Der Rucksack, auf den André deutete, erwies sich als atemberaubend schwer.

      „Was ist denn da drin?“, keuchte ich.

      „Meine neue High-Speed-Kamera, eine Arri – neu kostet die 100 000 Dollar, also lass sie nicht fallen“, gab mein Vater zurück, lud sich selbst ein Stativ sowie eine Tasche auf und folgte mir die Treppe hinunter.

      Auch am Flughafen machte ich mich nützlich damit, das Gepäck durch die Gegend zu wuchten. Und war völlig verblüfft, als plötzlich mein Handy klingelte und Finn fragte: „Wo genau bist du gerade am Flughafen?“

      Ich sagte es ihm – und keine drei Minuten später tauchten vier bekannte Gesichter beim Check-in auf und begrüßten mich johlend: Finn, sportlich-drahtig wie immer, Noah Hand in Hand mit seiner Freundin Pia, und Emily, die mit ihren schwarzen Klamotten und grünen Haaren ein bisschen auffiel zwischen den Urlaubern und Geschäftsleuten.

      „Wir wollten uns noch mal richtig verabschieden, nur für den Fall, dass du in irgendeinen Krater fällst“, sagte Emily und umarmte mich.

      Finn klatschte mich ab und Noah schlug mir auf die Schulter. „Sag uns Bescheid, wann der Film mit dir ins Kino kommt, okay?“

      „Ich war doch noch nicht mal beim Casting“, sagte ich verlegen und war gerührt, dass sie sich die Mühe gemacht hatten, heimlich mit der Bahn herzukommen und mich zu verabschieden. In der Zwischenzeit hatte André unser Gepäck abgegeben und ich stellte ihm meine Freunde vor. Doch für mehr als ein kurzes Händeschütteln reichte die Zeit nicht, André blickte schon auf die Uhr. „Wir müssen jetzt durch die Kontrollen, fürchte ich.“ Neugierig schauten meine Freunde zu, wie ich durch den Body Scanner marschierte, und schossen ein paar Fotos. Ein letztes Mal winkte ich ihnen zu, dann waren sie außer Sicht.

      Der Flug kam mir sehr kurz vor, denn André wollte alles wissen: Woran ich mich aus meiner Kindheit erinnerte, wer meine besten Freunde waren, was für Multiplayer-Games wir bei unseren LAN-Partys spielten, welches meine Lieblingsfächer in der Schule waren. Was sollte das, wollte er jetzt auf einmal alles nachholen, was er in den letzten Jahren verpasst hatte? Wollte er mir das Gefühl geben, er interessiere sich für mich? Oder wollte er das wirklich alles wissen, sogar den unwichtigsten Scheiß?

      Ausgerechnet als die Stewardess sich uns mit dem Getränkewagen näherte und ich ihm nur halb zuhörte, fragte er: „Sag mal, warum hast du eigentlich das alte Kanu behalten? Ist doch komplett zerschrammt. Ich dachte, ihr würdet es irgendwann auf den Wertstoffhof bringen.“

      Ungläubig wandte ich den Kopf und sah ihn an, während die Stewardess meinen Sitznachbarn fragte, was er trinken wolle. Es war nicht irgendein altes Kanu, war ihm das nicht klar? Es hatte doch ihm gehört! Er hatte die vielen Reiseaufkleber auf die Seiten gepappt, die meisten Schrammen stammten von seinen Fahrten. Nie würde ich dieses Kanu hergeben, ich würde es über Flüsse und Seen paddeln, bis es auseinanderfiel. Ich öffnete den Mund, um ihm zu antworten, doch dann sah ich das ungeduldige Lächeln der Stewardess, und heraus kam: „Eine Cola bitte.“

      „Gerne.“ Dreißig Sekunden später umklammerte ich einen Kunststoffbecher mit braunem Inhalt, mein Vater bestellte einen Tomatensaft und die Antwort von eben gerade war in mir versiegt.

      „Also, das Kanu. Das kann man doch noch benutzen“, murmelte ich schließlich, André nickte, und dann schauten wir uns auf Andrés Tablet die Erebos-Verfilmung an.

      Nach der Landung nahmen wir uns ein Taxi in die Innenstadt von Neapel und landeten ziemlich bald im Stau. Um uns herum Autos, die alle irgendwie verbeult und verkratzt aussahen, sogar die noch ziemlich neuen. Zentimeterweise schoben wir uns durch die mehrspurige Straße voran, jemand hupte wütend. „Come sempre – wie immer“, sagte unserer Fahrer gleichgültig und packte ein nach Schinken duftendes belegtes Ciabatta aus.

      „Mist, das hätte ich mir denken können – ich gebe Fred Bescheid, dass es später wird“, brummte mein Vater und tippte auf seinem Communicator herum. Ich legte den Kopf gegen das Sitzpolster aus braunem Kunstleder zurück und schloss die Augen. Aus dem Radio wummerte die italienische Version eines alten Maroon 5-Songs.

      Endlich hielten wir in einer schmalen Straße und André klingelte an einem der von Abgasen geschwärzten fünfstöckigen Gebäude. Nichts passierte, doch zwei Minuten später hörten wir das Röhren eines Motors und ein Geländemotorrad schoss heran. Der Fahrer parkte seine Enduro auf dem Bürgersteig neben uns und zog den Helm vom Kopf. Zum Vorschein kam ein älterer Mann mit raspelkurzen grauen Haaren und tiefen Furchen um die Mundwinkel. Er ignorierte mich und schüttelte meinem Vater die Hand. „Na, alles klar, Fred?“, fragte André ihn lächelnd.

      „Man schlägt sich so durch“, sagte Fred auf Deutsch mit einem leichten Akzent, den ich nicht einordnen konnte, italienisch oder amerikanisch oder eine Mischung aus beidem. Er streifte mich mit einem Blick. „Also das da ist dein Kleiner?“

      Verblüfft glotzte ich ihn an. Schon vor einem Jahr hatte ich die 1,80-Marke geknackt und dieser Typ da in der abgewetzten Lederjacke reichte mir nicht mal bis zum Kinn.

      „Ja, genau.“ Mein Vater grinste. „Ganz der Papa, was?“

      „Könnte man sagen“, brummte Fred und musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. „Wenn man eine lebhafte Fantasie hat.“

      Wie, was? Na logisch sahen wir uns ähnlich! Zwei oder drei Minuten später fiel mir die beißende Bemerkung dazu ein. Tut euch keinen Zwang an, redet ruhig über mich. Ich tue nur so, als ob ich zuhöre! Nur leider quatschten sie längst nicht mehr über mich, sondern nur noch über den geplanten Dreh.

      Wir verstauten unser Gepäck in einem kleinen