Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.. Gerstäcker Friedrich

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Название Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.
Автор произведения Gerstäcker Friedrich
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754149591



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hörte nicht die Hälfte von allen den Segenswünschen, die sie auf ihn herabflehte, denn er eilte, so rasch er konnte, dem Dorfe zu, wohin ihm schon der breitschultrige Herr vorangeschritten war. Diesen erreichte er auch gerade noch, als er eben rechts in eine Gartenpforte bog, und Franz sah kaum, daß dort aufgestellte Tische und Stühle einen Wirthshausgarten verkündeten, als er ohne Weiteres ihm zu folgen beschloß, um sich den hartherzigen Menschen wenigstens einmal in der Nähe zu betrachten. Gab es dann die Gelegenheit, so ließ sich ihm auch vielleicht sagen, was er von ihm und seinem Betragen hielt.

      Der Breitschultrige hatte sich eine Portion Kaffee bestellt und setzte sich behaglich an einen kleinen runden Tisch, der einen weitästigen Birnbaum umschloß. Franz Kettenbrock ging an ihm vorüber und schleuderte ihm einen verächtlichen Blick zu; der dicke Herr bemerkte das aber gar nicht und sagte nur zu einem der eilfertig herbeispringenden Kellner:

      „Habe schon bestellt."

      Franz Kettenbrock blieb überrascht stehen und sah sich nach dem Breitschultrigen um. Die Stimme mußte er jedenfalls schon gehört haben - und war denn das nicht - das Gesicht hatte er freilich gestern Morgen nicht erkennen können - aber war denn das nicht etwa sein falscher Onkel aus dem alten Logis? - Der breitschultrige Herr nahm noch immer keine Notiz von ihm; Franz aber, jetzt fest entschlossen sich Gewißheit zu verschaffen, bestellte ebenfalls eine Portion Kaffee, zündete sich eine frische Cigarre an und setzte sich ohne weitere Umstände an den nämlichen Tisch, an dem Jener saß. Der Kaffee wurde gebracht; die Beiden schenkten sich schweigend ein und saßen eine ganze Weile einander gegenüber, ohne auch /29/ nur ein Wort mitsammen zu wechseln. Das hielt aber unser ungeduldiger Havanese nicht lange aus; ein Anknüpfungspunkt war auch bald gefunden: er ließ seine Cigarre ausgehen und bat seinen Nachbar um Feuer, und damit war ein Gespräch angeknüpft.

      „Sehr schöne Gegend hier," sagte der Breitschultrige.

      „Sehr schön - Sie sind fremd hier?"

      „Vorgestern Nacht angekommen."

      „Und wohnen vielleicht in einer nicht so hübschen Umgebung?"

      „In Schlesien," lautete die Antwort, und Kettenbrock zweifelte jetzt keinen Augenblick mehr, daß er seinen „verkehrten Onkel" vor sich habe. Nur hinsichtlich des Namens mußte er sich noch Gewißheit verschaffen.

      „Ja, dann glaub' ich, daß Ihnen die hiesige Gegend gefällt. - Sie sind Geschäftsmann, nicht wahr?"

      „Advocat," sagte der Fremde - „treibe aber auch allerdings ein kleines Geschäft dabei," setzte er mit einem breiten, häßlichen Lächeln hinzu.

      „Lieber Gott," meinte Kettenbrock - „das Geschäft ist ja doch die allgemeine Achse, um die sich die ganze Welt dreht, und nur wer sich einen guten Platz daran zu sichern weiß, das heißt der, der richtig speculirt, darf hoffen in der Welt zu reussiren."

      „Ganz meine Meinung," nickte beifällig der Fremde, und über seine Züge stahl sich sogar bei der Bemerkung ein Schein von Wohlwollen.

      „Ihre Geschäfte haben Sie also auch nach Yvenburg geführt, nicht wahr, mein Herr - wie war doch gleich Ihr werther Name?"

      „Hobelmann."

      „Ach ja, Herr Hobelmann," sagte jetzt Kettenbrock, vollkommen sicher.

      „Geschäfte allerdings," erwiderte der Breitschultrige - „ein Proceß wenigstens. - Was ist Ihr Geschäft, wenn man fragen darf?"

      „Ich bin Arzt," erwiderte auf gut Glück der junge Kettenbrock. /30/

      „Arzt? hm! - Gutes Geschäft hier?"

      „Nur mittelmäßig - die Gegend ist unverschämt gesund."

      „Hm," sagte Herr Hobelmann, „hätte ich Sie früher gekannt, hätten wir vielleicht ein Geschäft zusammen machen können. Jetzt ist es vorbei."

      „Wir Beide?"

      „Ja. — In der Proceßsache, die ich hier für einen Clienten von mir führte - ich habe ihm eben die Schlußacten gebracht - handelte es sich darum, ein Gutachten von einem hiesigen Arzt über den Geisteszustand eines Dritten zu bekommen."

      „In der That?" sagte Franz, und ein eigener toller Gedanke fuhr ihm wie der Blitz durch die Seele - „da interessiren Sie sich auch vielleicht für Geisteskranke?"

      »Ich? - Damals lebhaft. Ueberhaupt ist ein Mensch, der nicht vollkommen bei Verstand ist, immer ein interessanter Gegenstand, da man nie bestimmen kann, inwieweit er für seine Thaten zurechnungsfähig blieb."

      „Sie sind noch ganz fremd hier in der Stadt?"

      „Vollkommen - kenne nur die Familie, bei der ich wohne. Warum?"

      „Es war nur so ein Gedanke von mir," sagte Kettenbrock. „Ich bin nämlich in einem hiesigen Institut für Geisteskranke angestellt, mit denen wir heut Abend einen eigenthümlichen Versuch machen wollen."

      „So? - Welchen, wenn man fragen darf?"

      „Unser Obermedicinalrath hat einen Ball für die Verrückten arrangirt, auf dem sie sich vollkommen frei und unbelästigt bewegen sollen!"

      „Die Tollen? - Alle Teufel, das muß sich merkwürdig ausnehmen. Aber es wäre wohl nicht möglich, Zutritt zu erlangen?"

      „Nicht leicht - es ist verboten, Fremde dort hinzubringen."

      „Hm - das ist schade - sehr schade!" sagte Herr Hobelmann. „Aber - ließe sich das nicht vielleicht auf die eine /31/ oder die andere Weise machen? - Es sollte Ihr Nachtheil nicht sein." ,

      „Mit Geld, meinen Sie?" sagte Franz, durch diese Gemeinheit nur noch mehr in seinem Vorsatze bestärkt. „Nein, damit ist nichts anzufangen. Aber - der Oberarzt ist mein Onkel, und ich könnte vielleicht die Verantwortlichkeit auf mich nehmen, wenn Sie mir versprechen wollten, gegen keinen Menschen eine Silbe darüber zu äußern. Sie brächten mich in dem Fall in die größte Verlegenheit."

      „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort," rief Herr Hobelmann rasch und erfreut, „und würde Ihnen noch außerdem zu größtem Dank verpflichtet sein, Herr - wie ist gleich Ihr Name?"

      „Franz - Doctor Franz."

      „Sehr schön, Herr Doctor. Sagen Sie mir übrigens - Gefahr ist doch nicht dabei?"

      „Nicht die geringste," beruhigte ihn Franz. „Die Leute stehen unter der unmittelbaren Aufsicht ihrer Wächter, die den Abend sämmtlich als Bediente oder Ballgäste verkleidet sind. Wir Aerzte verlassen sie außerdem keinen Augenblick, und falls ja bei Einem oder dem Andern die Tobsucht ausbrechen sollte, so ist kräftige Hülfe im Moment bei der Hand. Sie können sich wohl denken, daß jede nöthige Vorsichtsmaßregel für solchen Fall getroffen ist. Uebrigens sind wir auch der Leute ziemlich sicher, und nach unserer Methode hoffen wir eben von einem zeitweiligen Eingehen auf ihre fixen Ideen die heilsamsten Folgen. Es versteht sich trotzdem von selbst, daß man zu einem solchen Ball nur die harmlosesten Geisteskranken zuläßt. Wer sie nicht kennt, würde keinen Augenblick auf den Gedanken kommen, daß er sich unter lauter Verrückten befindet."

      „Vortrefflich. Heut Abend ist der Ball, sagen Sie?"

      „Heut Abend - ich will Sie abholen. Wo find' ich Sie?"

      „Ich wohne in der Kreuzgasse, an der Ecke der Neuen Straße, die Nummer weiß ich nicht, beim Geheimrath von Pottlitz."

      „Sehr gut, — ich werde um halb zehn Uhr mit einer /32/ Droschke an der Ecke warten. Aber Sie vergessen Ihr Ve¬sprechen nicht? Sie schweigen und halten sich bereit?"

      „Kein Mensch erfährt eine Silbe," betheuerte Herr Hobelmann, „geht auch Niemandem etwas an, wo ich meinen Abend zubringe. Bin vollkommen mein eigener Herr."

      „Also auf Wiedersehen um halb zehn Uhr. Ich muß jetzt in die Stadt zurück, um noch einige Anstalten zu treffen. Empfehle mich Ihnen, Herr Hobelmann."

      „Empfehle mich Ihnen gehorsamst, Herr Doctor," sagte Herr Hobelmann, von seinem Stuhl aufstehend und sich vor dem jungen Mann verbeugend - „war mir ungemein angenehm, Ihre