Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.. Gerstäcker Friedrich

Читать онлайн.
Название Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.
Автор произведения Gerstäcker Friedrich
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754149591



Скачать книгу

Klar und deutlich wies er Jedem den von ihm bestimmten Platz an, um im entscheidenden Moment hervorzubrechen, und zu diesem bestimmte er den Augenblick, wo die Flüchtigen die Hütte selber wieder verlassen würden, um ihren Weg fortzusetzen.

      Die casucha der punta del vaca besteht aus einer Doppelhütte von Steinen, und nur wenige Schritte von ihr entfernt läuft die Bank des Tucunjado in steilem Hang schräg nieder zu dem unten vorbeischäumenden Strom, den selbst der eisige Winter hier oben nicht unter der starren Decke fesseln konnte. Diesen Weg schlug er selber mit dem alten Peon und noch Einem von den Seinen ein, bis sie sich dahin durch den Schnee arbeiteten, wo sie durch den Ausbau der Hütte selber geschützt waren und leicht bis dicht hinankommen konnten. Der mashorquero hatte außer zwei kleinen Terzerolen auch noch einen leichten Lasso, ohne den ein Gaucho selten auf einen Kriegszug ausgeht, an seinem Gürtel hängen, und den Uebrigen noch einmal einprägend, so nahe als möglich an die Hütte hinanzurücken, begann er selber seinen weniger gefährlichen als mühseligen Pfad zu verfolgen.

      Dem alten Peon war indessen die ganze Jagd von Grund aus verleidet worden. Weiteren Mühseligkeiten und Gefahren zu entgehen, hatte er sich den Treubruch gegen die Fremden zu Schulden kommen lassen, und jetzt mußte er in stockdunkler Nacht, zitternd vor Frost, dem nämlichen Ort durch den tiefen eisigen Schnee wieder entgegenkriechen, eine Kugel sein Lohn, wenn er von dort gesehen wurde, während der mashorqueros hinter ihm wenig Umstände gemacht haben würde, ihn sein Messer fühlen zu lassen, so er sich nur im Mindesten dessen Befehlen widersetzte. Er wäre auch mit dem größten Vergnügen zum zweiten Mal desertirt, aber wie erst hier fortkommen? Und gelang ihm das wirklich, hatten die Fremden dann nicht volle Ursache, seinen /101/ guten Absichten jetzt nicht zu glauben und ihn als einen Feind zu behandeln? - Was war überhaupt aus seinem Kameraden geworden?

      Nur unendlich langsam rückten sie indessen vorwärts, denn der Schnee gab oft nach unter ihren Füßen, und wenn auch der Abhang im Ganzen nicht so steil war, daß er unpassirbar gewesen wäre, kamen doch hier und da einzelne Stellen, an denen es schroff und tief hinabging, und die sie zur äußersten Vorsicht zwangen, der dünnen Schneeschicht nicht zu viel zu vertrauen. Endlich erreichten sie den Theil des Ufers, der von dem Eingang der Hütte aus nicht mehr gesehen werden konnte, und der Peon mußte dem Anführer der Bande jetzt genau beschreiben, in welcher der beiden Hütten die Flüchtlinge ihr Lager aufgeschlagen, wie viel Gewehre und Pistolen sie bei sich hätten, und von welchem Körperbau die beiden jüngeren Männer wären.

      Felipe hatte bis jetzt gehofft, daß er selber zum Recognosciren ausgesandt werden würde, und schon allerlei Pläne darauf gebaut. Der mashorquero schien ihm aber keineswegs zu trauen, und dem mitgenommenen jungen Burschen eins seiner Terzerole und die nöthigen Befehle gebend, sandte er diesen nach dem Rücken der Hütte hinauf, um dort das Terzerol auf den ersten der Männer, der sich zeigen würde, aus seinem Versteck heraus abzufeuern, und sich nachher auf seine Beine zu verlassen, um wieder zu entkommen.

      Der Peon verlangte jetzt von seinem Begleiter wenigstens sein Messer zurück, um sich, im Fall es zu einem Handgemenge käme, vertheidigen zu können; der mashorquero verweigerte ihm dasselbe aber mit einem kräftigen Fluch und schwur, die einzige Art, wie er je wieder ein Messer von ihm bekommen solle, sei zwischen die Rippen oder in die Kehle.

      Die Nacht war indessen mehr und mehr vorgerückt, und hinter ihnen stieg schon der Morgenstern über die schroffen Kuppen des mächtigen Gebirges. - Der Tag konnte nicht mehr fern sein, aber noch immer ließ sich nicht das mindeste Zeichen irgend eines lebenden Wesens von der Hütte heraus hören oder erkennen. Der Henker wurde ungeduldig. So /102/ lagen sie wohl noch eine halbe Stunde, die Glieder fast zu Eis erstarrt, und über dem Schnee dämmerte indessen der junge Tag. Während die Schlucht unter ihnen noch in tiefem Dunkel lag, schoß über die schneeigen Kuppen, die schroff und starr in den sternbesäeten Nachthimmel hinausragten, ein lichter bläulicher Schein; die Hänge und Kanten gewannen Ausdruck in Form und Farbe, und es war fast, als ob weiße gigantische Körper aus dämmernden Nebelschleiern emporstiegen und höher wüchsen, indeß das steigende Licht ihnen Kraft gab und ihre Glieder reckte.

      „Ich halt's nicht mehr aus," flüsterte der Peon endlich, der, von dem scharfen Südostwind abgekehrt, vergebens die letzte Stunde schon gesucht hatte seine Glieder zu erwärmen - „mir ist das Blut in den Adern geronnen."

      „Daß ich's nicht flüssig mache!" drohte der mashorquero, „aber, beim Teufel! mir wird die Zeit hier auch lang, und ich begreife nicht, was die Canaillen so lange im Baue hält. - Dein Kamerad, der Schuft von Unitarier, hat jedenfalls geplaudert, und mir zuckt's ordentlich in den Armen, mein Messer da an ihm - und an Dir zu versuchen. - Ruhe! - was helfen mir Deine Beteuerungen, mach' Dich fertig, wir wollen den Spuren unseres vorangegangenen Spions folgen und der Bande zu Leibe rücken, die Uebrigen werden jetzt auf ihren Posten sein. - Ich will, beim Teufel! nicht Wochen lang im Sattel gehangen haben, um jetzt unverrichteter Sache wieder abzuziehen. Da, compañero - krieche einmal zurück bis zu jenem kleinen Vorsprung - von da mußt Du die Thür der Hütte in Sicht haben - und versuch', ob Du nichts von dort erkennen kannst."

      Felipe ließ sich das nicht zweimal sagen - irgend ein Grund, aus der Nähe des blutdürstigen mashorquero zu kommen, schien ihm erwünscht, noch dazu da es ihm zugleich Gelegenheit bot, seine Glieder wieder zu gebrauchen. Rasch deshalb in seiner eigenen Fährte zurückspringend, erreichte er bald den bezeichneten Platz und hob leise und vorsichtig den Kopf. - Ein einziger Blick verrieth dem Peon den ganzen Stand der Dinge, und wie ihm die /103/ Gedanken das Hirn durchkreuzten, welchen Weg er jetzt, da ihm ein günstiger Zufall auf kurze Zeit freie Bahn gegeben, am besten verfolgen könne, hatte sich im Nu sein Plan gebildet.

      Rasch überzeugte er sich nämlich, daß die Flüchtlinge die Gefahr kannten, in der sie sich befanden, und ihre Annäherung ruhig erwarteten. Er konnte die beiden Gestalten der jungen Männer erkennen, die mit ihren Gewehren in der Thür, aber noch weit genug im Innern standen, um von einem auswärts lauernden Feinde nicht gefährdet zu sein. Der abgesandte mashorquero dagegen lehnte an der einen Ecke der Hütte, wie der Tiger, der auf die Beute lauert, während die übrigen Feinde in kleinen Abtheilungen, theilweise schon in Schußnähe, aber immer noch durch schneebedeckte Felsstücke den Feinden verborgen, im Hinterhalt lagen. Hätten sie Feuerwaffen gehabt, die kleine Besatzung wäre der ersten Salve erlegen.

      Nahm er jetzt einen Anlauf, so konnte er sicher die casucha erreichen, ehe die mashorqueros im Stande waren ihn daran zu verhindern; aber wie dann, wenn ihn die Belagerten nicht hinanließen, vielleicht gar auf ihn feuerten? - „Pest und Tod!" murmelte er vor sich hin, „ich glaube die Bestien schössen auf ihren eigenen Bruder." - Im offenen Kampf mit ihnen war er der Gefahr aber noch weit mehr ausgesetzt, während seine Kehle juckte, wenn er nur an das Messer des blutdürstigen mashorqueros-Führers dachte. Er sah sich nach diesem um, und die ungeduldige, drohende Geberde desselben machte im Augenblick all' seinen Zweifeln ein Ende. Noch einmal das Terrain überschauend und mit den Augen messend, blieb ihm ein Raum von circa hundertzwanzig Fuß Breite, um zwischen der nächsten Abtheilung der Feinde zur Rechten und seinem jetzigen Tyrannen zur Linken durchzubrechen; die Entfernung bis zur casucha betrug überdies kaum mehr als dreihundert Schritt, und wenn ihn auch der Schnee im raschen Laufen hinderte, rechnete er doch im Anfang auf die Überraschung der im Hinterhalt Liegenden und später auf den Schutz, den ihm die Gewehre der Europäer bieten mußten. So also sich rasch und entschlossen auf den /104/ Kamm der Bank schwingend, hinter der vor er bis dahin recognoscirt hatte, floh er, hier von dem hartgefrorenen Schnee begünstigt, rasch über die Fläche hin. Wohl sah er, daß sich die Gewehre der Fremden, so wie er sich aus dem Schnee emporhob, gegen ihn wandten; aber nur ein flüchtiger Blick war es, den er dorthin warf, denn links von ihm sprang der mashorquero, jetzt ebenfalls jeden Versteck verschmähend, auf die Bank, und suchte augenscheinlich ihm den Weg abzuschneiden. Was half auch jetzt noch hinter dem Berg halten - ihr Hinterhalt war verrathen, und der mashorquero hätte in diesem Augenblick der Wuth und Rache sicherlich gern die Europäer entfliehen lassen, wäre ihm nur dadurch die Wiederergreifung des verrätherischen Peons gesichert gewesen.

      In tollkühnem Grimm jede andere Gefahr dabei hintansetzend, lief er deshalb dem flüchtigen Alten nach; das Terrain schien ihn auch zu begünstigen, denn jener gerieth in eine Schneewehe, durch die er sich nur weit langsamer Bahn brechen konnte. Ein Blick auf die casucha überzeugte ihn aber auch, daß er sich fast schon