Der unheimliche "Erste Diener des Staates". Walter Brendel

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Название Der unheimliche "Erste Diener des Staates"
Автор произведения Walter Brendel
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783754935156



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Esser große Mengen ganz ordinärer dicker, harter Erbsen in sich hinein. Danach eine fetttriefende Aalpastete, die der König mit besonderer Gier zu sich nimmt. Sicherlich die geeignetste Speise, um den geschrumpften Kriegshelden wieder zu der früheren mächtigen Größe anschwellen zu lassen! Doch plötzlich: Der König hört auf zu essen, sitzt eine Weile schwer atmend da und fängt dann an, unter Aufbäumen seines kleinen Körpers heftige Stöhnlaute auszustoßen. Der Kammerhusar ist kaltblütig mit einer Porzellanschale zur Stelle.

      Langwierig und mit Pausen geht das Erbrechen vor sich, schließlich steigert es sich zu großer Heftigkeit und, was herauskommt, ist mit Blut und Eiter untermischt.

      Diesmal ist der König, der das Erbrechen sonst nicht sehr wichtig nimmt, stark angegriffen. Matt, mit geschlossenen Augen hockt er wie halbtot im Lehnstuhl. Der Kammerhusar stellt ganz sachlich bei sich fest: Das muss man Ihm lassen - so eine Kotzstrapaze bei dem kleinen schwachen Körper, das wird Ihm so leicht niemand nachmachen!

      Am Nachmittag nimmt Schöning seinen Dienst wieder auf Eine Minute, bevor die Kaminuhr fünf silberne Schläge gibt tritt er lautlos vor den Lehnstuhl des Königs. Es ist die Stunde in welcher der König seine Kabinettssekretäre empfängt, um die von ihnen im Laufe des Tages ausgefertigten Briefe zu unterzeichnen. Tages- und Arbeitsablauf ist dem König in Fleisch und Blut übergegangen. Beim ersten der fünf Schläge der Kaminuhr hebt er den ganz auf die schmächtige Schulter gesunkenen Kopf erkennt Schöning und erteilt ihm mit der gewohnten kleinen Handbewegung die Erlaubnis, einen Kabinettssekretär vorzulassen. Die wenigen Augenblicke, die vergehen, bis dieser vor dem König steht, hat Seine Majestät benutzt, den alten Filzhut zurechtzurücken und eine einigermaßen herrscherliche Haltung einzunehmen.

      Begrüßung und Arbeit gehen stumm vor sich. Schöning hat den Tisch mit dem Schreibgerät an die Seite des Lehnstuhls gerückt, sodass der König mit der rechten Hand leidlich bequem unterschreiben kann. Der Sekretär nennt nur die Person oder die Amtsstelle, an die das Schreiben gerichtet ist, und reicht es dann dem König hin. Der wirft einen flüchtigen Blick darauf, verzichtet auf Prüfung des Inhalts und greift zur Gänsefeder. Der Sekretär ist geschickt im Festhalten des Briefbogens, so dass der König nicht die gichtige Linke zu Hilfe zu nehmen braucht. Mit jeder Unterschrift, die der König zu leisten hat, wird seine Laune schlechter. Es ärgert ihn, dass er das bisschen „Friedrich" nur immer zittriger aufs Papier bringt.

      Mit einer kleinen Handbewegung wird der Sekretär jetzt vom König verabschiedet. Der König nimmt nun die Hilfe Schönings in Anspruch und lässt sein rechtes Bein von der Umhüllung befreien. Da zeigt es sich, dass die Anschwellung zurückgegangen und eine starke Flüssigkeitsabsonderung eingetreten ist.

      Gar nicht befriedigt ist Schöning. Er hat sich von Doktor Selle belehren lassen, dass der Abgang von Blutwasser zwar zeitweilig eine Linderung der Schmerzen mit sich bringe, aber keineswegs die gefährlichste Verschlimmerung ausschließe. Doch der König ist gutgelaunt und äußert plötzlich Appetit auf Melonen. Damit ist Schöning durchaus einverstanden. Das königliche Gewächshaus liefert Südfrüchte verschiedenster Art. Bald ist Schöning mit zwei ziemlich großen Melonen zur Stelle. Er kennt seinen Herrn, und wirklich verspeist der König die ihm dargereichten Melonenscheiben sämtlich bis auf den Schalenrand mit sichtlichem Genuss.

      Obwohl die siebente Nachmittagsstunde kaum erst angebrochen ist, deutet sodann der König seinen Wunsch an, zur Nacht gebettet zu werden. Er wird vom Lehnstuhl auf das hochlehnige Kanapee nebenan gehoben. Die Nachttoilette besteht eigentlich nur darin, dass ihm der große schwere Reiterstiefel vom gesunden linken Bein mühsam abgezogen wird. Den schäbigen blauen Uniformrock und die schmutzige gelbe Weste behält er an. Mit dem Oberkörper aufrecht, nur die Beine ausgestreckt, sitzt der König mehr, als dass er liegt. Die alte Zobeldecke der Zarin Elisabeth wird über die Füße gebreitet, und das Kanapee-Nachtlager ist fertig. Die hohen Fenstertüren und die Vorhänge werden geschlossen. Wegen der Klarheit des Maiabends herrscht aber noch eine zarte Dämmerung im Zimmer.

      Dann verlangt der König noch einen Opiumtrank, rückt den alten schwarzen Filz tief in die Stirn und winkt seine beiden Kammerhusaren hinaus ...

      Zehn Stunden, bis zum nächsten Morgen fünf Uhr, will der König allein sein. Und er bleibt es auch fast immer. Ein leises Klingeln mit dem silbernen Glöckchen, und ein Kammerhusar wäre zur Stelle. In letzter Zeit sitzt nicht mehr bloß ein gewöhnlicher Lakai, von denen es zwölf in Sans Souci gibt, sondern ein Kammerhusar vor der bloß eingeklinkten Tür und lauscht auf jenes Zeichen. Aber der eine Kammerhusar wie der andere, der ihn nach drei Stunden ablöst, wartet für gewöhnlich vergebens. Nicht, dass der König einen festen, gesunden Schlaf hätte auf Grund des Opiumtrankes! Nur stundenweise schläft er vor Mattigkeit. Aber er muss im Dunkel ruhen, um wieder gesund zu werden. Auf etwas mehr oder weniger Qual kommt es ihm dabei nicht an. Man muss doch demnächst imstande sein, eine Viertelstunde lang mit den Reiterstiefeln an den Beinen - in Denkmalshaltung - aufrecht am Schreibtisch zu stehen! Der neue französische Gesandte muss zu einem Antrittsbesuch empfangen werden! Danach werden es dann alle europäischen Höfe wissen, dass der böse, alte Kerl in Sans Souci noch immer nicht daran denkt, durch seinen Tod Europa von Furcht und Unruhe zu befreien...

      ***

      Schöning hält es nach dem blutuntermischten Erbrechen für geraten, einen Lakaien nach Berlin zum Doktor Selle zu schicken. Der König hat ja kürzlich ärgerlich und beiläufig vor sich hin geknurrt, dass es ihm erwünscht wäre, seinen Leibarzt wieder einmal zu konsultieren. Die ungewöhnlich starke Transpiration des Königs, derentwegen im Schloss trotz der Sommerwärme Tag und Nacht das Kaminfeuer brennen muss, stimmt Schöning bedenklich.

      Hinzu kommt, dass der Minister Graf von Finckenstein Schöning anvertraut hat, der hannoversche Hof sei vor einigen Tagen endgültig gebeten worden, den hannoverschen Leibmedicus, den zur Zeit berühmtesten Arzt in Deutschland, den Doktor von Zimmermann, für einige Zeit nach Potsdam zu entlassen und ihn dem preußischen König zur Wiederherstellung seiner Gesundheit vorübergehend zur Verfügung zu stellen. Schöning ist überzeugt, dass der König keinen besseren Arzt als Doktor Selle finden kann. Er fühlt sich durch eine eigentümlich zurückhaltende Zuneigung diesem so viel jüngeren Mann verbunden, und es erscheint ihm nicht mehr als recht und billig, dass Selle, ehe ein zweiter Arzt ihn verdrängt, den König nochmals behandelt. Doktor Selle ist frühzeitig von Berlin aufgebrochen. Bei dem schlechten Zustand der preußischen Straßen braucht eine bescheiden bespannte Kalesche gut und gern fünf Stunden für die Fahrt nach Potsdam.

      Der Junitag ist auch in der Frühe schon schwül. Doch Selle hat ja das Verdeck seines Wagens herunterklappen lassen und träumt nun während der langen Fahrt behaglich vor sich hin, wobei ein kleines Lächeln seine Lippen umspielt. Er denkt an die Unterredung, die er gestern Abend mit seiner Frau gehabt hat. Dorothea hat gemeint, er solle doch gelegentlich eine Situation herbeiführen, in der sich der König recht über ihn ärgern müsse.

      Selle hat gelacht. „Damit er mich auf eine besonders grobe Weise zum Teufel schickt?"

      „Wenn nur überhaupt! Etwas Besseres könnte dir gar nicht passieren ..."

      Ja, seine Dorothea hat mancherlei am König auszusetzen, und dabei ist sie doch im Übrigen so begeisterungsfähig! Selle ist immer noch sehr verliebt in seine Frau. Es hat eine Zeit gegeben, wo es ihm abenteuerlich erschienen ist, eine so hübsche, kecke Berlinerin zu fragen, ob sie etwa seine Frau werden wollte. Das war, als er, geborener Stettiner, noch in Göttingen Medizin studierte. Aber Dorothea hat es dann auf eine für einen schwerfälligen Norddeutschen einfach unbegreiflich leichte und anziehende Weise fertiggebracht, dass sie eines Tages verlobt waren. Und bald danach konnte auch geheiratet werden. Selle, inzwischen Arzt mit eigener Praxis, akklimatisierter Berliner und längst kein schüchterner Bursche mehr, hat seine Frau später manchmal geneckt, sie habe etwas von Lessings unvergleichlicher Minna von Barnhelm an sich: wirklich wunderbar, wie diese Minna ihren Tellheim zum Liebesgeständnis zu bringen wüsste...

      Von diesen Gedanken seines Medicus ahnt der König nichts und hätte sie sicherlich auch missbilligt. Sein Frauenbild war nicht das Beste.

      In den Lebensbeschreibungen