Lydia. Louise Aston

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Название Lydia
Автор произведения Louise Aston
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754183311



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Ihnen wurde in Genua die Zeit lang, Alicen wurde sie in Tyrol kurz: der Augenblick nahte, den wir zur Wiedervereinigung bestimmt hatten. Aber ich wartete vergeblich. Weder Sie, noch Alice kehrten zurück. Ueberdies erhielt ich einen Brief aus Deutschland, worin mir mitgetheilt wurde, daß Alice "Schattenfrei" mit meiner Absicht, ihn in Venedig zu erwarten, bekannt gemacht und ihm den Rath gegeben, weder über Venedig noch über Genua nach Süd-Italien zu gehen, wenn er überhaupt es nicht vorzöge, anders wohin seine Schritte zu lenken, im Fall er ein Zusammentreffen mit mir vermeiden wolle. So war ich nun völlig im Unklaren. War er doch nach Palermo gegangen oder nicht? Sollte ich auf die Ungewißheit hin die weite und gefahrvolle Reise unternehmen, abgesehen davon, daß meine Kasse nicht zum Besten bestellt war? Ich faßte einen schnellen Entschluß und ging nach Deutschland zurück, mit der Absicht, ihm bei seiner Zurückkunft in den Weg zu treten. Daraus, daß Alice mir diesen hinterlistigen Streich aus Italien, oder wo es sonst sein mag, gespielt hatte, ersah ich jedoch mit einer Art von Genugthuung, daß Sie mein Leidensgefährte sein mußten, weil sie sonst in Betreff meiner mit mehr Vorsicht gehandelt hätte." - Bei diesen Worten warf Cornelia einen forschenden Blick auf den Baron und fuhr dann fort. - "Es konnte ihr also nichts mehr daran gelegen sein, ob ich Ihnen die wahre Sachlage mittheilte; folglich mußte sie den Gedanken an eine Wiedervereinigung mit Ihnen schon aufgegeben haben, als sie an Schattenfrei schrieb. - Ich begab mich bald darauf nach Genua auf den Weg, um Sie aufzusuchen, fand Sie aber nicht mehr anwesend, da Sie zwei Tage vorher nach Venedig abgereiset waren. Wahrscheinlich hatten wir uns begegnet und ohne es zu wissen verfehlt." Die Ironie, mit der die letzten Worte gesprochen wurden, ließen zweifeln, was der eigentliche Sinn derselben sein sollte.

      Mit dem Baron war während dieser Erzählung eine große Veränderung vorgegangen. Zwar schien in diesem Augenblicke keine bestimmte Leidenschaft seine Seele erfüllt zu haben, weder Haß noch Liebe, weder Verachtung noch Hohn zeigte sich in seinen Mienen, aber eine Todtenblässe hatte seinem Gesicht einen Ausdruck gegeben, der auf ein tiefes inneres Leiden schließen ließ. Eine Art geistiger Lähmung schien sich seiner bemächtigt zu haben, als er mit tonloser Stimme sprach:

      "Ich kam nach Venedig an demselben Tage, wie Schattenfrei. Ich suchte ihn auf, um ihn sogleich zu Ihnen zu führen; aber vergebens forschte ich nach Ihrer neuen Wohnung, denn ich konnte nicht auf den Gedanken gerathen, daß Sie Venedig verlassen hätten.

      Schattenfrei war erfreut, Sie in Venedig zu wissen, und bedauerte es ernstlich, daß er Sie nicht finden konnte."

      "Wie Schade" - unterbrach ihn Cornelia in der früheren ironischen Weise.

      "Uebrigens beruhigen Sie sich wegen des hinterlistigen Streiches Seitens Alicens. Die Sache verhält sich anders. Sie hat mir selber geschrieben, daß sie einen Ihrer beiderseitigen Bekannten in Berlin zu dieser unschuldigen Mystifikation bereden wolle, um Ihnen dann durch das wirkliche Erscheinen Schattenfrei's eine desto größere Ueberraschung zu bereiten."

      "Und Sie haben es natürlich für Wahrheit gehalten."

      "Warum nicht? - Sie sollten glauben gemacht werden, Alice hätte jenen Brief geschrieben, was aber nicht der Fall war."

      "Wäre es gewesen, wie Sie sagen, so können Sie sich darauf verlassen, daß es aus der Absicht geschehen ist, entweder mich in April zu schicken - oder aber zu einer Rückkehr nach Deutschland zu veranlassen, die ich nachher zu bereuen hätte, wenn ich die Wahrheit hörte."

      "Sie scheinen in der That den Charakter Alicens gut zu kennen" sagte der Baron mit einer tiefen Bitterkeit - "und weiter haben Sie Nichts von ihr und - ihm gehört?"

      "Ich habe Ihnen schon einmal erklärt, daß sie hier ist."

      "Es ist wahr!" - rief er mit zitternder Stimme, indem seine Lippen bebten.

      "Wahr!"

      "Und er?"

      "Auch!"

      Mit leuchtenden Blicken sah er umher, als suche er den Gegenstand seiner Rache. Cornelia faßte ihn beim Arm.

      "Kommen Sie!" - sagte sie leise und bedeutungsvoll.

      Sie führte ihn bei diesen Worten in einen schmalen Seitenweg ein, der tiefer in die Mitte des Parks hineinführte. Schweigend und schnellen Schrittes gingen sie neben einander daher, ohne auf die sie umgebenden reizenden Anlagen auch nur einen flüchtigen Blick zu werfen.

      Ein klarer Bach, dessen Quelle nur einige Stunden weiter im Gebirge hinauf lag, durchströmte in mannichfachen Windungen den Park, auf beiden Ufern mit den herrlichsten Erlen- und Trauerweiden-Gruppen eingefaßt. Zuweilen schimmerten auch anmuthig geschwungene Brückenbogen mit durchbrochenem weißen Geländer durch das grüne Laubwerk, oder es klang das eintönige Rauschen einer kleinen bald natürlichen, bald künstlichen Cascade in das Ohr des einsamen Spaziergängers. Der größte Reiz aber bestand in der völligen Zwanglosigkeit und scheinbaren Unabsichtlichkeit, welche durch sämmtliche Anlagen herrschte. Unbefangenen Gemüthern, - das heißt solchen, die von der methodischen Entseelung, der wir durch die Civilisation unterworfen werden, mehr oder minder unberührt geblieben sind und die daher das Goldkorn ihrer innersten Menschenwürde noch nicht aus dem Schacht ihres Herzens heraufgeholt und nach Außen getrieben haben, damit es sich als werthloser Goldschaum um ihre Oberfläche legt, um von denen da draußen bewundert, betastet und - abgegriffen zu werden, - allen solchen unbefangenen Gemüthern muß der Anblick von Kunstanlagen, bei denen die Kunst gewöhnlich eben solchen entseelenden Einfluß ausübt, wie die Civilisation auf die Menschen, nothwendig ein peinliches, drückendes Gefühl erregen. Die abgezirkelten, mit gelbem Kies bestreuten Wege, die beschnittenen Hecken, die gespreizten Spaliere, Alles benimmt der freien Brust den Athem; denn der Geist fühlt sich gerade in der Freiheit, in der Unendlichkeit und Mannichfaltigkeit verwandt mit der Natur. Jede Beschränkung, jedes kleinliche, nach der engherzigen Anschauungsweise Zugeschnittene in ihr bedrückt auch den Menschengeist und macht den Schmerz der Natur zu seinem eigenen.

      Ganz anderer Art mochten die Gedanken der beiden schweigenden Wanderer sein, deren Blicke auf einen Punkt starrten, der stets zwei Schritte von den Spitzen ihrer Füße entfernt auf dem festgetretenen Boden ihnen voraus zu eilen schien.

      Der Baron von Landsfeld konnte im Sinne gewisser Frauen für einen schönen Mann gelten. Hoch und schlank gewachsen, prägte sich in seine ganze Gestalt das Bewußtsein von Mannhaftigkeit aus. Sein schöner Kopf, obwohl in diesem Augenblicke etwas gesenkt, als wenn die Gedanken drinnen durch ihre Last ihn gebeugt hätten, zeigte selbst in dieser Biegung des Nackens die Gewohnheit, ihn stolz und aufrecht zu tragen. Wenn sein Haar nicht mehr die Elasticität und Fülle der ersten Jugend besaß, so war es doch glänzend und von schöner dunkelbrauner Farbe. Dasselbe Gepräge von Energie lag auch auf der breiten hochgewölbten Stirn und auf der edel, fast zu scharf hervorspringenden Nase. Der zartgeformte und kleine Mund wurde fast ganz bedeckt von dem kräftigen und sorgfältig gepflegten Barte, unter dessen dunklen Wellen das Kinn völlig verschwand. Sein Auge war von eigenthümlichem Glanze und tiefer durchdringender Schärfe. Die Farbe war schwer zu bestimmen, da sie mit der größeren oder geringeren Stärke der augenblicklichen Empfindung zu wechseln schien. Im ruhigen Gespräch hätte man es für ein mattes aber glänzendes Grau gehalten. In solchen Augenblicken zeigte sein Gesicht einen fast gewöhnlichen Ausdruck. - Wenn dagegen in seiner Seele irgend eine Leidenschaft ihren Sitz aufgeschlagen hatte - und das war meistens der Fall - so erhielten seine Züge eine so charakteristische Umgestaltung, daß man in Zweifel über die Identität der Person gerathen konnte. Die kurz aber fest zusammengezogenen Augenbrauen drückten dann eine strenge Bestimmtheit aus und der halbgeöffnete Mund mit der aufgeworfenen Oberlippe, die scheinbar noch schärfer hervorspringenden Linien der Nase und vor Allem die unter den tiefer herabgezogenen Brauen groß und dunkel hervorstrahlenden Augen gaben dem bleichen Gesichte einen Ausdruck von leidenschaftlicher Kälte und energischer Entschlossenheit, deren bloßer Anblick einem Geiste von geringerer Intensität Furcht einflößen mußte.

      Der Baron trug gegenwärtig einen enganschließenden Reitüberrock von dunkelgrünem Tuch, der die muskulösen aber biegsamen Formen seines graziös gebaueten Körpers vortheilhaft hervortreten ließ. Seine weißen weiten Beinkleider fielen in natürlichen Falten bis auf den eleganten Stiefel herab, der eben so wie die eben bezeichneten Kleidungsstücke eine Abneigung gegen die Herrschaft der Mode bekundete, ohne indeß den Geschmack