Gulligold - Serienmorde in Münster. Michael Wächter

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Название Gulligold - Serienmorde in Münster
Автор произведения Michael Wächter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754182888



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      Nun war der Moment nicht mehr weit, an dem auch Luigi sein Frühstück in den Mund bekam. Gießerei Klebholz – hier kommt alles wieder ins Lot, dachte Luigi. Man muss nur abwarten, bis die Hitze verflogen ist.

      

      Bernd „Bernie“ Berendsen, der gemütliche Ostfriese, öffnete die Tür zu dem kleinen Appartement, das er sich an der Josefskirche angemietet hatte. Er war müde. Er schob sich eine Pizza in den Ofen und sah aus dem Fenster. Im Südpark grillten einige Studentengruppen. Andere spielten Fuß- und Federball. Zwei Studentinnen schlenderten durch den Park, in Richtung auf seine Wohnung.

      Berendsen war froh, dass sich der Tag dem Ende zuneigte. Es war später nachmittag. Feierabend. Er war gerade vom Aschendorff-Verlag zurück. Dort hatte er seinen Kollegen Rudi Rettich getroffen, der bei den Westfälischen Nachrichten arbeitete. Er selbst kam jedoch nicht aus Münster. Er kam aus Norden (der Stadt, und auch der Himmelsrichtung) und war Reporter der OZ, Ostfriesenzeitung Leer (sie war aber voll, nicht leer, und er schrieb die Berichte für Leer-Logabirum und Aurich). Berendsen kannte Rettich schon seit Jahren. Zwei, drei Mal pro Jahr trafen sie sich zum Austausch. In Münster hatte es zwei interessante Mordfälle gegeben, und für die OZ waren das sicher ein paar interessante Schlagzeilen. Er hatte genug Infos bekommen, und jetzt war er froh, wieder daheim zu sein.

      Gerade als er nach der Pizza im Ofen sehen wollte klingelte es. Er sah durch den Türspion. Auch lecker!, dachte er vergnüglich. Hoffentlich keine Zeuginnen Jehovas!

      Zwei junge Frauen standen in der Tür. Eine, blond und ganz in Jeans gekleidet, gefiel ihm sofort. Ihre rothaarige Begleiterin weniger.

      „Guten Tag, Herr Berendsen!“, strahlte die Blonde.

      „Moin!“, brummte Berendsen freudig erstaunt.

      „Wie sind sie in ihre Wohnung gekommen? Wir haben da etwas für sie!“, strahlte sie weiter.

      „Mit dem Ersatzschlüssel! Aber was zum Deibelschiet …“

      Berendsen hielt inne. Seine Kinnlade klappte auf – wie die Laderampe einer norddeutschen Inselfähre.

      Die Rothaarige hielt ihm sein Schlüsselbund entgegen, die Blondine sein Portemonnaie.

      „Fundsachen. Für sie.“, lachte sie.

      Berendsen freute sich über die Fundsachen. Er bat die Frauen herein. Als Finderlohn spendierte er ihnen an diesem Abend seine Pizza. Und eine Cola light. Und dann noch ein, zwei Rotweine, fast ebenso süß.

      Es wuirde ein langer Abend. Bernd, Inga und Lilly wurden Freunde und sprachen noch lange über Journalismus- und das Reporter-Dasein. Bernd ließ sich von den beiden gerne noch etwas weiter ausfragen, nicht nur Berufliches. Und die Beiden waren sehr wissbegierig.

      Der Mörder ging, als die Anderen kamen. Er ging auch nicht heimlich, auf leisen Sohlen. Er hatte einige Wochen krank gefeiert und dann gekündigt, von einer neuen Liebe erzählend und einem neuen Job. Er hatte seinen Spind geräumt, letzte persönliche Dinge wie Thermoskanne und Stullendose eingepackt und ein neues Fahrrad besorgt. Nun fuhr er damit von seiner Ex-Firma Klebholz aus den Dortmund-Ems-Kanal lang, ein letztes Mal. Er wollte die Umgehungsstraßen-Brücke über den Kanal unterqueren, doch dann nahm er aus einer Laune heraus die entgegengesetzte Richtung den Kanal lang, bog in ein Waldstück ein, über die Nieberdinger Straße am ehemaligen Kreiswehrersatzamt vorbei, hinter Getränke Lappe die Kanalseite wechselnd, und radelte zum Kreativ-Kai hinter den ehemaligen Osmo-Hallen. Irgendwo in der Nähe des Hot-Jazz-Club und des Beach-Clubs setzte er sich auf eine Steinbank am Ufer und ließ seine Gedanken schweifen.

      Niemand würde ihn wiederfinden. Er hatte erzählt, er ziehe ins Sauerland, und seine neue Liebe heiße Martina Müller aus Lüdenscheid – doch er hatte ein Zimmer bei einer Ferienwohnung auf Langeoog angemietet. Er würde dort unterkommen, als Hafenarbeiter jobben und Gras über die Sache wachsen lassen, Gras über Münster, Gras über Marlies Mühlmann, dieses Miststück. So wie jetzt am Kreativ-Kai, so würde er in Zukunft an einem Kai beim Hafen auf Langeoog sitzen und seine Gedanken schweifen lassen. Er dachte daran, wie er in der Wohnung der Mühlmann ihr Handy in der Hand hatte, um es auf das „Tagebuch“ der Mühlmann zu legen, das er zuvor mühsam angefertigt hatte. Er war stolz auf sich: Auch auf dieser Fälschung hatte er keinen einzigen Fingerabdruck hinterlassen. Die Kripo würde nichts finden – nur eine falsche Spur.

      Er saß noch dort, bis die Sonne unterging. Dann fuhr er heim, packte in der inzwischen leergeräumten Wohnung (auch sein Ex-Vermieter glaubte, er ziehe ins Sauerland) seine letzten Sachen ein und nahm am Folgetag einen Zug Richtung Nordsee, mit Anschluss an die Fähre Bensersiel – Langeoog.

      Nach der Überfahrt saß er erst noch kurz am Strand, einige hundert Meter von der Anlegestelle entfernt. Er blickte auf das Meer hinaus. Es war Ebbe und das Watt war zu sehen – und das Festland bei Bensersiel im Süden. Er hatte sich aus Münster abgesetzt. Nichts gab es mehr, was ihn dort hielt. Der Job bei Klebholz war gekündigt, und die Mühlmann, dieses Miststück, war beseitigt. Sie hatte ihn so sehr verarscht. Er hatte sich an sie rangemacht, sich um sie bemüht, den Arsch aufgerissen. Und sie? Was hat sie gemacht? Schluss hatte sie mirt ihm gemacht, einfach so, und ihre ABD-Beteiligung an dem Fonds gekündigt, die er ihr günstig besorgt hatte, zum Jubiläum ihrer beider Beziehung.

      Zwei Mal hatte sie sein Leben zerstört – einmal privat, indem sie beendet hatte, was er mit ihr angebahnt hatte, um ihr die ABD-Anlagebeteiligung anzudrehen, und finanziell, indem sie diese Beteiligung wieder gekündigt und sich dann auch noch rausgeklagt hatte. Provision und Reputation hatte es ihn gekostet – das musste ja dann einen Wink von ganz oben geben, sie zu eliminieren. Genau zweieinhalb Monate waren sie ein Paar gewesen, zehn Wochen, ind dann hatte sie einfach so Schluss gemacht und die ABD-Anlagebeteiligung gleich mitgekünsigt. Das hatte ihn nicht nur seine Provision gekostet. Es hatte ihn auch seinen Ruf als guter Verkäufer ruiniert und Petermann, sein Chef, war sauer geworden. „Sowas ist kein Verkaufserfolg, du Niete,“, hatte er getobt, „nur eine Seifenblase!“ Sogar gegen die Ablehnung Ihres Widerrufs hatte sie dann noch geklagt – gegen den ABD. Welch‘ eine Rufschädigung, welch eine Blamage! Gequirlte Hundekacke, dachte er, und ich musste Arsch vom Dienst das Problem wieder lösen und die Mühlmann zum Schweigen bringen!

      Aber er wusste: Er hatte ganze Arbeit geleistet: Das Miststück vergiftet, ihre Wohnung gereinigt und Spuren beseitigt, die falsche Spur in Marlies‘ Wohnung gelegt, die Leiche nachts im Sack in den Wald geschafft, zerstückelt und portionsweise im Schmelzofen der Firma verheizt, wo er Praktikum und Minijob gemacht und gleich wieder gekündigt hatte. Alles in Butter! Petermann konnte zufrieden mit ihm sein. Sein Ruf war rehabilitiert, und der des ABD auch. Er war sicher auf Langeoog. Und über die Sache wuchs das Gras.

      

      Sonntagmorgen. Kommissar Martin Heveling hatte frei. Er freute sich auf die Hochzeit, als er aufgestanden war. Er ging die Treppe ins Bad hinunter, öffnete die Tür zum Gäste-WC, zog seine Schlafanzughose hinunter und setzte sich. Aber so ganz sicher war er sich seiner Freude nicht, bemerkte er beim Blick in den Spiegel über dem Waschbecken gegenüber des WC-Sitzes.

      Danach zog er sich an, machte der Familie das Frühstück, weckte die Kinder, zog sie an und setzte sie an den Frühstückstisch, während seine Frau sich wusch und anzog. Sie machte sich schick heute, besonders schick, denn ihr Jugendfreund Walter heiratete beim Schloss der westfälischen Wilhelmsuniversität Münster (Es soll umbenannt werden, da, so die Begründung, Kaiser Wilhelm ein imperialistischer Rassist war), am ehemaligen Hindenburgplatz (der schon in Schlossplatz umbenannt worden ist). Hevelings ganze Familie war danach ins Schlossgartencafé eingeladen.

      „Das Rote oder das Blaue?“, fragte ihn Ina, das rote Kleid angezogen und das Blaue am Bügel in der Hand (Frauen fragen so etwas ihre Männer immer, wenn etwas Besonderes ansteht, zu dem sie sich fertigmachen möchten).

      „Du, Schatzi, Du siehst in Beidem gut aus!“, entgegnete Hans, als er den Kindern nach dem Frühstück die Jacken überzog und sie ins Auto setzte.

      „Nimm das Rote!“, fügte er schnell noch hinzu. Denn er hatte