Gulligold - Serienmorde in Münster. Michael Wächter

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Название Gulligold - Serienmorde in Münster
Автор произведения Michael Wächter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754182888



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eine Tageszeitung und darauf eine schwarze Geldbörse. Sie nahm die Gegenstände auf. In aller Ruhe sah sie in die fremde Geldbörse.

      „Ey! Was machst du da?“, fragte Lilly. „Klauen?“

      „Nee. Ich sehe nach, wem das gehört, du Nuss!“

      Lilly Stresemann griff in die Geldbörse. Sie hoffte, in der Patte einen Perso oder eine Visitenkarte zu finden. So könnten sie den Eigentümer vielleicht direkt anrufen statt zum Fundbüro zu müssen.

      Lilly trug Jeans. Sie war Journalistik-Studentin und Praktikantin bei der Bild-Zeitung. Die Blondine hoffte, dort übernommen zu werden, wenn sie ihr Studium schaffte.

      Inga sah auf den Personalausweis. Sie studierte nebenbei mit Lilly, war jedoch im Hauptfach Metallurgie-Studentin. Sie hatte Lilly mit auf Tour genommen, denn sie sammelte Gusseisen-Proben von Gartenzäunen, Parkbänken, Sperrmüll- und Altmetall-Abfällen, und von den Beet-Begrenzungen an der Promenade. Deren Untersuchung gehörte zu ihrer Doktorarbeit bei Professor Haber.

      „Da steht’s!“, rief Inga. „Bernd Berendsen heißt der. Mit Adresse, guck!“

      Er sah gut aus, dieser Berendsen, fand Lilly. Sie beschloss, ihm die Geldbörse und das Portemonnaie noch am selben Abend vorbeizubringen. Lilly steckte alles ein. Sie wollte weiter.

      „Moment!“

      Inga hielt sie fest.

      „Wir nehmen noch eine Probe!“, bestimmte sie.

      „Okay“

      Lilly wusste, was sie zu tun hatte. Sie reichte ihr die Feile. Inga beugte sich zum Gullideckel hinab, der am Fundort im Rinnstein saß. Sie legte ein Tütchen auf die Querrippen des Gullis, setzte die Feile an eine Gullideckel-Rippe und feilte von unten nach oben. Die Späne fielen auf ihr Tütchen. Sorgsam schloss sie das Tütchen, als sie genug Späne hatte, und steckte es ein. Zufrieden gingen die beiden weiter über die Promenade in Richtung der Synagoge.

      Martin Heveling brauchte heute Morgen einen starken Kaffee. Einen Da-steht-der-Löffel-ja-von-alleine-Kaffee musste es sein. Das Kommissariat am Friesenring war jetzt, am frühen Morgen, fast noch menschenleer, und er wollte den Kaffee im Büro selbst aufsetzen, bevor die Anderen kamen.

      Kommissar Martin Heveling fuhr den Mitsubishi auf den Parkplatz, ging durch die Pforte und nahm die vierzehn Stufen in den ersten Stock in einem Schwung, bevor er die Tür öffnete. „Der Aktenberg muss weg!“, hatte er sich vorgenommen, und dazu brauchte er, wie gesagt, seinen Da-steht-der-Löffel-ja-von-alleine-Spezialkaffee. Von Hand aufgegossen, nicht per Maschine.

      Er öffnete die Amtsstubentür, warf die Lederjacke über die Bürostuhllehne und ging zum Büroschrank, auf dem, hüfthoch abgestellt, Wasserkocher, Kaffeedose und Filter mit Filterpapierpackung bereitstanden.

      „Zwei Löffel!“, dachte er, als er den Wasserkocher füllte und anstellte. Die zwei Löffel Kaffeepulver jedoch konnte er nicht mehr in den Kaffeefilter geben, denn kurz darauf klingelte das Telefon.

      „Heveling!“, meldete sich Martin.

      „Büro Staatsanwalt Memming, Backendreher hier“, meldete sich die Dame von der Staatsanwaltschaft.

      „Hallo Inge!“, sagte Martin.

      „Martin, wir brauchen die Unterlagen im Fall Welterhoff!“

      „Der Tote in der Hohen Waardt?“

      „Ja, der Chef will sie einsehen!“

      „Gestern fertiggestellt. Ich lasse sie euch rüberkommen!“, versprach Martin.

      „Danke!“, schloss Inge, „Dir einen schönen Tag noch!“

      „Dir auch!“, antwortete Martin, in Gedanken wieder an der Kaffeedose angekommen.

      „Moin moin, Martin!“, schallte es ihm da von der Tür entgegen.

      „Morgen, Ernst!“, sagte Martin.

      „Martin, die neuen Ermittlungsakten. Abzuschließende Fälle vom Vorjahr! Der Chef will sie heute Nachmittag sehen. Und du sollst die KTU anrufen – gleich sofort!“

      Martins Mundwinkel sanken vom Obergeschoss in das Erdgeschoss hinab. Die Kaffeepause konnte er vergessen. Der Arbeitstag hatte begonnen. Mit Betonung auf Tag – denn auch nachts konnte und musste er gelegentlich arbeiten.

      „Vielen Dank!“, meinte Martin ironisch – doch Ernst war schon wieder auf dem Flur.

      Martin schob den Aktenstapel an den Rand seines Schreibtisches und sah auf die obersten Ordner. „Vermisstenanzeige Mühlmann“, las er die anhaftende Notiz, „Angestellte, vermisst seit 19.3., Spuren erfolglos geprüft, Suche vorläufig einstellen!?? Meier-zu-Brokenhoff.“

      „Okay, einstellen!“, dachte Martin, als schon wieder das Telefon klingelte.

      „Martin, wo bleibst du? Wir hatten uns doch heute an der Gerichtsmedizin verabredet, mit Mike Rohssoft!“, erinnerte ihn Bob Davis, sein Kollege vom Kommissariat 12.

      Oh, Mist, der IT-ler von der KTU!, fiel es Martin wieder ein.

      Er holte Luft, um Bob zu antworten, da ging sein Handy.

      „Oh Bob!“, meinte Martin. „Vergessen! Das ist nicht mein Tag heute!“

      Und während er Bob zu erklären versuchte, dass die Meckmann-Unterlagen zur Staatsanwaltschaft müssen, die KTU auf ihn warte und Meier-zu-Brokenhoff auf einen Stapel Ermittlungsakten hoffe, da erfüllte ihn ein echt trauriges Gefühl in der Brust: Zu seinem Kaffee würde er wohl nun erst einmal nicht mehr kommen…

      

       Das reiskorngroße Steinchen trudelte durch die eiskalten, dunklen Tiefen des unendlich weiten Weltraums. Es schwebte in der Umlaufbahn des ehemaligen Kometen 109P/Swift-Tuttle alle 133 Jahre einmal um die Sonne, wurde vom Mond umgelenkt und geriet kurze Zeit später plötzlich und mit einer rasenden Geschwindigkeit von 249000 Stundenkilometern in den Luftraum über dem Münsterland. Die Reibungswärme erhitzte es auf über 2000 Grad Celsius. Im Todeskampf in 80 km Höhe glühte das Geschoss für einen Sekundenbruchteil am Sternenhimmel im Sternbild Perseus auf, bevor seine Atome und Moleküle mit der Luft zu einem Plasma reagierten.

      „Petra, schau!“, rief ich, „Eine Sternschnuppe!“. Ich wusste an diesem Abend noch nichts von den Vorgängen in der Schmelzerei am Kanal, und auch nichts von Hevelings neuem Vermisstenfall am Morgen danach. Ich erinnere mich aber: ich hatte an jenem Abend diese Sternschnuppe erblickt, als wir unseren Abendspaziergang am Kanal machten. Ich stieß meine Kollegin noch an und zeigte in die Richtung. Petra sah sich zur Seite um, doch da war sie schon verglüht. Die Baumwipfel am Horizont hinter den Silhouetten der Betonwerke verdeckten das Ende ihrer Schweifspur und der Abendhimmel war wieder vom gleichmäßigen Dunkel des sternenübersäten Firmamentes geprägt.

      „Eine Sternschnuppe? Um diese Zeit?“, fragte Petra.

      „Ja, es sind Perseïden – wir haben August!“, meinte ich.

      „Aber sie fallen doch erst nach Mitternacht – bis in den nächsten Morgen hinein?“, meinte Petra skeptisch.

       Ich sah sie an. Ich wollte ihr gerade antworten, da stießen wir am Kanalufer plötzlich auf eine Gestalt, die ein Fahrrad angehoben hatte und es in hohem Bogen durch die Luft schwang. Der Vorderreifen hätte mich fast am Kopf erwischt.

      „Hallo!“, protestierte ich, „passen sie doch gefälligst auf!“

       Wir waren stehen geblieben und ich sah ihn entrüstet an.

      „Entschuldigung!“, sagte er kleinlaut, „Ich habe sie übersehen!“

      „Allerdings!“, entgegnete ich im Weitergehen. „Unmöglich, sowas hier zu entsorgen.“

       Genervt setzten wir unseren Abendspaziergang fort.

       Als