Название | Kleine Erzählungen und Nachgelassene Schriften 1 |
---|---|
Автор произведения | Gerstäcker Friedrich |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754955482 |
„Ich borgte mir die sechs Gulden vom Wirth auf meinen Reisesack,“ sagte Herr Lerche.
„Sehr gut,“ nickte der Fremde. „Sie arbeiteten dadurch mit doppelt negativem Capital – vortrefflich! Also Sie gingen zur Spielbank – verloren aber natürlich.“
„Auch den letzten Gulden,“ bestätigte Lerche, „und die Verzweiflung trieb mich endlich hier heraus.“
„Aber wo bekamen Sie den Strick so geschwind her?“
Herr Lerche zögerte diesmal sehr lange mit der Antwort, endlich sagte er: „Da ich Ihnen nun doch einmal Alles gebeichtet habe, sollen Sie auch das erfahren. Ich hatte ihn mir gekauft, um mich daran im Hotel aus dem Fenster zu /23/ lassen, wenn ich, wie voraussichtlich, meine Wirthshausrechnung nicht bezahlen konnte.“
Der Fremde richtete sich bei den Worten im Nu in die Höhe, und dem jungen Mann die Hand hinüberreichend, sagte er freundlich:
„Herr Lerche, ich kann Sie meiner vollen Hochachtung versichern. Sie haben unbestreitbar Talent, denn daran hätte ich selber nicht gleich gedacht. – Ich müßte mich auch sehr irren, oder Ihre Zukunft ist gesichert. Erlauben Sie mir jetzt nur noch eine Frage, und glauben Sie nicht, daß ich sie indiscret thue; aber ich muß es zu Ihrem eigenen Besten wissen. – Wie viel Schulden haben Sie, und vor allen Dingen, wem schulden Sie?“
Herr Lerche schwieg, aber nicht aus Zurückhaltung, denn allerlei Gedanken kreuzten ihm das Hirn. Der großmüthige Fremde wollte jedenfalls seine Schulden bezahlen, und er machte sich nun im Geist einen Ueberschlag, wie viel er angeben sollte, ohne dabei etwas zu vergessen. Endlich schien er damit im Reinen und sagte:
„Meinem Schneider schulde ich dreißig Thaler –“
„Selbstverständlich!“ lautete die Antwort.
„Meinem Schuhmacher fünfzehn, sind fünfundvierzig. – Meinem Wirth für Essen und Wohnung hundertundsechzig, macht zweihundertundfünf, dem Buchhändler acht Thaler, sind zweihundertunddreizehn – im Frühstückskeller zweiundvierzig Thaler etwa, macht zweihundertfünfundfünfzig. – Meiner Wäscherin elf Thaler – gleich zweihundert-sechsundsechzig, und dann – habe ich noch zweihundertfünfzig Thaler baar Geld aufgenommen.“
„Von wem?“ frug der Fremde.
„Von der ersten Liebhaberin unseres Theaters.“
„In der That? Eine Herzensneigung?“
„Nein.“
„Auf Wechsel?“
„Nein.“
„Also auf Ehrenwort?“
„Ja,“ sagte Herr Lerche zögernd, während der Fremde einen Blick nach dem Baum hinüberwarf, an dem der Strick noch /24/ hing. „Was sich also mit meiner Schuld hier in Ems auf etwas über fünfhundert Thaler belaufen würde.“
„Also einem Wucherer sind Sie nichts schuldig?“
„Nein – fünfhundert Thaler könnten mich retten.“
„Was nennen Sie retten?“ sagte der Fremde verächtlich. „Wenn Sie die fünfhundert Thaler bekämen und Ihre Schulden wirklich damit bezahlten, so wären nur Ihre Gläubiger besser daran, Sie selber aber genau auf dem alten Fleck wie vorher. Nur in dem Fall, daß Sie dieselben nicht bezahlten,“ setzte er langsamer hinzu – „wären Sie gebessert, aber auch nur für eine kurze Zeit, denn das alte Elend würde doch immer wieder über Sie hereinbrechen. Um Ihnen wirklich zu helfen, Herr Lerche, dazu gehört mehr als fünfhundert Thaler.“
„Oh, Sie sind so gütig!“ sagte Lerche, wirklich betroffen von den Worten.
„Dazu gehört,“ fuhr aber der Fremde fort, ohne von dem Lob die geringste Notiz zu nehmen, „daß Sie selber den Beruf finden, der für Sie paßt, und darin will ich Ihnen behülflich sein. Alles Andere ist nur ein Tropfen Wasser auf einen heißen Stein und hält Sie allein ein paar Monate länger am Leben, womit, nebenbei, Niemandem besonders gedient wäre.“
„Aber was verstehen Sie unter einem Lebensberuf?“ sagte Lerche, dessen Hoffnungen bei den Worten einen gelinden Stoß bekamen; denn baar Geld wäre ihm viel lieber gewesen, als ein Lebensberuf.
„Lassen Sie mich aufrichtig sein,“ sagte der Fremde, „denn nur dadurch kann ich Ihnen beweisen, daß ich es gut mit Ihnen meine – Sie haben nichts gelernt und von einem Beruf zum andern übergewechselt; Sie können auch nichts Selbstständiges und Vernünftiges schaffen, sonst würden Sie jedenfalls einen Verleger für Ihre Arbeiten gefunden haben. Ihr sonstiger Charakter läßt nichts zu wünschen übrig, und ich würde Ihnen ohne Weiteres eine Auswanderungs-Agentur vorschlagen, wenn Ihnen Ihre poetische Neigung darin nicht im Wege stünde. So weiß ich nur noch einen Ausweg für Sie, auf dem Sie sich Ihr Brod jedenfalls verdienen können: /25/ Sie müssen Theaterrecensent werden und sich wo möglich an einer Theaterzeitung und Agentur betheiligen.“
„Aber die mißglückten Versuche, die ich selber –“ sagte etwas schüchtern Herr Lerche.
„Bester Freund, die lassen Sie dann Anderen entgelten,“ lachte sein freundlicher Rathgeber; „denn wer selber etwas schreiben kann, wird natürlich nicht Recensent. Ihre Gewissenhaftigkeit steht Ihnen doch hoffentlich nicht dabei im Wege? – Und überdies,“ fuhr der Fremde leichthin fort, „werden Sie mit der Zeit auch so verbittert werden, daß Ihnen die Galle schon von selber kommen wird, und nichts in der Welt nährt besser als Galle –“
„Ich habe immer das Gegentheil geglaubt,“ wagte Lerche eine schüchterne Entgegnung; denn wenn ihm der Fremde nichts weiter geben wollte, als den Rath, so hätte er ihn eben so gut können sich selber überlassen, und dann wäre jetzt Alles überstanden gewesen.
Der Fremde würdigte ihn keiner Antwort; er hatte still vor sich nieder gesehen und leise dazu mit dem Kopfe genickt.
„Eine Auswanderungs-Agentur würde Ihnen nicht genügen,“ sagte er endlich – „je mehr ich mir die Sache überlege, desto mehr bin ich davon überzeugt. Daß Sie aber als Recensent Ihr Glück machen werden, ist gewiß. Wir sprechen uns wieder.“
„Verehrter Herr,“ bemerkte Lerche endlich, „das ist Alles recht schön und gut, aber wie soll ich dazu gelangen, selbst nur darin einen Anfang zu bekommen?“
„Ich gebe Ihnen einen Empfehlungsbrief mit an die Theater-Agentur in X.,“ sagte der Fremde, „die bringt Sie in die rechte Bahn – ich stehe mit ihr in Geschäftsverbindung.“
„Aber womit käme ich selbst nach X.?“ seufzte Lerche; „ich habe keinen rothen Heller mehr im Vermögen. Wenn Sie mir nur wenigstens die fünfhundert Thaler auf mein ehrliches Gesicht borgen wollten. – Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort –“
Der Fremde lachte laut auf. „Die Menschen,“ sagte er endlich, nennen mich immer einen „dummen Teufel“, aber so /26/ dumm ist der Teufel denn doch wahrhaftig nicht, daß er einem deutschen Dichter Geld borgen sollte. – Caramba, die Idee ist nicht übel!“
„Sie nennen sich immer den Teufel,“ sagte Lerche, dem es doch anfing, unheimlich in der Nähe des blassen Mannes zu werden, noch dazu, da sich dieser direct weigerte, ihm irgend welchen Vorschuß zumachen; „wenn Sie nun wirklich der Herr wären – und ich muß Ihnen gestehen, daß ich mir bis dahin ein solches Wesen anders gedacht habe –“
„Mit feuersprühenden Augen und Hörnern, wie?“ lächelte der Fremde.
„Wenn auch vielleicht nicht so – aber doch –“
„Und was wollten Sie vorhin sagen?“
„Wirklich also den Fall genommen,“ wiederholte Lerche, „so wäre es doch für Sie ein Leichtes, mir auch ohne directen Vorschuß zu Geld zu verhelfen. Sie brauchten mir nur einen einzigen Thaler anzuvertrauen, und drüben an der Spielbank könnte ich –“
„Das geht nicht,“ unterbrach ihn kopfschüttelnd der Fremde; „ich – habe mit den Herren