Insgesamt kann man sich jedoch — trotz de Roo — nicht des Eindrucks erwehren, dass die Borgia in der Regel umso milder beurteilt werden, je weniger nah der Beurteilende der katholischen Kirche steht. Bei der Frage, ob dies ein Zufall ist oder tiefere Gründe hat, sollte man vielleicht eine Tatsache nicht außer Acht lassen:
Aus heutiger Sicht scheinen die Borgia römischen Cäsarengestalten wie Caligula und Nero näher zu stehen als unserer Gegenwart. Gleichwohl waren die Borgia-Päpste Calixt III. und Alexander VI. — von einer Ausnahme abgesehen — die letzten nichtitalienischen Päpste der Kirchengeschichte bis zu dem am 16. 1o. 1978 zum Papst gewählten Polen Karol Wojtyla. Zugleich waren sie nach dem „Exil“ der Päpste von Avignon, an dessen Beendigung Calixt maßgeblichen Anteil hatte, das einzige nichtitalienische Geschlecht, das wie die großen italienischen Häuser der Colonna, Orsini, Conti, Gaetani, Medici, della Rovere als Familie, oder besser als Dynastie, die Macht im Vatikan ausgeübt hat.
Nach dem von den Italienern als Maranen — eine Bezeichnung für getaufte, aber ihrem Glauben treugebliebene Juden — bezeichneten Borgia hat es bis zur Wahl von Johannes Paul II. nur einen nichtitalienischen Papst gegeben. Dies war der ehemalige Erzieher Kaiser Karls V., der Holländer Hadrian VI. Er wurde am 9. I. 1522 zum Papst gewählt, trat sein Amt am 31.8. 1522 an und verstarb schon ein Jahr später am I 5. 9. 1523. Es wurde von Gift gesprochen.
Im Gegensatz zu den Borgia-Päpsten war Hadrian, der als einziger der Renaissancepäpste ernsthaft den Versuch unternommen hat, die Kirche zu reformieren, über jeden moralischen Zweifel erhaben. Gleichwohl oder gerade deshalb zog sich Hadrian den unversöhnlichen Hass der Römer zu. Über seinen Tod berichtet Gregorovius: „Nicht der Tod Alexanders VI. war in Rom mit solcher Freude begrüßt worden. Die ausgelassene Jugend bekränzte die Haustüre des päpstlichen Arztes und heftete darauf die Inschrift: >Dem Retter des Vaterlandes. Der Senat und das Volk von Rom.< Als den vielleicht Einsamsten der Päpste hat ihn der Historiker Heinz Kühner wohl zu Recht bezeichnet.“ Der Hass, der diesem völlig integren Papst entgegengeschlagen ist, spricht sicher nicht gegen die Meinung derer, die, wie etwa Susanne Schüller-Piroli, die Auffassung vertreten, der Hass gegen die Borgia sei weniger eine Folge ihrer Sittenlosigkeit als ihrer Herkunft und der Tatsache gewesen, dass sie es unternommen haben, die Macht des römischen Adels im Kirchenstaat zu brechen.
Herkunft und Aufstieg
Die Borgia (italienisch) oder Borja (spanisch und valencianisch) waren eine aus Spanien (genauer: der heutigen Autonomen Region Valencia) stammende Adelsfamilie. Die Borgia stammen aus dem Königreich von Valencia, im Süden der Konföderation der Krone Aragón, vor allem aus València und Xàtiva. Die Familie kam zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Italien zu Macht und Reichtum. Die Borgiafamilie stammte aus dem Dorf Borja in Aragón. Sie pflegten ihre Wurzeln und sprachen auch in Rom innerhalb der Familie die katalanische Sprache. Roderic Llançol i de Borja wurde als Sohn des aus Valencia stammenden Jofré de Borja y Escrivà (1390–1436), Sohn von Rodrigo Gil de Borja i de Fennolet und Sibilia d’Escrivà i de Pròixita, und der aus Aragonien stammenden Isabel de Borja y Llançol (1390–1468), Tochter von Juan Domingo de Borja und Francina Llançol, geboren.
Andere Quellen sprechen aber dafür, dass er als unehelicher Sohn seines „Onkels“, des späteren Papstes Calixt III., geboren wurde; seine Mutter war eine Schwester Calixts.
Der Familienname wird Llançol in Valencia geschrieben. Die allgemeine spanische Schreibweise ist Lanzol. Rodrigo nahm den Familiennamen Borgia an, als sein Onkel mütterlicherseits, Alonso de Borja, zum Papst gewählt wurde. Dieser regierte als Papst Kalixt III. von 1455 bis 1458 und ermöglichte Rodrigo de Borja den Aufstieg in der kirchlichen Hierarchie.
Wappen der Borgia
Rodrigo Borgia studierte zunächst – ab etwa 1453 – in Bologna kanonisches Recht, nachdem er von seinem Onkel bereits mit zahlreichen lukrativen Pfründen ausgestattet worden war, unter anderem als Kanonikus in Xàtiva. Er war zwar kein Priester – das wurde er, wie damals nicht unüblich, erst Jahre später – dennoch ernannte ihn sein päpstlicher Onkel am 20. Februar 1456 zum Kardinaldiakon von San Nicola in Carcere und bereits im darauffolgenden Jahr zum „Vizekanzler der Heiligen Römischen Kirche“. Dieses auf Lebenszeit verliehene Amt und seine zahlreichen Pfründen – Rodrigo stand etwa 30 Bistümern als Titularbischof vor – machten ihn zu einem der reichsten Männer Europas. Ab 1458 war er in commendam Kardinaldiakon von Santa Maria in Via Lata. 1471 wurde er Kardinalbischof von Albano und 1476 von Porto.
Schauen wir uns zunächst den ersten Papst aus dem Geschlecht der Borgia etwas genauer an.1
Er wurde als Sohn von Juan Domingo de Borja und Francina Llançol in Xàtiva, einem Ort in València, geboren. Alonso stammte aus dem spanischen Geschlecht der Borja, das dem niederen Landadel angehörte und im Laufe der Zeit verschiedene Führungspositionen in Valencia eingenommen hatte. Seine Schwester war Isabella de Borja y Llançol, die mit Jofré de Borja y Escrivà (Jofré de Borja) verheiratet wurde und Mutter des späteren Papsts Alexander VI. war. Er studierte zunächst kanonisches Recht in Lleida und begann 1408 seine kirchliche Laufbahn. 1411 wurde er zum Kanoniker an der Kathedrale von Lleida ernannt, ein Amt, für das der Familie Borja offensichtlich ein Vorschlagsrecht zustand. Um diese Zeit prophezeite der dominikanische Bußprediger Vicente Ferrer dem jungen Kleriker, dass er einmal Papst werden würde. Alonso, der einen hervorragenden Ruf als Kenner des kanonischen Rechts genoss, wurde zunächst vom Gegenpapst Benedikt XIII. als Berater an seinen Hof gerufen. Benedikt war einer von damals drei rivalisierenden Päpsten, die allerdings durch das Konzil von Konstanz enthoben und durch den 1417 neugewählten Martin V. ersetzt wurden. Alonso trat deshalb in die Dienste des Königs von Aragón, Alfons V. Dort fiel ihm vor allem die Aufgabe zu, in den Verhandlungen mit der Kurie die Interessen des Königs durchzusetzen. So verlangte Alfons für die Einstellung seiner Unterstützung der Gegenpäpste (Clemens VIII. und Benedikt XIII. hatten sich geweigert zurückzutreten) zahlreiche Zugeständnisse. Alfons konnte durch den Einsatz des versierten Juristen die Durchsetzung seiner Ansprüche beim Papst erreichen; Clemens, dem Alonso die Botschaft persönlich überbracht hatte, trat daraufhin zurück.
Auf Fürsprache des Königs wurde Alonso 1429 zum Bischof von Valencia erhoben; wie damals üblich, musste der neue Bischof dem König die Würde finanziell ablösen.
Für Alfons, der den Thron von Neapel zu usurpieren gedachte (das Königreich Neapel war ein päpstliches Lehen) und die französischen Anjou vertrieben hatte, verhandelte Alonso mit dem Papst, mittlerweile Eugen IV., und erreichte 1439 einen Waffenstillstand mit Rom. Alonso führte sowohl im Auftrag des Königs die Verhandlungen mit dem örtlichen Adel um die Anerkennung der neuen Herrschaft als auch 1443 mit dem Papst, der schließlich die Herrschaft Alfons’ über Neapel anerkannte; im Gegenzug entzog der König dem Konzil von Basel − Sammelpunkt der innerkirchlichen Opposition gegen den Papst − seine Unterstützung.
Als Anerkennung für seine Dienste erreichte Alfons die Verleihung der Kardinalswürde, die Alonso 1444 als Kardinal von Valencia erhielt. Entsprechend den Sitten der Zeit begann er nun, die Karriere zweier Neffen zu fördern: dabei handelte es sich um die Söhne seiner Schwester Isabel, Rodrigo de Borja und Pedro Luis de Borja. Ersteren holte er 449 zu sich nach Rom.Unter dem 1447 zum Papst gewählten Humanisten Tommaso Parentucelli, der den Namen Nikolaus V. annahm, kam es in Italien zu weitreichenden Veränderungen: die Sforza bestiegen den mailändischen Herzogsthron (Francesco Sforza war einer der Condottiere Alfons’ in Neapel gewesen) und mit dem Fall Konstantinopels am 29. Mai 1453 gewann die Kreuzzugsidee neue Bedeutung.