Название | Der Gefangene im Kaukasus |
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Автор произведения | Лев Толстой |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783752993493 |
Der Kleine lief auch wirklich hinter Schilin her und rief: »Geh nicht dahin; der Vater hat's verboten. Ich rufe sonst gleich unsere Leute zusammen.«
Schilin versuchte ihn zu überreden.
»Ich gehe nicht weit, nur ein wenig den Berg hinan. Komm doch mit mir! Mit dem Fußklotz da kann ich ja nicht davonlaufen. Morgen werde ich Dir einen Bogen und Pfeile machen!«
Der Kleine ließ sich überreden und ging mit. Es war nicht sehr weit bis zum Gipfel, um einen Überblick zu gewinnen, aber mit dem Fußklotz ward es doch sehr mühsam, hinanzuklimmen; kaum konnten sie das Ziel erreichen.
Schilin setzte sich, endlich oben angelangt, und begann die Gegend zu überschauen. Gegen Süden hinter der Scheune lief ein Hohlweg hin, auf dem eben ein Trupp Pferde dahinging, und weiterhin sah er ein anderes Dorf in der Niederung. Hinter diesem Dorfe lag ein anderer noch steilerer Berg und hinter jenem zwei weitere. Zwischen diesen Bergen war ein Wald zu erblicken in blauer Ferne und höher und höher ragten dort die Spitzen des Gebirges. Über die anderen empor ragte ein Berg, weiß wie Zucker, mit Schnee bedeckt, als wenn er eine weiße Kappe trüge. Nach Osten wie nach Westen ebensolche Berge, in den Tälern dazwischen Dörfer, von denen bläulicher Rauch aufstieg.
»Nun«, sagte er sich, »das alles ist ihre Seite«, und wandte sein Auge der anderen, russischen Seite zu. Er sah ein kleines Flüsschen und ein Dorf von Gärten umgeben. Am Fluß sah man, klein wie Puppen, Weiber sitzen und Wäsche waschen, hinter dem Aul einen Hügel, dann weiterhin noch zwei Bergkuppen mit Wald besetzt. Zwischen den beiden Bergen zeigte sich eine Ebene, die sich lang gestreckt in blauer Ferne verlor. Schilin hatte sich klar zu machen gewußt, in welcher Richtung die Sonne auf- und unterging, als er noch in der Festung lebte und kam danach zu dem Schluss, gerade dort in jenem Tal müsse die russische Festung liegen. Dahin, zwischen den beiden Bergen hindurch, mußte er also seine Flucht richten.
Schon neigte sich die Sonne zum Untergang, die weißen Schneeberge wurden mit Purpurlicht übergossen, aus den Tälern stieg ein feiner Dunst auf, und jene Ebene, in der die russische Festung sich befinden mußte, glühte im Hellrot des Sonnenuntergangs. Schilin blickte gespannt gegen Norden, er sah etwas undeutlich in der Ferne schimmern, mit einer wie aus einem Schornstein sich erhebenden Rauchsäule, und er redete sich ein, daß dies wirklich die russische Festung sei. Es war spät geworden, der Mullah hatte schon die Gläubigen zum Nachtgebet gemahnt. Brüllend kehrten die Herden heim. Der Kleine rief mahnend: »Iwan, gehen wir doch nach Hause!« Dieser aber konnte sich noch immer nicht von der Fernsicht losreißen. Nach langem Zögern kehrten endlich beide nach Hause zurück.
»Nun«, dachte Schilin, »nun weiß ich, wohin ich meine Flucht zu richten habe; noch diese Nacht muß ich fliehen!«
Die Nacht war dunkel, es war Neumond. Unglücklicherweise kamen noch am Abend die Tataren zurück. Gewöhnlich hatten sie sonst bei der Heimkehr geraubte Viehherden mitgebracht; diesmal führten sie aber nichts mit sich als die Leiche eines getöteten Tataren, einen Bruder des Rotbärtigen. Sie waren daher in sehr böser Stimmung.
Während sie die Vorbereitungen zum Begräbnis trafen, trat Schilin zu ihnen, um zuzuschauen. Sie hatten den Toten in ein großes, weißes Laken gehüllt und ohne Sarg hinter dem Dorfe unter einer Platane ins Gras gelegt. Der Mullah kam. Greise mit Turbanen auf den Häuptern sammelten sich und setzten sich nebeneinander auf die Absätze, der Leiche gegenüber.
Vorn stand der Mullah, hinter diesem drei Greise mit Turbanen und hinter diesen stellten sich die übrigen Tataren auf. Lange saßen sie so regungslos und schweigend. Endlich erhob der Mullah den Kopf und rief: »Allah!«
Er sprach nur dieses eine Wort und verstummte wieder. Langes Schweigen erfolgte darauf, alle saßen regungslos da. Wieder erhob der Mullah den Kopf. »Allah!« rief er und alle wiederholten: »Allah!« und wieder verstummten sie darauf. Unbeweglich, wie der Tote im Grase, saßen auch sie wie Tote da, keiner rührte sich, nur im Gipfel der Platane hörte man die vom Wind bewegten Blätter rauschen. Dann sprach der Mullah ein Gebet. Alle standen auf, erhoben mit ihren Armen den Toten und trugen ihn zum Grabe. Dies war kein gewöhnliches Grab, sondern unter der Erde ausgehöhlt wie ein Keller. Sie faßten den Toten unter den Schultern und an den Beinen, bogen ihn zusammen und ließen ihn langsam hinab, so daß er in sitzender Stellung auf den Boden der Grube gelangte, dann kreuzten sie seine Arme über die Brust.
Der Nogajer brachte grünes Schilf, mit welchem das Grab ausgelegt wurde, danach wurde es rasch mit Erde zugeschüttet, geebnet und über der Stelle, wo der Kopf des Toten sich befand, ein Stein aufgestellt. Dann wurde die Erde festgestampft, alle kauerten sich wieder im Kreise um das Grab, danach wieder tiefes Schweigen.
»Allah! Allah! Allah!« seufzten sie endlich und erhoben sich.
Der rotbärtige Tatar verteilte Geld unter die Greise, ergriff eine Peitsche und schlug sich damit dreimal auf die Stirn, dann ging er nach Hause.
Am nächsten Morgen sah Schilin eine rote Stute hinter das Dorf hinausführen, welcher drei Tataren folgten. Draußen nahm der Rote sein Beschmet ab, streifte die Ärmel auf, so daß seine großen, nervigen Hände sichtbar wurden, nahm den Dolch heraus und schärfte ihn an einem Schleifstein.
Die Tataren hoben der Stute den Kopf in die Höhe, der Rote trat heran und durchschnitt ihr die Kehle. Die Stute stürzte nieder; er begann sie zu zerschneiden und ihr mit seinen großen Fäusten das Fell abzuziehen. Weiber und Mädchen kamen herbei und wuschen die Eingeweide. Dann wurde die Stute in Stücke zerschnitten und diese in das Haus des Roten gebracht. Das ganze Dorf kam dort zusammen, um das Gedächtnis des Verstorbenen zu feiern.
Drei Tage lang aßen sie von dem Pferdefleisch und tranken dazu Busa, zu Ehren des Verstorbenen. Alle Bewohner des Dorfes waren zu Hause. Am vierten Tage bemerkte Schilin gegen Mittag, daß sie Vorbereitungen zu einem Streifzug trafen. Pferde wurden herbeigeführt und etwa zehn Mann ritten davon, worunter sich auch der Rote befand. Abdul blieb zu Hause. Der Mond war im Zunehmen begriffen, die Nächte waren noch dunkel.
»Nun«, sagte sich Schilin, »heute werde ich fliehen!« Diesen Entschluss teilte er Kostylin mit; dieser aber war feig.
»Warum sollen wir fliehen? Wir kennen ja den Weg gar nicht!«
»O, ich kenne den Weg.«
»Aber eine Nacht genügt nicht, um das Ziel zu erreichen!«
»Wenn wir es nicht erreichen, so übernachten wir im Walde. Ich habe mir einen Vorrat von Fladen aufgespart. Was willst Du hier länger warten? Es ist sehr schön, wenn man das Lösegeld für Dich sendet, aber wie dann, wenn man es nicht auftreiben kann? Die Tataren sind jetzt zornig, weil die Russen einen der Ihrigen getötet haben. Sie sprechen unter sich, ich glaube, sie wollen uns umbringen.«
Kostylin besann sich lange; endlich sagte er: »Nun gut, gehen wir!«
V.
Schilin kroch in den von ihm gegrabenen unterirdischen Gang und erweiterte ihn, damit auch der dicke Kostylin ihn passieren könnte. Danach saßen sie schweigend und warteten ab, bis im Dorfe alles zur Ruhe gegangen war. Sobald im Aul Stille eintrat, kroch Schilin unter der Scheunenwand durch und flüsterte Kostylin zu: »Folge mir nach!« Auch jener kroch nun in die Höhlung hinein, stieß aber dabei mit den Beinen an einen Stein, der geräuschvoll in die Tiefe rollte.
Abdul hatte einen guten Wächter, einen lauten Hofhund, ein bösartiges Tier, »Uljaschin« genannt. Schilin hatte schon früher gesucht, sich mit demselben zu befreunden, indem er ihm zuweilen einen Bissen zuwarf.
Uljaschin hörte das Geräusch und kam unter lautem Gebell hergelaufen, hinter ihm die andern Hunde. Aber Schilin pfiff und warf ihnen ein Stück Fladen zu. Uljaschin erkannte ihn, wedelte mit dem Schweife und hörte auf zu bellen.
Der Hausherr wurde durch das Gebell erweckt und rief von seiner Hütte her: »Hait, hait, Uljaschin!«
Aber