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dreht an den Knöpfen des Radios. Eine Stimme ertönt: »Achtung! Achtung! Achtung! Hier ist der sozialdemokratische Pressedienst! Achtung!«

      »Äh, scheiß! Werde ich meinen Riemen schreiben.«

      Er setzt an, denkt nach und schreibt dieses:

      »Ein kleiner Zirkus namens Monte hat auf dem Jugendspielplatz sein Domizil aufgeschlagen und gab gestern Abend seine Eröffnungsvorstellung. Die Leistungen sind in keinem Punkte überragend und kommen sie nirgends über ein Mittelmaß hinaus. Nach den Darbietungen, die unsere Vaterstadt vor noch nicht langer Zeit im Zirkus Kreno und im Zirkus Stern bewundern durfte, sind die Nummern des Monte-Programms klägliches Surrogat, das allenfalls für Kindervorstellungen ausreicht.«

      Er überliest noch einmal das Geschriebene. »Das wird es tun, denke ich.«

      Er klingelt. Der Lehrling Fritz kommt. »Das soll gleich gesetzt werden. Und sag dem Metteur, er soll es als lokale Spitze bringen. Ich geh jetzt erst auf die Kriminalpolizei und dann aufs Schöffengericht. Wenn noch was ist, rufe ich an. Gut. – Halt, sage der Grete, sie soll der Frau Schabbelt einen Mokka machen.«

      Der Junge geht ab. Stuff sieht auf die schlafende Frau, dann nach der Cognacbuddel. Er hebt die Buddel und trinkt den Rest aus. Er schüttelt sich.

      »Heute Abend werde ich mich besaufen. Heute Abend werde ich Amok laufen«, denkt er. »Mich betäuben, weg sein, vergessen. Das schweinischste Handwerk auf der Welt: Lokalredakteur sein in der Provinz.«

      Er sieht betrübt durch seine Klemmgläser und schiebt ab, zur Kripo und zu den Schöffen.

Erstes Buch

      Erstes Kapitel

      Eine Pfändung auf dem Lande

       1

      Auf der Station Haselhorst steigen zwei Männer aus dem Personenzug, der von Altholm nach Stolpe fährt. Beide sind städtisch gekleidet, tragen aber über dem Arm Regenmäntel, in der Hand derbe Knotenstöcke. Der eine ist ein Vierziger und sieht verdrossen aus, der junge dürre Zwanziger blickt sich lebhaft nach allen Seiten um. Alles interessiert ihn.

      Sie durchqueren Haselhorst auf der Dorfstraße. Überall schauen aus dem Grün die Dächer der Bauernhäuser, bald mit Stroh, bald mit Reeth, bald mit Ziegeln, bald mit Zink gedeckt. Jeder Hof liegt für sich, wendet meistens, von Bäumen umstanden, nur die Schmalseite seines Wohnhauses der Landstraße zu.

      Sie haben Haselhorst hinter sich und gehen nun unter Ebereschen auf der Chaussee nach Gramzow. In den Koppeln steht Vieh, schwarzbunt und rotbunt, sieht sich auch einmal, langsam weiterkäuend, nach den Wanderern um.

      »Es ist schön, einmal aus dem Büro herauszukommen«, sagt der Junge.

      »Das habe ich auch einmal gedacht«, widersetzt der Alte.

      »Immer und ewig nur Zahlen, es ist nicht auszuhalten.«

      »Zahlen sind bequemer als Menschen. Man weiß, was man von ihnen zu erwarten hat.«

      »Meinen Sie denn wirklich, Herr Kalübbe, daß etwas passieren kann?«

      »Reden Sie keinen Quatsch. Selbstverständlich passiert nichts.«

      Der Junge fühlt nach der Gesäßtasche. »Jedenfalls habe ich meine Pistole parat.«

      Der Ältere bleibt mit einem Ruck stehen, schüttelt wütend die Arme, sein Gesicht läuft blaurot an: »Sie Idiot, Sie! Sie gottgeschlagener Querkopf!«

      Seine Wut steigert sich noch. Er wirft Mantel und Stock auf die Chaussee, seine Aktentasche, die er unterm Mantel trug, dazu. »Da! Da haben Sie es! Machen Sie den Dreck alleine! So eine Hirnverbranntheit! Und solch ein Bulle ...« Er kann nicht weiterreden.

      Der Jüngere ist weiß geworden, aus Kränkung, Ärger, Schreck. Aber er kann sich beherrschen. »Ich bitte Sie, Herr Kalübbe, was habe ich gesagt, daß Sie derart erregt sind!

      »Wenn ich schon so etwas höre! Die Pistole parat!! Wollen Sie unter die Bauern mit einer Pistole gehen? Ich habe Frau und drei Kinder.«

      »Aber ich bin heute früh noch einmal vom Finanzrat über den Gebrauch der Waffe belehrt worden.«

      Kalübbe ist ganz Verachtung. »Der! Sitzt hinter seinem Schreibtisch. Kennt nur Papier. Einen Tag sollte er hier draußen mit mir pfänden gehen, nach Poseritz oder Dülmen oder auch heute nach Gramzow –: er würde keine Belehrungen mehr erteilen!!«

      Kalübbe grinst schadenfroh schon bei dem Gedanken, daß der Herr Finanzrat ihn bei seinen Pfändungsgängen begleiten könnte.

      Plötzlich lacht er. »Da, ich werde Ihnen was zeigen.« Er holt aus der Gesäßtasche seine Pistole, richtet sie auf den Kollegen.

      »Machen Sie keine Geschichten«, ruft der und springt zur Seite.

      Kalübbe drückt los. »Sehen Sie: nichts! Gar nicht geladen. Das halte ich von dieser Art Schutz.«

      Er steckt seine Pistole wieder ein. »Und nun geben Sie mir Ihre.« Er zieht den Lauf kräftig zurück, wirft Patrone auf Patrone aus. Der Junge sammelt sie schweigend auf. »Stecken Sie die Dinger in die Westentasche und geben Sie sie heute Abend dem Finanzrat zurück. Das ist meine Belehrung über den Waffengebrauch, Thiel.«

      Thiel hat auch Stock und Mantel und Tasche schweigend aufgehoben und reicht alles dem Kollegen. Sie gehen weiter. Kalübbe sieht über die Wiesen, die von Hahnenfuß gelb, von Schaumkraut weißrosa sind. »Sehen Sie, Thiel, Sie müssen mir das nicht übelnehmen. Kommen Sie, geben Sie mir Ihre Hand. – Das ist recht. Alle, die ihr dort drinnen sitzt auf dem Finanzamt, ihr habt ja keine Ahnung, was das heißt, hier draußen Dienst tun.

      Habe mich auch gefreut, als ich Vollstreckungsbeamter wurde. Nicht nur die Diäten und die Bewegungsgelder. Ich kann sie wahrhaftig brauchen mit der Frau und den drei Kindern. Sondern draußen sein, hier, an einem Frühlingstag und alles ist frisch und lebendig. Nicht so bloß Steine. Und man geht durch.

      Und jetzt – jetzt ist man der schändlichste, schmählichste Dreck am Stecken des Staates.«

      »Herr Kalübbe, Sie, der so gelobt werden!«

      »Ja, die drinnen! Wenn ein Bauer zu euch kommt und wenn zehn Bauern zu euch kommen, so sind es Bauern in der Stadt. Und wenn sie wirklich einmal frech werden, wie ihr es nennt, so seid ihr viele. Und hinter der Barre. Und der Fernsprecher zur Polizei an der Wand.

      Hier aber, wo wir jetzt gehen, da hat der Bauer gesessen vor hundert Jahren und vor tausend Jahren. Hier sind wir die Fremden.

      Und ich gehe mit meiner Aktentasche und mit meinen blauen Piepmatzmarken ganz allein zwischen ihnen herum. Und ich bin der Staat, und wenn es gut geht, nehme ich ihnen eine Ecke von ihrem Stolz und die Kuh aus dem Stall, und geht es schlimm an, dann mache ich sie heimatlos, wo sie seit tausend Jahren saßen.«

      »Können sie denn wirklich nicht zahlen?«

      »Manchmal können sie nicht und manchmal wollen sie nicht. Und in letzter Zeit wollen sie überhaupt nicht. – Sehen Sie, Thiel, es sind immer reiche Bauern gewesen, sie haben immer aus dem Vollen gelebt, und nun will es ihnen nicht eingehen, daß sie Fastenbrot essen müssen. Und dann sollen sie ja auch nicht richtig rationell wirtschaften ...

      Aber was verstehen wir davon? Es geht uns nichts an. Was gehen uns die Bauern an! Sie essen ihr Brot und wir essen unseres. Aber was mich angeht, das ist, daß ich zwischen ihnen umhergehe wie ein unehrlicher Mensch, wie ein Hurenmädchen mit dem Rädchen auf dem Arm, vor dem sie alle ausspucken, mit dem keiner an einem Tisch sitzen mag.«

      »Halt! Einen Augenblick!« ruft Thiel und hält den Kollegen am Arm. Im Staub sitzt ein Schmetterling, ein braunbuntes Pfauenauge mit zitternden Flügeln. Seine Fühler bewegen sich tastend in der Sonne, im Licht, in der Wärme.

      Und Kalübbe zieht den Fuß zurück, der schon über dem Tier schwebte. Zieht ihn zurück und bleibt stehen, sieht hinab auf den beseelten