Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten. Gerstäcker Friedrich

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Название Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten
Автор произведения Gerstäcker Friedrich
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753136059



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ihrer Meinung nach wohl fünfzehn Jahre zählen, und sein Gesicht war zart und selbst schön zu nennen. Die dunkeln, kastanienbraunen Locken kräuselten sich ihm leicht und weich um die hohe Stirn, und die feingeschnittenen Lippen zeigten ein Paar Reihen blendendweißer Zähne. Auch die Augen waren lebhaft und feurig. Dennoch lag etwas in ihnen, das sie schüchtern von ihm zurücktreten machte, wenn sie sich auch keinen Grund dafür anzugeben wußte - und doch lächelte er so freundlich zu ihr nieder. Wunderbarer Weise zog sich ihm eine feine Narbe quer über die ganze Stirn, oben von der rechten Seite bis hinunter und über den linken Schlaf laufend. Und doch war es auch kaum eine Narbe zu nennen, sondern glich mehr einem scharf darüber hingezogenen Schnitte, der gerade nur die Haut verletzt haben konnte, weil er sonst hätte den ganzen Kopf von einander legen müssen.

      Wie sie aber noch furchtsam zu der Narbe aufsah und der Knabe sie anlächelte, ging plötzlich die andere Thür auf, und /28/ Herr Quetzlinberger, jetzt nicht mehr im Schlafrock, sondern in einem hochgelben seidenen Frack mit reicher Stickerei, trat herein. Er trug dabei die Haare schön und sorgfältig gepudert, daß das zierlich gedrehte, schlanke Zöpflein, ein wenig nach der linken Schulter hinüberneigend, ihm keck und etwas nach oben gebogen hinten ausstand; dabei ein kleines dreieckiges Hütlein in der Hand, das er aber augenblicklich wieder ablegte, und kurze, ebenfalls gelbseidene Hosen, Strümpfe und Schnallenschuhe.

      Mit einer freundlichen, aber etwas formellen Verbeugung gegen das Kind, die dieses in die größte Verlegenheit setzte, ging er jetzt auf den nächsten Stuhl zu, auf den er sich niederließ, und Margareth, die hinter ihm eingetreten war, legte ihm eine große weiße Serviette vorn über die gelbseidene Weste und band sie hinten in einem großmächtigen Knoten zusammen, daß die beiden Zipfel nach rechts und links hinausstanden.

      „Aber, Gundelrebe," sagte der alte Herr da plötzlich, als er sich die Serviette gerückt, eine große Tabaksdose aus der Tasche genommen und neben sich niedergestellt, und den Hals ein paar Mal hin und her gedreht hatte, weil ihm die Margareth wahrscheinlich den Knoten etwas zu fest gebunden, „warum führst Du denn Deinen kleinen Gast nicht zu Tisch? Das Essen wird kalt und die Margareth nachher wieder böse."

      „Heißt Du Gundelrebe?" fragte Marie den Knaben leise.

      „Nicht wahr, das ist ein wunderlicher Name?" lächelte dieser, „aber Onkel nennt mich immer so. Doch nun komm, setze Dich hierher und lange zu und iß und trink. Wenn Du satt bist, führe ich Dich wieder hinüber auf die Treppe."

      „Und darf ich dort Alles erzählen, was ich hier gesehen?" fragte die Kleine schüchtern.

      „Warum nicht, mein Kind?" lachte da der alte Herr, der indessen schon tüchtig zugelangt hatte und mit beiden Backen kaute. „Warum nicht, mein Herzchen? Sie werden Dir's nur nicht glauben."

      „Ich habe noch nie gelogen," sagte Marie. /29/

      Der alte Herr Quetzlinberger lachte, wie er das hörte, dermaßen, daß ihm der Bissen, den er gerade im Munde hielt, vor die Luftröhre kam und er furchtbar anfing zu husten. Nachher fing er noch einmal von Neuem an zu lachen, drehte sich dann nach der hinter ihm stehenden Margareth herum und blinzelte sie mit den kleinen verschmitzten Augen gar so komisch an. Die Margareth aber schüttelte den Kopf, und die Haube darauf wurde immer größer und weißer, und zuckte wie in Strahlen nach der Decke hinaus. Das Flüstern des Knaben an ihrer Seite klang Marien dabei wie das Knistern eines lustigen Feuers im Ofen, und in aller Verlegenheit hob sie den schon eine ganze Weile auf der Gabel gehaltenen Bissen an den Mund. So delicat duftete ihr aber die fremdartige Speise entgegen, daß sie bald alles Andere darüber vergaß.

      „Oh, wie herrlich das riecht!" rief sie erstaunt aus, „wie nach Vanille und Zucker und Rosen! So etwas habe ich ja in meinem ganzen Leben noch nicht gekostet!"

      „Spucken Sie aus, Mariechen, spucken Sie aus!" rief ihr aber die Frau Bause in dem Augenblick, über den Herrn Quetzlinberger weg, zu, „sonst bleiben Sie hier drüben bei uns und können nie wieder hinüber zu Ihrer Frau Mama."

      Und wie sie das sagte und Mariechen den Bissen im Munde vor Schrecken festhielt, drehte sich der Herr Ouetzlinberger ärgerlich nach der Frau Bause um, legte sein Messer hin und faßte seine große Dose, als ob er ihr die an den Kopf werfen wollte.

      „Iß nur, Mariechen, und laß Dir's schmecken," flüsterte jetzt Gundelrebe an ihrer Seite, „die Frau Bause hat nur Spaß gemacht, und der Onkel wird ihr gleich den Kopf mit der Dose herunterwerfen."

      Aber Marie sah nur den Serviettenzipfel und die große spitze Haube, die in weißen Lichtern nach der Decke hinauf auszuckten und blitzten. Zwischen den funkelnden Strahlen heraus, unbekümmert um diese wie um die nach ihr zielende Tabaksdose, rief dabei die Frau Bause immer noch: „Spucken Sie aus, spucken Sie aus!" und jetzt war es Marien plötzlich, als ob ihr die Stimme so bekannt vorkomme und die Frau /30/ Bause das eigentlich gar nicht gerufen hätte. Die Warnung kam ja von Jemandem, der dicht hinter oder neben ihr stand, und den sie bis jetzt noch gar nicht gesehen hatte. War das der für das vierte Couvert erwartete Gast? Kaum hob aber das Köpfchen, so blickte sie in das todtenbleiche lächelnde Gesicht des Zahnarztes, der ihr nachgekommen sein mußte, und wie sich das Zimmer in Schrecken und Entsetzen mit ihr zu drehen anfing, und die regenbogenfarbigen Streifen der Serviettenzipfel und Haubenbänder zu vielfarbigen Kreisen wurden, schloß sie die Augen und lehnte sich in den Stuhl zurück.

      „Spuckem Sie nur gefälligst aus!" sagte da die Stimme wieder dicht neben ihr, und eine andere rief: „Gott sei tausendmal gelobt, sie kommt wieder zu sich!"

      „Mutter!" rief Marie, halb erschreckt, halb erfreut die Augen zu der geliebten Stimme aufschlagend, „wie bist Du hier hereingekommen?" - Sie fühlte dabei, wie sie in dem Arm der Mutter lag, die sie vornüber gebeugt hielt. Vor ihr aber kniete der entsetzliche Mann mit den Stahlinstrumenten und hielt ein Waschbecken in der Hand, in dem Blut war. Als sie jedoch davor zurückschrecken wollte, rief die Mutter wieder mit zitternder Stimme:

      „Sei ruhig, mein Kind - es ist ja Alles glücklich vorüber. - Ach, ich habe es ja gleich gefürchtet, daß es sie zu sehr angreifen würde."

      „Aber wie bin ich den wieder hier herübergekommen?" sagte Marie, erstaunt und überrascht dabei um sich herschauend. Sie lag wieder in demselben Lehnstuhl, aus dem sie vor dem schrecklichen Manne geflohen, und weder von Herrn Quetzlinberger noch Gundelrebe war das Mindeste zu sehen. - „Wo ist denn - wo ist denn die Frau Bause?"

      „Die Frau Bause!" sagte die Mutter erschreckt; der Arzt winkte ihr aber heimlich zu, der eben Erwachten nicht gleich zu widersprechen, und sagte leise und beruhigend:

      „Sie ist eben fortgegangen, liebes Kind. Sehen Sie, nun haben Sie sich vor dem Schmerz gefürchtet, und doch noch nicht das Mindeste, davon gefühlt, nicht wahr? Da, da liegen jetzt die beiden bösen Zähne, die Ihnen so heftiges /31/ Weh verursacht haben. Es sind aber auch recht häßliche Knochen, und der eine hat wirklich eine starke, schon fast reife Fistel, die Ihnen noch hätte viel zu schaffen machen können. Es war die höchste Zeit, daß sie herauskamen. Nun ist aber auch Alles überstanden, und Sie werden in ein paar Tagen wieder so gesund und munter herumspringen, wie nur je."

      „Und der Herr Quetzlinberger?" sagte Marie leise.

      „Aber, Mariechen!" bat die Mutter, ihre Stirn streichelnd.

      „Lassen Sie nur, lassen Sie nur, beste Frau Regierungsräthin," beschwichtigte sie der Arzt. „Das giebt sich Alles von selber wieder."

      „Ich habe ihr neulich von dem alten Mann erzählt," sagte die Mutter, noch immer mit ängstlicher Besorgniß in den Zügen, „und das hat sich ihr jetzt am Ende in den Kopf gesetzt."

      „Sie hat das geträumt," lächelte der Arzt; „wir haben davon manchmal die wunderlichsten Beispiele, und bei den gefährlichsten Operationen singen die Kranken nicht selten, oder träumen die schönsten, angenehmsten Sachen. Lassen Sie die Kleine eine Stunde schlafen, dann ist Alles vorüber und das Ganze wie ein Rausch verflogen, mit dem es auch in seinen Wirkungen eine Aehnlichkeit hat."

      Marie blickte in Zweifel und Schwanken zu dem Sprechenden auf, aber der Einfluß des Aethers lag noch zu lähmend auf ihrem Geiste, um sie schon irgend einen Gedanken klar fassen zu lassen.

      „Nur