Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten. Gerstäcker Friedrich

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Название Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten
Автор произведения Gerstäcker Friedrich
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753136059



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was wird dann mit der Treppe?" brummte ihr Gatte. „Du weißt, daß wir unser Instrument kaum jetzt heraufgebracht haben, und stellen wir noch eine einzige Ziegeldicke dazwischen, so sind wir ganz fertig. Das einzig Mögliche wäre, diesen Theil der Treppe vollkommen zu verbauen und von der anderen Seite des Vorsaales bis zu dem zweiten Absatze andre Stufen hinaufzuführen. Baulich ließe sich das machen, aber ich muß ja nachher wahrhaftig fürchten, daß ich der ganzen Stadt zum Gespötte werde und mein Haus den Namen eines Spukhauses bekommt. - Es fehlt jetzt schon nicht viel daran. Wenn der alte Major oben in der zweiten Etage nicht lauter männliche Bedienung hätte, wär' er auch schon lange ausgezogen. - Hast Du Dich schon nach einer andern Köchin umgesehen?"

      „Die Schwester will mir noch heute ein gutes, gerade /15/ freies Mädchen herüberschicken," sagte seine Frau seufzend. „Lieber Gott! wenn es Einem nicht wirklich so schwer ankäme, die alten, liebgewonnenen Räume zu verlassen, ich wollte gleich sagen: laß uns das Haus lieber heute als morgen verkaufen. Diese kleinlichen Unannehmlichkeiten reiben zuletzt den stärksten Menschen auf. Und dabei immer wieder dieselben Albernheiten; es ist ordentlich, als ob es Eine der Andern sagte. Ein Glück nur, daß Rieke abgezogen ist, ehe das neue Mädchen eintrifft; wenn es die auch nachher erfährt, bekommt sie die unsinnige Geschichte doch nicht von dem albernen Geschöpfe selbst erzählt. - Es wäre doch am Ende besser, Hechner, Du ließest die andere Treppe einrichten. Die Leute reden allerdings kurze Zeit darüber, das ist wahr, aber bekommen es auch zuletzt satt, und wenn das mit dem Weglaufen der Dienstboten so fortgeht, macht es noch weit mehr Aufsehen, als eine bloße Veränderung der Baulichkeit."

      „Nein," sagte der Regierungsrath, plötzlich stehen bleibend und seinen auf dem Instrumente liegenden Hut aufgreifend, „nein, ich weiß, was ich thue: der Rath darf nur meine Bitte, die Thür vermauern zu lassen, nicht langer abschlagen. Wenn er es aber doch thut, wenn er mich rücksichtslos dieser Unbequemlichkeit aussetzen will, nur um den einmal früher gemachten Fehler nicht einzugestehen, dann bin ich ihm auch keine weiteren Rücksichten schuldig. Dann erkläre ich ihm geradeheraus, daß diese unversiegelte eiserne Thür nun einmal keine Wand ist, sie mögen's drehen, wie sie wollen, und daß ich mich nicht länger dem Gerüchte aussetzen mag, von meinem Hause aus einen möglichen Eingang in das versiegelte Nachbargebäude zu haben. Ich bin mir das auch selber schuldig," setzte er, sich mehr und mehr in den Gedanken hineinarbeitend, hinzu; „denn wenn nachher da drüben vielleicht gar das Inventarium nicht richtig befunden würde, käme natürlich auf mein Haus der Verdacht eines Mißbrauchs zuerst. Die Leute glauben von ihren Nebenmenschen ja doch immer am liebsten das Schlechteste. Der Rath mag mir einen Rathsdiener mit herschicken, oder selber eine Deputation wählen, und in deren Beisein soll der Eingang unter jeder Bedingung vermauert werden. Ich habe /16/ das Gerede satt, und endlich muß einmal mit dem Treppenskandal Ruhe werden."

      Er verließ rasch das Zimmer, und Marie lehnte sich auf ihr Kissen zurück und schloß die Augen, um das Gehörte ungestört von äußeren Eindrücken überdenken zu können. -

      Die Mutter blieb noch eine lange Zeit schweigend und ihren Gedanken nachhängend bei ihrer Arbeit sitzen, endlich sah sie nach dem auf dem Sopha lehnenden Kinde hinüber und sagte leise:

      „Schläfst Du, Marie?" -

      „Nein, Mama - ich dachte an das alte Haus," sagte Marie fast unwillkürlich, und erschrak ordentlich, als sie das Wort gesprochen. Die Mutter schüttelte mit dem Kopfe und sagte halb lachend, halb verdrießlich:

      „Was hast Du mit dem alten Hause zu thun? Du fürchtest Dich doch nicht etwa auch davor?"

      „Nein, Mama."

      Es entstand eine Pause. Die Mutter nahm ihre Nadel wieder auf und stickte weiter; endlich murmelte sie halblaut vor sich hin, und mehr mit sich selber, als zu der Tochter redend:

      „Der alte Herr Quetzlinberger hätte auch etwas Gescheiteres thun können, als ohne ordentliches Testament zu sterben. Zeit hatte er doch wahrhaftig genug gehabt sein Leben lang."

      „Wer ist der Herr Quetzlinberger, Mama?" fragte Marie.

      „Der Herr Quetzlinberger? nun, der letzte Besitzer des Hauses, nach dessen Tode es eben verschlossen und versiegelt wurde. Jetzt können sich die Erben noch, wer weiß wie lange, darum streiten und ihr Geld darauf verprocessiren."

      „Hast Du ihn gekannt, Mama?"

      „Den Herrn Quetzlinberger? nein, mein Kind," lachte die Mutter, „der ist gestorben, ehe ich geboren wurde; aber Deine Großmama hat ihn noch gekannt. - Wir wohnten damals gerade gegenüber in dem gelben Hause mit den hohen Fenstern, wo Postrath Meiers jetzt wohnen. Mutter hat uns oft und viel von ihm erzählt." /17/

      „Ich möchte auch so gern etwas von ihm hören, Mama."

      „Lieber Himmel! das ist jetzt so lange her," sagte die Mutter, „daß ich mich nur noch auf sehr wenig zu erinnern weiß. Nur das schwebt mir noch vor, daß Herr Quetzlinberger, ein kleines, wunderliches, vertrocknetes Männchen gewesen sein soll, das ganze Tage lang in einem gelbseidenen Schlafrocke mit grellrothen Aufschlägen in seinem Erker da drüben gesessen und in einem großen Buche mit gelben Beschlägen gelesen habe. Dann und wann, erzählte Mutter, hätte er aber auch aus dem Fenster gesehen und den unten Vorübergehenden zur Kurzweil Gesichter geschnitten.“

      ,Und hat Herr Quetzlinberger ganz allein in dem alten Haus gewohnt?“ fragte Marie leise, „ist Niemand weiter bei ihm gewesen, der ihn pflegte als er krank wurde, und bei ihm blieb, als er starb?"

       „Oh, doch wohl," sagte die Mutier- „eine Haushälterin besorgte Altes, was er brauchte, kochte sein Essen und wusch und scheuerte, und soll das alte Haus inwendig sehr blank und reinlich gehalten haben. Wie aber der Besitzer starb, war die Frau auch spurlos verschwunden, und obgleich man sie im Verdacht hatte, daß sie mit Geld und Geldeswerth durchgegangen sei, konnte sie doch nirgends mehr aufgefunden werden."

      „Und war Niemand weiter bei den beiden Leuten?" fragte Marie nach einer längeren Pause, in der sie sich ordentlich Muth sammelte zu der neuen Frage.

      „Darüber gingen ebenfalls wunderliche Gerüchte," sagte die Mutter. „Es war ein Knabe in der Wohnung des alten Herrn Quetzlinberger gesehen worden, sollte aber einen Tag vor dessen Tode mit der Wirthschafterin davongefahren sein. Überhaupt erzählten damals die Leute wohl eine Menge Geschichten; denn wo sich irgend Jemand vor ihnen zurückzieht, und gar etwas geheim hält, sind sie gleich mit eigener Auslegung und Erklärung da. So viel war gewiß, die alte Wirthschafterin blieb verschwunden, und man weiß wohl bis auf den heutigen Tag noch nicht, was aus ihr geworden."

      Marie hatte bei Erwähnung des Knaben leise und langsam mit dem Köpfchen genickt, als ob sie das auch wisse und /18/ Alles ganz in Ordnung sei. Sie erwiderte aber kein Wort und schloß nur, wie vorher, die Augen. Die Mutter arbeitete indessen weiter und glaubte, daß die Tochter eingeschlafen sei.

      II.

      Drei Wochen mochten nach den oben beschriebenen Vorfällen verflossen sein, und der Regierungsrath Hechner hatte es indessen wirklich durchgesetzt, daß die in das alte Haus führende eiserne Thür im Beisein von zwei Rathsmitgliedern erbrochen, und der innere Raum - ohne weiter zu untersuchen, wohin der Gang führe, mit einer starken Mauer geschlossen werden solle. Damit war denn jede weitere Verbindung abgebrochen und der Aberglaube der Dienstleute hatte seinen Halt verloren. Die Veränderung selber sollte in den nächsten Tagen vorgenommen werden. Marie war in dieser Zeit auch wieder vollkommen wohl und gesund geworden. Aber ein anderer Feind hatte sich bei ihr eingestellt: ein heftiger Zahnschmerz, der, allerdings nur von hohlen Zähnen herrührend, die kaum gesammelten Kräfte doch wieder zu erschöpfen, die Nerven zu überreizen drohte. Alle dagegen angewandten Mittel blieben gänzlich erfolglos, und der Arzt bestand endlich darauf, die beiden schmerzhaften Zähne durch Herausnehmen zu entfernen und dadurch dem Körper die ihm so nöthige Ruhe zurück zu geben.

      Marie hatte aber eine unsagbare Angst vor der Operation, und so ungern sich der Arzt dazu verstand, gestattete er doch endlich für das schwächliche Kind den Gebrauch des damals gerade eingeführten Chloroforms, weniger nachtheilige Folgen von der Wirkung des Aethers, als von der übergroßen Angst der armen Kleinen fürchtend. Selbst hiergegen wollte sich freilich