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und sein Wille unser Wille ist. Lassen wir Gott handeln. Bitten wir für Veronika und singen wir jetzt gemeinsam: Gott ist allmächtig.“

      Sofort begann der Klavierspieler mit den ersten Akkorden und der Leiter entließ Veronika auf ihren Platz.

      Aber Veronika konnte sich nicht mehr zu den anderen setzten. Sie verließ den Saal.

      „Ein gottgefälliges Leben“, murmelte sie vor sich hin. „Ein gottgefälliges Leben... und warum hilft er mir nicht?“

      Sie stieg in ihr Auto, legte den Kopf auf das Lenkrad und dachte nach. Sie hatte alles verloren, was sie in ihrem Glauben gehalten hatte und konnte in diesen Kreis auch nicht mehr zurück, es sei denn, sie würde öffentlich bereuen und mit ergreifenden Worten schildern, wie ihr Gott die Wahrheit wieder offenbart habe.

      Aber sie wusste, dass sie das nicht tun würde. Etwas in ihr war zerbrochen und das hatte einen ganz besonderen Grund:

      Alles, was sie an Schuld in sich geheilt haben wollte, war nicht geheilt worden und nun wollte sie nicht länger warten.

      Sie wollte nicht mehr nur glauben und hoffen. Sie wollte wissen, ob es Gott gab, ob er den Menschen half, und was sie falsch machte, dass er ihr nicht half.

      Sie startete den Motor und fuhr geradewegs irgendwo ins Feld hinein. Sie wollte von den anderen nicht mehr gesehen werden, wenn diese den Saal verließen. Sie schaltete auch das Handy aus, um nicht gestört zu werden. Dann hielt sie mitten im Feld an, stieg aus und ging ein paar Schritte, um sich zu beruhigen.

      Es wurde auch tatsächlich ruhiger in ihrer Seele, aber ihre Gedanken kreisten weiter. Gab es nun einen Gott, oder gab es ihn nicht? Warum half er ihr nicht?

      Dabei war sie über sich selbst erstaunt und fast ein wenig erschrocken, denn als Religionslehrerin, die schon so manche Klasse geführt hatte, hatte sie sich über viele Jahre mit dieser Frage beschäftigt und es war ihr durchaus klar gewesen, dass es einen Gott gab. Aber warum zweifelte sie jetzt an ihm? Nur weil sie schwere Schuld auf sich geladen hatte – vor Jahren und darüber nicht zur Ruhe kommen konnte?

      Sie schaute auf die grünen Felder, die Wälder und über die hügelige Landschaft, die so wunderbar in der Sonne lag und dachte daran, dass ihr dieser Eindruck seit jeher Friede und Ruhe geschenkt hatte. Aber diesmal war es anders, diesmal konnte er es nicht.

      Da blieb sie plötzlich stehen. Vor ihr schaute aus einer grünen Bauminsel ein einzelner abgestorbener Baum hervor und unwillkürlich flüsterte sie ihm zu:

      „Hast auch du kein gottgefälliges Leben geführt? Wurdest auch du dafür mit dem Tode bestraft?“

      Dann lächelte sie etwas traurig, denn irgendwie war dieser Gedanke doch seltsam, und sie war ja auch noch nicht tot. Aber sie blieb lange stehen und schaute auf dieses Bild. Sie hatte das Gefühl, dass ihr der Baum etwas sagen wollte, aber sie konnte es nicht greifen.

      Warum war er gestorben unter all den anderen lebenden Nachbarn? Hatte Gott wieder einmal nicht aufgepasst, oder hatte er vielleicht gar nichts damit zu tun?

      Aber er lebte doch in der Natur. Das hatte sie auf jeden Fall bisher geglaubt, und auch der Leiter des Glaubenskreises hatte es immer und immer wieder betont: Gott hat die Natur geschaffen, Gott lebt in der Natur und Gott ist der Herr der Natur.

      Hatte Gott dem Baum den Tod gegeben, um mehr Platz für die anderen Bäume zu haben? War ihr eigenes Ausscheiden aus der Glaubensgemeinschaft ebenso gut für die anderen, wie hier der Tod des Baumes für seine Baumgemeinschaft? Hatte Gott ihr den Widerspruch ins Herz gegeben, um auch sie zu töten?

      Diese Gedanken waren nun nicht mehr nur komisch, sondern sie litt auch unter ihnen. Deshalb ließ sie ab von dem Baum, wandte sich um – und erschrak. Vor ihr stand eine alte Frau mitten auf dem Weg und hatte links und rechts jeweils einen Knaben an der Hand.

      Wo waren sie hergekommen, so schnell, so plötzlich, ohne dass sie etwas gehört hatte?

      „Entschuldigen Sie“, sagte die Alte. „Ich wollte Sie nicht erschrecken. Aber Sie waren so tief in eine Betrachtung versunken, dass Sie uns wohl nicht haben kommen hören. Sie müssen sehr in Gedanken gewesen sein.“

      Dabei schaute sie Veronika mit einem freundlichen Blick an. Sie war gewiss schon sehr alt, gebückt, mit grauem Haar und vielen sympathischen Falten im Gesicht.

      Die beiden Knaben – die ihre Enkel sein mussten – verhielten sich still, abwartend, und waren vielleicht zwölf und acht Jahre alt. Sie waren schön, diese Knaben, aber ganz unterschiedlich anzusehen.

      Der Knabe, den sie an der rechten Hand hielt, war wohl der ältere von beiden und hatte ein blasses, aber markantes Gesicht mit dunklem, kurz geschnittenem Haar. Der jüngere an der linken Hand, hatte langes, helles Haar und hatte ein viel weicher gezeichnetes Antlitz. Er war nicht nur schön, sondern fast hoheitsvoll zu nennen.

      „Was machen Sie denn hier?“ fragte die Alte interessiert.

      Veronika überlegte kurz und sagte dann sehr freundlich: „Nun, ich hatte das Bedürfnis, etwas spazieren zu gehen.“ Die Alte nickte und die Knaben lächelten höflich.

      „Hier oben ist es schön, nicht wahr?“ sagte sie. „Wir wohnen ganz in der Nähe und haben einen wunderschönen Blumengarten. Kommen Sie doch mit uns mit, ich zeige ihnen gerne, was wir haben.“

      Dabei schaute sie Veronika fragend an und diese hatte nicht die Kraft und vielleicht auch nicht die Absicht sich, zu wehren.

      So ging sie hinter der Alten her in ein nahe gelegenes Tal, in dem deren Häuschen stand. Die Knaben lösten sich von ihrer Hand und liefen voraus.

      Im Blumengarten

      Beim Haus angekommen staunte Veronika über die vielen Blumen, die rings um das Häuschen wuchsen. „Sind Sie eine Blumengärtnerin?“ fragte sie. „Handeln Sie vielleicht sogar damit?“

      „Die Blumen sind schön, nicht wahr? Aber sie sind mir nicht das Wichtigste“, antwortete die Alte. „Viel wichtiger ist mir die Idee, aus der sie herausgefallen sind.“

      Das kam so plötzlich, dass Veronika erst einmal nicht wusste, was sie sagen sollte. Sie hatte etwas ganz anderes erwartet. Dann aber fragte sie:

      „Herausgefallen, aus einer Idee?“

      „Ja“, sagte die Alte und neigte vielsagend den Kopf. „Die Sehnsucht nach Gott ist die unsichtbare Idee der Pflanzen und die Blüten sind der Schmerz ihrer Sehnsucht.“

      Dann schaute sie von der Seite her auf Veronika und sagte langsam: „Diese Sehnsucht nach Gott habe ich auch, wenn ich auf die Blumen schaue. Deswegen sage ich, sie sind herausgefallen.“

      Das traf Veronika ins Herz, obgleich sie nicht sagen konnte, dass sie es jetzt schon wirklich verstanden hatte. Aber sie ahnte die Tiefe dieser Aussage und fühlte sich im Innersten erschüttert. Denn auch sie hatte ja schließlich in ihrer Seele die Sehnsucht nach Gott und fühlte sich aus ihm herausgefallen. Trotzdem hielt sie der Alten entgegen:

      „Für mich sind die Blumen von Gott und nicht aus der Sehnsucht nach Gott. Ist das nicht Gotteslästerung, wenn man sagt, die Blumen seien nicht von Gott, sondern nur aus der Sehnsucht nach Gott?“

      „Habe ich das gesagt?“ lächelte die Alte. „Dann habe ich es auch so gemeint, Sie werden sehen…“

      In diesem Moment kam der jüngere der Knaben mit einem Strauß Blumen in der Hand, die er in seinem eigenen Gärtchen gepflückt hatte, und reichte ihn Veronika.

      „Die sind meine eigene Züchtung“, sagte er begeistert und erwartete ein Staunen.

      Veronika freute sich, nahm die Blumen entgegen, bedankte sich und sagte: „Die sind ja ganz wunderschön, so einen großen Rittersporn habe ich noch nie gesehen. Wie hast du die denn gezüchtet?“

      „Ich habe Samen von alten Pflanzen genommen und besonders oft gedüngt. – Und ich habe ihnen mit meiner Flöte vorgespielt.“

      Das