Название | Josef in der Unterwelt |
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Автор произведения | Martin Becker |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742726087 |
Die Tiere, die sich noch seiner glorreichen Tage erinnern konnten, begruben Orpheus, und der Flussgott Hebros trug die goldene Leier auf Lesbos, die Insel der großen Dichterin Sappho.
Von nun an weilte auch Orpheus Seele, die widerstandslos vom Fährmann über den Styx gebracht wurde, in der Unterwelt, wo er von nun an gemeinsam mit Eurydikes geliebten Schatten auf ewig vereint war.
Und weil sie gestorben sind, leben sie glücklich, bis ans Ende der Tage.
Ende der traurigen und tragischen Sage, mit Happy End.
Die vorliegende Erzählung über „Josef in der Unterwelt“ ist noch schrecklicher und noch schöner, als die Sage von Orpheus:
Josef war ebenfalls ein schöner, junger Mann, allerdings konnte er nicht singen, und er kannte auch nicht die Regeln, die in der Unterwelt herrschten. Aber eines wusste er gewiss: Er liebte seine Eva, und nichts, aber auch gar nichts konnte ihn von seiner Liebe trennen.
Diese Geschichte handelt von der wahren Liebe: der reinen, echten, ewigen Liebe. Es ist eine Liebe, die über den Tod hinausgeht. Die Geschichte handelt aber auch vom Leben, von Licht und Schatten, von Sehnsucht, von Wahrheit und von Spiegelei mit Speck. Und passen Sie gut auf. Der Autor hat sich selbst in eine kleine Nebenrolle eingeschmuggelt – als Tubaspieler.
Wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, die Erlebnisse von Josef und seiner Geliebten Eva mitverfolgen, so denken Sie bitte an eines: Die Wahrheit ist subjektiv.
Wer sich für den Werdegang seines Lebens an irgendwelche Richtlinien hält, der lebt vielleicht gelassener, beständiger und zufriedener, als andere. Mancher richtet sein Leben aus nach moralischen, ethischen, und religiösen Gesichtspunkten und benennt diese Grundlage seines Lebens als die „Wahrheit“. Aber auch derjenige, der mit politischen und philosophischen Richtlinien eine bessere Welt erreichen will, nimmt dafür den Begriff „Wahrheit“ für sich in Anspruch.
Es gibt also Menschen, die glauben, sie hätten bereits die absolute „Wahrheit“ des Lebens für sich gefunden, und diese Wahrheit gelte folglich auch für die ganze, übrige Menschheit. Daher verbreiten sie diese mit missionarischem Eifer, manche unter ihnen gar mit der Knute. Das alles ist sehr töricht, denn niemand kennt sie wirklich, die absolute Wahrheit.
Weil sie eine subjektive Anschauung ist, kann die Wahrheit des einen für dessen Nachbarn schon nicht mehr gelten. Jedes gehörte Wort und jeder gedachte Gedanke ruft unterschiedliche Emotionen und Reaktionen hervor, und so gleicht keine Empfindung der anderen, wie auch keine Wahrheit der anderen gleicht. Jemand aber, der zuhört und überlegt und den Unterschied zwischen der Wahrheit des einen und der eigenen herausfindet, der ist bereits einen wesentlichen Schritt gegangen auf der Feststellung seiner eigenen, subjektiven Wirklichkeit.
Die Ansichten der Dinge, die in diesem Buch behandelt werden, sind deshalb wohlweislich keine allgemeingültigen Wahrheiten und keine unumstößlichen Erkenntnisse. Vielmehr ist es die Geschichte eines Menschen, auf der Suche nach irgendetwas Wichtigem. Ganz sicher auf der Suche nach der Liebe. Vielleicht sogar, wer weiß, auf der Suche nach Wahrheit. Doch ob dieser Mensch sie findet, und was er da findet, das gilt für ihn allein.
So betrachten Sie bitte diese Geschichte als Wegbeschreibung einer Suche, und seien Sie kritisch mit der Wahrheit der Weisen. Doch seien Sie dem armen Burschen Josef, dem seine Suche nicht immer recht gelingen mag, wohl gesonnen.
Ganz sicher werden Sie, geneigte Leserin und Leser, alsbald Ihren Schatten mit ganz anderen Augen ansehen.
Der Steinbruch
Es war still im Wald. Vom vergangenen Sommer spürte man nur noch wenig Wärme. Der lautstarke Singsang der Vögel in den Ästen und Zweigen hatte sich verflüchtigt, und die kunstvoll bereiteten Nester, Bauwerke für eine Saison, waren verlassen. Verblasst war auch das üppige Grün der Blätter in den Bäumen, der Sträucher, Farne und Gräser. Seit einigen kühlen Nächten verfärbten sich die Bäume und hüllten sich ein in orangegelbe, rote und braune Gewänder. In den Senken der weichgeformten Hügel lagen weiße Nebelbänke, und aus den dunklen Tannen leuchteten weißgelbe, feingliedrige Birken hervor. Es roch nach Pilzen, nach Moos und nach feuchtem Holz.
Hinter den Hügeln stieg die Morgensonne auf und fasste mit schnellen, leuchtenden Strahlenarmen nach nassem, tauglitzerndem Gras und kaltem Gestein. Sie legte schräge, parallele Leuchtstreifen auf die Äste und Stämme und wärmte Lichtplätze und Fußwege am Waldrand. Auf den offenen Wiesen flossen niedrige Nebelschwaden, die im klaren Gegenlicht der aufsteigenden Sonne wie von selbst leuchteten.
Die Vögel waren bereits fortgezogen, und mit ihnen war auch das Lärmen und bunte Treiben in den Ästen verschwunden, wie das Lachen von Kindern im Haus, die erwachsen wurden. Nur hin und wieder piepste die Stimme von Nachzöglingen und überwinternden Vögeln, auf der Jagd nach einer fetten Beute.
Vom nahe gelegenen, steil abfallenden Hügel ertönte ein lang gezogener Hupton.
Plötzlich bebte die Erde und eine Explosion zerriss die Stille, wie das unerwartete Donnern eines nahen Blitzeinschlages. Steine und Staub schleuderten auf, und fielen prasselnd auf die dürren Zweige im Waldboden. Das Poltern des Steingerölls legte sich im kleinen Steinbruch, der mit seiner scharfen Schnittkante den schönen Waldhügel trennte, wie eine Schürfwunde. Maschinen heulten auf. Riesige Radlader vergruben mächtige Schaufeln in das schwere Gestein und räumten dröhnend den Geröllhaufen beiseite, bis zur nächsten Explosion.
Seit es den Steinbruch gab, wurde er nahezu halbkreisförmig in den Hügel eingegraben, und die sandsteinfarbenen, nackten Felsen waren weit vom Tal aus zu sehen. Jetzt im seitlichen Morgenlicht, zeichneten sich die Schatten des Felsens an der Wand in harten, bedrohlichen Konturen ab.
Wer vom nahe gelegenen Städtchen im Tal über die schmale Schotterstraße zum Steinbruch gelangen wollte, fuhr durch einen unwegsamen, von Lastwagenreifen tief zerfurchten Waldweg den Hügel hinauf, bis sich dort plötzlich der Blick über die bunten Herbstwälder öffnete. Für die Arbeiter im Bruch war das der schönste Arbeitsplatz der Welt. Der Weg führte ebenerdig in den schmalen Eingang des Steinbruchs, durch den die Baggerfahrer ihre schweren Maschinen mit besonderem Spaß überschnell durchjagten.
Am Rand der engen Straße vor dem Steinbruch stand eine hohe, verrostete Schottermühle mit Laufbändern und Sortieranlage, wie ein vorzeitliches, grünes Dinosaurier-Gerippe. Gut sortiert rieselte das gemahlene Gestein von den Sortierbändern auf verschiedene, pyramidenförmige Steinhügel. Ein alter, verbeulter Lastwagen, mit einer verwitterten Firmeninschrift an den Türen glotzte mit zwei hohlen, runden Lampen auf die Straßenzufahrt und markierte die Einfahrt zum Steinbruch. Die Achse seines fehlenden Vorderrads war mit Holzklötzen unterlegt und drohte jederzeit nach vornüber zu kippen. Das wuchernde Gestrüpp unter dem Wagen zeigte jedoch an, dass dieser schon lange hier stand.
Vor der kleinen Wellblechbaracke gegenüber, dem Büro, Pausen- und Umkleideraum des Steinbruchs, unterhielten sich Franz, der dicke alte Vorarbeiter mit zwei Männern. Diese trugen weiße Bauhelme mit roter Aufschrift. Heute war wieder Sprengstofflieferung, wie jeden Monatsanfang. Franz nahm diese Lieferung wie immer besonders wichtig, zählte die Päckchen in der Blechkiste genau ab und quittierte sie auf den rosa Lieferscheinen, wobei er seine Unterschrift mit der Zunge auf den Lippen mitverfolgte. Er bedankte sich mit einem billigen Schnäpschen, gegen den sich die beiden Männer jeden Monatsanfang immer wieder erfolglos wehrten, wo ihnen doch ein Kaffee lieber wäre. Ihr Gespräch wurde unterbrochen, als ein großer, gelber Lader mit mannshohen Rädern an ihnen vorbeidröhnte. Das Ungetüm stieß dichten, schwarzen Ruß aus den beiden Auspuffrohren und grub seine riesige Schaufel ohne Mühe in das grobe, scharfkantige Gestein.
„Ja, dann wollen wir mal wieder“, sagte der Sprengstofflieferant zu seinem Kollegen und reichte dem Vorarbeiter das leere Schnapsglas zurück. Dieser verstand die Geste falsch und schenkte das Glas noch einmal voll.
„Halt, nein, nein!“ protestierte der Lieferant.
„Ach, was!“ brummte Franz unbeirrt, „ein Schnäpschen