Название | Immer mutig |
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Автор произведения | Paul Scheerbart |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742766236 |
Ich fiel immer tiefer – immer tiefer – immer tiefer!
Und ich wunderte mich, daß unsre beschränkte Welt
so tief sein konnte.
Nach der Lektüre dieser Geschichte sprang das Nilpferd wieder
sehr erregt von seinem Schaukelstuhl auf und stampfte aufrecht auf
den Hinterbeinen in der Stube herum, drehte sich öfters auf dem
einen Fuße um sich selbst, wehte mit den Blättern durch die Luft,
stellte sich wieder dicht vor mich hin und hielt mir mit wunderbarer
Geschwindigkeit eine Rede – ohne mir einen Einwurf zu gestatten.
»Du mußt,« sagte es, »nicht gleich so schlecht gelaunt werden,
wenn Du Dir mal die Finger verbrannt hast. Sieh nur unsere
Pfoten an, da sind keine Finger dran – und wir wissen uns doch zu
helfen; die Pincetten sind noch viel feiner als die Finger. Intelligente
Leute müssen sich zu helfen wissen. Du darfst Deine
Empfindungen nicht so ernst nehmen. Wenn schon unsre
Gliedmaßen nicht als Realitäten von uns genommen werden wollen,
so dürfen wir doch die Empfindungen dieser Gliedmaßen erst recht
nicht als reale betrachten. Der Schmerz wird erst dadurch für uns
zum Schmerze, daß wir ihn so nennen. Wir können den Schmerz
auch als potenzierte Wollust auffassen. Intelligente Leute müssen
sich zu helfen wissen. Wenn Dir ein Bein abgehauen wird, so
bedenke sofort, daß Dir dieses scheinbare Unglück auch eine große
Portion sehr angenehmer Augenblicke verschafft – denn man wird
Dich verhätscheln dafür. Glaube mir, es ist nicht Alles Pech, was
schwarz aussieht. Es tut auch nicht alles weh – was sich krümmt.
Intelligente Leute müssen sich zu helfen wissen. Und ich finde, daß
Du Dir in Deinen Geschichten sehr wohl zu helfen weißt, denn
beim Runterfallen amüsierst Du dich gleich wieder über die
köstliche ›Tiefe‹ der Dorfkirchenwelt. Merkwürdig ist es nur, daß
Du Dir in Deinem Leben nicht zu helfen weißt – denn Deine
Mienen lassen nicht den geringsten Grad von Heiterkeit erkennen.
Dir scheint die Grütze sehr stark verhagelt zu sein.«
Ich wollte was erwidern, aber das Nilpferd ließ mich nicht zu
Worte kommen; es wollte bloß noch ein paar »schmerzliche«
Manuskripte lesen – es wollte gleich mehrere haben – und ich gab
ihm diese drei:
Er hatte ...
Eine Nachtscene
Er hatte sehr viel getrunken – das stand fest.
Und er hatte sehr lange getrunken – so drei bis vier
Tage – genau wußte man's nicht.
Er hatte sich auch geärgert – natürlich!
Wer viel und lange trinkt, hat sich immer geärgert.
Das ist nun mal so auf diesem großen Erdball.
Und er hatte natürlich keinen Sechser mehr – das
sagten Alle, die ihn umstanden. Und die mußten es
wissen, denn sie waren dabeigewesen.
Er hatte sich ja in ihrer Gegenwart die Gurgel
durchgeschnitten und war dabei umgefallen, obgleich er
sich am Laternenpfahl gehalten hatte.
Jetzt lag er da – in der Gosse.
Er hatte endlich genug.
Er hatte in seinem ganzen Leben niemals genug
gehabt.
Blut hatte er noch. Das merkten Alle, die ihn
umstanden und nicht wußten, wie sie ihm helfen sollten.
Das Blut floß plätschernd in die Gosse. Die Laterne
leuchtete und blitzte in dem roten Blut.
Warum hatte er sich die Kehle durchgeschnitten?
Ja – warum hatte er?
Er hatte das Leben plötzlich dick bekommen.
Sich selbst hatte er niemals dick bekommen – wohl
aber das Leben.
»Er hatte Talent!« sagten die Leute.
Und bei diesen Worten hatte sich ein Arzt
vorgedrängt – der hatte natürlich sein Verbandzeug nicht
bei sich.
Aber die Umstehenden hatten Taschentücher.
Wer hatte nicht Taschentücher?
Er hatte Talent.
Ja – warum hatte er denn Talent?
Er hatte einen Vogel.
Er hatte mir's ja gesagt.
Er hatte nie genug.
Jetzt erst hatte er genug – mit der durchschnittenen
Kehle.
Ja – die Kehle!
Die Kehle hatte schuld an Allem.
Die Kehle!
Er hatte eine Kehle!
Er hatte eine Kehle!
Lautlos wälzte sich eine Wolke die Straße entlang, und
in der Wolke saß ein Fleischer mit einem ellenlangen
Messer.
Der Fleischer hatte ein Messer, aber keine Kehle dazu.
Mein Freund hatte eine Kehle.
Er hatte jetzt genug.
Aber er hatte trotzdem kein Talent.
Ich weiß das ganz genau.
Er hatte ...
Er hatte wieder zu viel getrunken.
Er hatte ...
Der große Kampf
Ein Dualisticum
Langsam fallen glühende Sonnen in die schwarze Nacht –
und machen Alles hell.
Und dann kommt der Erzengel Michael mit seinem
langen Schwert. Mächtige Eisenmassen rasseln auf seiner
Brust, die Beinschienen knacken, und die Armschienen
platzen beinah – so schwellen dem Erzengel die Muskeln
an.
Und dann taucht aus dunklen Wolken der Kopf des
Drachensatans heraus. Aber dessen Augen sind nicht
leuchtend wie die des Michael; des Drachensatans Augen
sind so matt.
»Ich hau' Dich zu Brei!« brüllt der Michael.
Doch der Satan schüttelt den Kopf und sieht dem
Engel traurig ins lachende Angesicht.
»Dein Schwert ist zu kurz!« erwidert der müde Satan.
Michael funkelt mit den Augen, seine Stahlrüstung
kreischt, und das lange Schwert blitzt durch die Wolken.
Satan zieht den Kopf ein, und seine ungeheuere