Oliver Hell - Gottes Acker. Michael Wagner J.

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Название Oliver Hell - Gottes Acker
Автор произведения Michael Wagner J.
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847655312



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      „Erstes Gespräch mit Christina Gericke. Es ist kein Anwalt anwesend, da es nur ein informelles Gespräch ist. Gesprächsführung hat Polizeiobermeisterin Lea Rosin“, sagte sie, nachdem sie das digitale Aufnahmegerät in Betrieb genommen hatte.

      Christina Gericke schüttelte mit einem Ruck ihre Mähne zurecht. Rosin meinte, für einen Bruchteil einer Sekunde so etwas wie Kampfeslust in den Augen der Frau gesehen zu haben. Doch dann war sie wieder verflogen.

      Du hast dich getäuscht, dachte sie.

      „Frau Gericke, was könnte ihren Bruder dazu verleitet haben, ungebremst in den Gegenverkehr zu fahren und dabei einen Menschen zu töten?“, fragte Rosin.

      „Nichts!“, antwortete sie energisch.

      „Sie sollten wissen, dass der Getötete ein Kollege war. In solchen Fällen sind wir alle sehr beteiligt und haben noch mehr Interesse an der Aufklärung, wie bei einem normalen Fall.“

      Rosin beobachtete ihr Gegenüber genau. Ebenso Hell und Klauk hinter der Glasscheibe.

      „Mein Bruder ist Mechatroniker, der weiß noch nicht einmal wie man das Wort ‚Staatsanwalt‘ schreibt. Der schraubt an Autos herum, das ist seine Welt. Er ist kein Krimineller, der Menschen tötet.“ Sie klang sehr überzeugt.

      „Sie selber haben aber Abitur.“

      „Ja, macht mich das weniger verdächtig, ein Krimineller zu sein?“

      Sehr schlagfertig ist sie, dachte Rosin.

      „Nein, das tut es nicht. Es macht ihren Bruder aber verdächtig, dass er untergetaucht ist. Frau Gericke, wo ist ihr Bruder?“

      Sie warf ihren Kopf in den Nacken. „Ich habe das schon ihrem netten Kollegen mit der Beule am Kopf gesagt. Ich weiß nicht, wo sich Stephan aufhält. Ich wollte nach ihm sehen, weil er nicht an sein Handy ging. Ich machte mir Sorgen. Da er nicht zuhause war, fuhr ich in seine Werkstatt. Dort fand ich ihren Kollegen vor dem brennenden Auto liegen. Den Rest kennen sie ja bereits.“

      „Verschwindet ihr Bruder öfter spurlos?“

      „Nein. Nie. Bisher.“

      „Bisher?“

      „Na, bis heute eben. Hören Sie, ich mache mir Sorgen um ihn. Finden Sie meinen Bruder. Wenn es sich hier wirklich um ein Verbrechen handelt, wer weiß, ob er nicht auch in Gefahr ist?“ Sie beugte sich nach vorne, legte ihre Arme auf den Tisch.

      In ihren Augen sah Rosin wirkliche Angst. Noch viel mehr als am Anfang des Gespräches.

      „Erwähnte ihr Bruder jemals zuvor den Namen Gauernack?“

      „Nein. Nie. Wer ist das?“

      Rosin hatte versucht, sie hinters Licht zu führen. Doch ihre Unwissenheit schien nicht gespielt. Aber konnte es sein, dass sie keine Nachrichten gehört und keine Zeitung gelesen hatte? Für den Moment konnte Rosin nichts mehr ausrichten.

      „Vielen Dank, Frau Gericke. Sollte sich ihr Bruder bei Ihnen melden, möchte ich Sie bitten, uns Bescheid zu geben. Nur dann können wir etwas für ihn tun.“

      „Ja“, sagte sie.

      Mit dem leisen Klick auf die Taste des Aufnahmegerätes entließ Rosin die junge Frau.

      Hinter der Glasscheibe raunte Klauk seinem Chef zu, „Entweder ist sie eine verdammt große Schauspielerin oder sie sagt die Wahrheit.“

      Hell nickte. „Ohne einen Anwalt kann Lea nicht weiter gehen. Wir haben kein Verdachtsmoment gegen sie. Wir müssen ihren Bruder auftreiben. Schnell.“

      Er sah, wie Christina Gericke aus dem Raum schwebte. Alles an der jungen Frau hatte Anmut und Grazie. Unschuld. Ebenso wie ihre Worte Unschuld versprachen.

      *

      Pünktlich gegen zwölf Uhr ging die erste Ausstrahlung der Stimme von ‚Oskar‘ über den Äther. Es dauerte keine zwei Minuten, bis daraufhin die Telefone der extra dafür geschalteten Hotline heiß liefen.

      Hell saß zusammen mit Rosin und Klauk vor dem kleinen Radio. Wie ein Relikt aus einer anderen Zeit stand das kleine Kofferradio auf dem Schreibtisch. Gespannt warteten die Ermittler auf die Ansage in den Nachrichten. Die Anmoderation war dem Ernst der Nachricht angepasst. Dann kam der Satz, auf den alle warteten, „Ich werde heute noch ein sehr entscheidendes Ereignis in meinem Leben haben.“

      Hell kam es so vor, als wäre es eine andere Stimme, als die, die er in der Nacht gehört hatte. Lag es daran, dass es ein anderes Radio war? Die Lautsprecher in seinem Mercedes waren um Vieles besser, als die in dem zwanzig Jahre alten Kofferradio. Er starrte auf das Relikt.

      „Er klingt ganz anders“, sagte er leise.

      „Was?“

      „Die Stimme klingt hier jetzt anders als heute Nacht“, wiederholte er resigniert, „Das wird nicht klappen. Damit kriegen wir ihn nicht.“

      Hell seufzte. „Warten wir es doch erst einmal ab“, sagte Rosin. Es war schließlich ihre Idee gewesen.

      „Besser als Nichts“, sagte auch Klauk.

      „Naja, ihr habt vielleicht Recht.“

      Unten in der Telefonzentrale des Präsidiums standen die Telefone nicht still. Die Tatortermittler hatten routinemäßig eine Fangschaltung eingerichtet. Die Spezialisten hatten ihren Spaß an der Sache. Wie gewöhnlich nutzten viele Verwirrte so eine Gelegenheit, um sich in den Vordergrund zu spielen. Nur für einige Minuten.

      Amüsiert hörte einer der Techniker zu. Er gestikulierte mit zusammengekniffenen Mundwinkeln und versuchte krampfhaft keinen Lachanfall zu bekommen. Er hörte weiter zu. Ein Mann war der festen Überzeugung, dass es sein toter Bruder war, der dort sprach. Er war kaum davon abzubringen. Sie versprach ihm, der Sache nachzugehen. Der Techniker feixte weiter, die Frau rollte bloß mit den Augen.

      Die Telefonistin bedankte sich schließlich höflich, aber bestimmt und holte den nächsten Anrufer in die Leitung. Diesmal verdächtigte eine Nachbarin ihren Nachbarn, Oskar zu sein. Sie würde ständig Stimmen durch die Wand hören. Verschiedene Stimmen, die ihr merkwürdige Sachen zuflüsterten. Und diese Stimme sei dabei gewesen. Die Telefonistin versprach ihr eine Polizistin vorbeizuschicken. Einen männlichen Beamten wollte sie nicht akzeptieren. „Der Staffellauf der Spinner geht weiter“, sagte der Techniker, der sich nur eine Ohrmuschel des Kopfhörers an sein Ohr drückte.

      Dann schaltete die Telefonistin einen weiteren Mann in die Leitung. Ihr gefror binnen Sekunden das Blut in den Adern, als sie folgende Worte hörte: „Es ist so, dass ich heute meinen ersten Mord verüben werde. Und da dachte ich, das wäre ein sehr einschneidendes Erlebnis. Für mich und auch für den Herrn hier vor mir.“

      Diese Stimme hatte sie vorher schon gehört. Im Radio und bevor sie die Kopfhörer aufsetzten, hatte man sie gebrieft.

      Die Frau war so geschockt, dass es ein paar Sekunden dauerte, bis sie sich bei ihren Kolleginnen bemerkbar machen konnte.

      „ER ist es“, flüsterte sie und hielt sich das Mikrofon an ihrem Headset zu.

      Sofort reagierten die Beamten, die nur darauf gewartet hatten, einen verdächtigen Anrufer mit Hilfe der Fangschaltung zu orten.

      „Was haben Sie gesagt?“, fragte die Telefonistin, um den Mann noch länger am Telefon zu halten.

      „Sie haben doch gehört, was ich sagte. Und wenn Sie den Beweis dafür haben wollen, dann schauen sie doch mal an der S-Bahn-Station Tannenbusch-Mitte in den gelben Mülleimer.“

      Mit einem Knacken war er aus der Leitung.

      Sie blickte zu den Kollegen von der KTU herüber. Der Techniker tippte wie wild auf der Tastatur herum. Dann schüttelte er genervt den Kopf. „Ich kann es nur auf einen Bezirk einordnen. Bonner Norden. Tannenbusch. Präziser geht nicht. Mist!“, fluchte er.

      Es konnte nicht sein. Hell versuchte schon seit geraumer Zeit eine Datei von