Название | Der Bastard, mein Herz und ich |
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Автор произведения | Nancy Salchow |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742799272 |
Ich bemühe mich um Gelassenheit. „Natürlich.“
Ich folge ihm hinaus auf die Ostseeterrasse und weiter über eine kleine Treppe, die seitlich auf die Strandpromenade führt.
Während wir Imbissbuden, Fischbrötchen-Wagen und tannengrüne Restaurantmarkisen hinter uns lassen, kommen wir langsam ins Gespräch.
„Sie dürfen das Alwin nicht verübeln“, sagt er. „Aber das Thema, das ich mit Ihnen besprechen möchte, geht ihm noch immer viel zu nahe, deshalb habe ich vorgeschlagen, dass ich mit Ihnen darüber rede.“
Neben einer Eisdiele bleibt er stehen und schaut für einen kurzen Moment zu Boden. „Um ehrlich zu sein, es geht unserer ganzen Familie zu nahe, aber während meine Frau, mein Sohn Clemens und ich versuchen, darüber zu reden, um dem Schmerz die Macht zu nehmen, fühlt sich Alwin bis heute schuldig und meidet das Thema größtenteils.“
„Ich verstehe nicht.“
„Der Grund, warum wir überhaupt mit Ihnen darüber reden möchten“, er hebt den Blick wieder, „ist unsere Angst, dass Sie auf anderem Wege davon erfahren könnten. Rerik ist kein großer Ort, hier kennt jeder jeden. Daher wäre es sicher nur eine Frage der Zeit, bis Sie davon erfahren. Wenn Sie es nicht schon längst wissen.“ Er bemüht sich um ein Lächeln. „Na ja, und wenn es schon im Artikel erwähnt wird, dann wäre es uns lieb, wenn es die Wahrheit ist und kein unbeeinflussbares Gebräu aus der Gerüchteküche.“
„Herr Teschner, entschuldigen Sie, wenn ich das so direkt sage, aber ich verstehe kein Wort von dem, was Sie da andeuten. Aber seien Sie sich sicher, dass ich immer genau recherchiere, bevor ich irgendetwas veröffentliche.“
Irgendwo aus einem der Läden ruft jemand einem Kunden hinterher. Eine Fahrradklingel auf der anderen Straßenseite. Das verschwörerische Kichern einer Gruppe von Kindern mit Eistüten in der Hand.
„Es geht nicht um unser mangelndes Vertrauen in Sie“, erklärt er, „sondern darum, dass Sie sich sicher wie die meisten anderen in Ihrem Beruf den Gesetzen des spannenden Journalismus unterzuordnen haben. Und wenn Ihnen da etwas zu Ohren kommt, dann ...“
„Herr Teschner, warum sagen Sie mir nicht einfach, worum es geht? Ich werde damit umgehen können, glauben Sie mir. Das ist mein Job.“
Klaus Teschner holt tief Luft, bevor er langsamen Schrittes weitergeht.
„Es ist jetzt fünfzehn Jahre her“, beginnt er schließlich. „Damals war Alwin gerade achtzehn geworden und dauernd mit seinen Freunden unterwegs, im Sommer vor allem am Strand.“
„Nicht ungewöhnlich, wenn man hier lebt.“
„Nein. Aber in diesem Sommer gab es einen Tag, von dem an sich alles ändern sollte.“ Er geht einen Moment in sich, bevor er weiterspricht. „Sein jüngerer Bruder Clemens war damals nach der Schule in jeder freien Minute in unserem Hotelrestaurant, um alles über das Kochen zu lernen, was es zu wissen gab – auch an jenem Tag. Alwin hingegen war auf eine Geburtstagsparty am Strand eingeladen. Einer seiner Freunde feierte seine Volljährigkeit. Meine Frau und ich“, er schluckt, „wir wussten, dass es eigentlich kein Anlass für eine Fünfzehnjährige ist. Aber da wir uns sicher waren, dass Alwin auf Jessica aufpassen würde, baten wir ihn, sie mitzunehmen. Jessica war eine Außenseiterin, hatte kaum Freunde und hat ihre Nase eigentlich immer nur in Bücher gesteckt. Deshalb hielten wir es“, er holt kurz Luft, „für eine gute Idee.“
„Jessica?“
„Unsere Tochter.“
Eine seltsame Ahnung überkommt mich.
„Alwin war alles andere als begeistert“, fährt er fort. „Er hat getobt und mich angebrüllt, dass ich ihm alle Chancen bei einer gewissen Clarice oder Clarissa vermiesen würde, auf die er schon lange ein Auge geworfen hatte. Und dass nichts der Annäherung mehr schaden würde als eine nervige kleine Schwester, die einem nicht von der Seite weicht. Jessica hat unseren Streit mitbekommen und auf mich eingeredet, dass ich Alwin in Ruhe lassen soll und sie lieber zu Hause bleibt. Es war ihr wohl peinlich.“
Sein Blick scheint etwas in der Ferne zu suchen. Eine Antwort. Oder nur die richtigen Worte?
„Meine Frau und ich waren an dem Abend zu Freunden eingeladen und sind dann auch widerwillig gefahren, weil Jessica uns eindringlich zu verstehen gegeben hat, dass sie sich auf etwas Ruhe allein zu Hause freuen würde. Aber die Wahrheit war“, er lächelt wehmütig, „dass ihr Plan ein ganz anderer war. Sie wollte sich an einem der abgelegenen Strände mit einem Jungen treffen.“
„Ihrem Freund?“
„Es war wohl eher so etwas wie ein Schwarm von ihr. Und es war relativ frisch, wie wir später erfahren haben. Die Sache war nur, dass er etwas von ihr wollte, zu dem sie noch nicht bereit war. Naiv von ihr zu glauben, dass ein Junge, der sich am Strand mit einem jungen Mädchen trifft, nur reden möchte, oder?“
Ich schenke ihm ein mitfühlendes Lächeln, bleibe jedoch stumm.
Ich sehe den feuchten Schimmer auf seinen Augen, während er mit dünner werdender Stimme fortfährt. „Jessica und er haben sich gestritten, woraufhin er sie allein zurückgelassen hat. Eine Tatsache, die aufgrund eines mehrfach bestätigten Alibis wohl nicht in Frage gestellt werden darf, weil er viel früher in einem nahegelegenen Bistro gesehen wurde. Ich meine, viel früher als ...“ Wieder verstummt er.
Da ist sie wieder, die unliebsame Ahnung.
Sein Atem ist schwer. „Ich weiß nicht, wie sie darauf gekommen ist, alleine im Dunkeln schwimmen zu gehen. Ob sie so aufgewühlt war, ob sie den Kopf frei bekommen wollte.“ Seine Stimme scheint jeden Moment zu versagen. Ob er wirklich besser damit umgehen kann als Alwin? „Alles, was wir wissen, ist, dass sie sich mit ihrem Kopf an der Kante des Stegs verletzt hat. Und dann …“
„Sie müssen nicht weiterreden, Herr Teschner.“ Ich hebe die Hand. „Bitte. Ich sehe doch, wie nahe es Ihnen geht.“
„Aber ich wollte, dass Sie es wissen. Dass Sie die Geschichte aus unserem Munde gehört haben, bevor Sie die Details unvollständig oder gar falsch von anderer Seite hören.“
„Nein wirklich.“ Ich lege instinktiv die Hand auf seine Schulter. „Bitte tun Sie sich das nicht an.“
Klaus Teschner nickt mir stumm zu. Eine Weile gehen wir schweigend nebeneinander die Promenade entlang. Hier und da dringt aus einer nicht zu greifenden Ferne das Kreischen einer Möwe zu uns durch. Irgendwo verkauft jemand Crêpes am Straßenrand. Doch nichts von alledem kommt wirklich bei mir an.
„Alwin hat das Ganze am härtesten getroffen“, fährt Klaus leise fort. „Er hat es sich nie verziehen, dass er sie an dem Abend nicht mitgenommen hat. Vor allem, weil die Party nicht mal einen Kilometer vom Unglücksort entfernt war. Meine Frau und ich haben das immer anders gesehen. Nie ist uns ein Vorwurf über die Lippen gekommen, weil man einem Achtzehnjährigen nun mal nicht vorwerfen kann, dass er 18 ist. In dem Alter hat man nun mal keine Lust, der ständige Babysitter für seine kleine Schwester zu sein.“
„So schrecklich das alles auch ist, niemand sollte sich deswegen Vorwürfe machen“, sage ich.
„Hören Sie, Frau Ritter.“ An der Gabelung zu einem Parkplatz bleibt er stehen. „Ist es möglich, dass Sie diesen Unfall nur am Rande erwähnen und in Ihrem Artikel nicht ins Detail gehen?“
„Ganz ehrlich? Ich bin nicht der Meinung, dass dieses Ereignis in dem Porträt über Ihren Sohn überhaupt Erwähnung finden sollte.“
„Sie meinen …“
„Dieser Schicksalsschlag ist privat. Und das sollte er auch bleiben.“
Die Wehmut in seinem Blick weicht einem Anflug von Dankbarkeit. Eine Weile stehen wir wortlos da, bis er schließlich langsam die Hände in seine Hosentaschen schiebt und die Erinnerungen mit einem Räuspern abwürgt.
„Sie