Название | Der Bastard, mein Herz und ich |
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Автор произведения | Nancy Salchow |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783742799272 |
Meine Hand liegt noch immer auf dem Türgriff, während sich meine Kehle langsam zuschnürt.
„Ich“, er hält kurz inne, „ich glaube, ich gehe besser wieder. Bitte entschuldige, dass ich hier einfach so aufgetaucht bin. Das war dumm von mir. Dumm und peinlich. Ich wollte nur reden, aber selbst das … das …“, er schluckt, „vergiss es einfach, okay?“
Gerade als er sich abwendet, finde ich endlich meine Stimme wieder.
„Du hast dich nicht geirrt“, rufe ich ihm nach und erschrecke im selben Augenblick über meine mutigen Worte.
Mit dem Rücken zu mir bleibt er regungslos stehen. Erst nach einigen Momenten des Schweigens dreht er sich schließlich zu mir um.
Er kommt einen Schritt auf mich zu. Wortlos schauen wir einander an, bis er sich vorsichtig zu mir herunterbeugt und meine Lippen so sanft und flüchtig mit seinen berührt, dass ich schon kurz darauf glaube, mir das alles nur eingebildet zu haben.
„Das war alles, was ich wissen wollte“, sagt er so leise, dass ich ihn kaum hören kann.
Ich möchte etwas antworten, doch kein einziges Wort findet seinen Weg in meinen wie leergefegten Kopf, geschweige denn auf meine Lippen.
Mit einem Lächeln, das alles und gleichzeitig nichts bedeutet, wendet er sich von mir ab.
Noch immer in der offenen Tür stehend, schaue ich ihm nach, wie er die Treppen herunterläuft. Schritt für Schritt. Stufe für Stufe. Herzschlag für Herzschlag.
Kapitel 6
Achtundzwanzig Jahre.
Die Augenringe der Frau im Spiegel, die von einer schlaflosen Nacht erzählen, lassen mich jedoch glattweg für 40 durchgehen. Während das Herz, das sich seit gestern Abend in meinem Innersten in ein unentwegt ratterndes Hamsterrad verwandelt hat, einer 17jährigen gehört.
Ich greife nach meinem Concealer, um die dunklen Schatten unsichtbar zu machen. Doch noch während ich ihn unter meinem rechten Auge ansetze, lasse ich den Arm entmutigt sinken.
Soll ich wirklich ins Hotel fahren? So tun, als sei nichts geschehen? Oder geht es gerade darum, eben nicht so zu tun, als sei nichts passiert? Was erwartet Alwin von mir? Und was erwarte ich eigentlich von ihm?
Aber natürlich werde ich fahren. Abgemacht waren zwei Tage und welche Rolle spielen persönliche Gefühle bei einem großen Auftrag wie diesem?
Während ich mich meinem anderen Auge zuwende, wandern meine Gedanken zu Nicholas. Siebzehn Monate ist es her. Und neun Monate, dass ich das letzte Mal wegen ihm geheult habe. Nicht aus übermächtiger Sehnsucht, nein. Vielmehr aus Wut, weil ich mich so in ihm getäuscht hatte. Und selbst heute noch dreht sich mir der Magen um, wenn ich darüber nachdenke, dass er ganze zwei Monate zweigleisig gefahren ist.
Fast noch schlimmer als die Erkenntnis, dass er sich heimlich mit einer Kollegin aus seiner Drogerie vergnügt hat, sind aber bis heute die Worte, die er mir kurz vor unserer Trennung an den Kopf warf. Noch immer hängen sie wie ein schallendes Echo über mir.
Du siehst die Dinge manchmal so schrecklich ernst, Sina. Wenn du deine Kamera in die Hand nimmst, dann mutierst du zu einem wandelnden Gefühl. Alles wird analysiert. Bei jedem einzelnen Farbton geht es darum, welche Emotionen er auslöst. Ganz ehrlich, das kann echt nerven. Manchmal will ich eben auch mal – wie sagst du so schön – oberflächlich sein dürfen. Ich wüsste nicht, was schlecht daran sein soll, einen Sonntag auf dem Sofa zu verbringen und Videospiele zu spielen.
Einen Sonntag. Ha! Das hat er immer gesagt. Dabei war es jedes Mal das ganze Wochenende.
Warum habe ich ihn damals eigentlich nicht abgesägt und darauf gewartet, dass er mich betrügt? Und wurmt mich das vielleicht noch mehr als der Betrug an sich?
Mit einem hatte er allerdings recht: Ich sehe die Dinge zu ernst. Immer und immer wieder, obwohl ich das eigentlich gar nicht will.
Ich stecke die Kappe zurück auf den Concealer und betrachte mein müdes Gesicht im Spiegel, während mir Oskar schnurrend um die nackten Waden streicht.
„Willst du etwas Katzenmilch?” Ich bücke mich, um ihn zu streicheln, dann mustere mich ein letztes Mal im Spiegel.
Nein. Ich bin nicht mehr dieselbe Frau wie damals.
Und welche Rolle spielt schon die Vergangenheit und ein unreifer Kerl wie Nicholas? Viel wichtiger ist doch die Gegenwart.
Meine Güte, ist das wirklich wahr? War er wirklich an meiner Tür?
Er hat mich geküsst. So sanft, dass es auch ein Windhauch hätte sein können, aber – er hat mich geküsst.
*
Das Foyer erstrahlt im warmen Licht der Morgensonne, das sich im glänzenden Parkett spiegelt. Jemand hat die Treppengeländer mit getrocknetem Lavendel dekoriert, an den Wänden reihen sich floristische Gemälde aneinander.
Ich lasse den mächtigen Empfangstresen aus Kirschbaumholz hinter mir. Mir ist nicht nach einem Gespräch, nicht mal nach einem kurzen. Früher oder später wird Alwin mich hier schon von allein aufsuchen, auch ohne dass ich ein Lebenszeichen bei der mechanisch grinsenden Brünetten am Empfang hinterlasse.
Stattdessen nehme ich auf einem der Rattansessel an der Terrassentür Platz. Von hier aus hat man einen unverstellten Blick auf das Meer und die Leute, die auf der Terrasse frühstücken.
Ich ziehe mein Handy aus der Tasche. Kurz vor neun. Ob er pünktlich sein wird?
Ich lasse meinen Blick durch das Foyer wandern. Bis auf einen älteren Herrn, der im gegenüberliegenden Sessel Zeitung liest, ist kein weiterer Hotelgast in der Nähe.
Was sage ich bloß, wenn Alwin auftaucht? Überlasse ich die ersten Worte ihm oder ergreife ich die Initiative?
Himmel, nun komm wieder runter, Mädel. Es war nur ein Kuss. Kein Grund, gleich auszuflippen.
Doch bevor ich noch nervöser werden kann, richtet der Mann mit der Zeitung das Wort an mich.
„Entschuldigen Sie“, er faltet die Zeitung zusammen, „ich habe Sie nicht gleich bemerkt.“
„Das macht doch nichts. Lesen Sie ruhig weiter.“
„Sina? Sina Ritter, richtig?“
Erst jetzt nehme ich ihn wirklich wahr. Das fast komplett ergraute, aber volle Haar. Der Bauchansatz unter dem senfgelben Pullunder.
„Entschuldigung.“ Ich beuge mich ein Stück vor. „Kennen wir uns?“
„Wie dumm von mir.“ Er reicht mir mit sanftem Lächeln die Hand. „Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Klaus Teschner. Freut mich.“
„Sie sind … Alwins Vater?“
Klaus nickt. „Sie sind sicher verwirrt, ihn nicht hier vorzufinden. Ich soll Ihnen ausrichten, dass er Sie gern am späten Vormittag am Steg treffen möchte. Er sagte irgendetwas von Fotos?“
„Fotos. Ähm. Ja, natürlich.“
Fotos am Wasser waren nach dem ersten Shooting am Strand eigentlich nicht mehr geplant. Ist es nur ein Vorwand von ihm, um mich in ungezwungener Atmosphäre, vor allem aber ungestört zu sehen? Und was soll das mit seinem Vater?
Klaus erhebt sich von seinem Sessel und schiebt lachend die Hände in seine Hosentaschen.