Die Köln-Affäre. Rolf D. Sabel

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Название Die Köln-Affäre
Автор произведения Rolf D. Sabel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783961361410



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sich hin.

      Thyburn nahm Deckung hinter dem Sessel und griff nach ihrem Pistolenhalfter. Keinen Moment zu früh! Sekunden später peitschte eine Serie von Schüssen durch die Luft und durchschlug das Fenster. Die Projektile gruben sich in Wand und Möbel oder prallten ab. Ihre Querschläger sausten unheilvoll durch die Luft.

      „Kalaschnikow!“, schrie Wills.

      Er robbte über den Boden und griff nach seiner SIG Sauer Scorpion. Obwohl der Kugelhagel andauerte, hob er die Hand über den Fensterrand und gab in schneller Folge vier Schüsse ins Dunkle ab. Ein Schmerzensschrei verriet, dass zumindest eine der Kugeln ihr Ziel gefunden hatte. Der Kugelhagel endete abrupt. Ein Geräusch, als sei jemand von dem Container gesprungen, dann wurden auch schon Fenster geöffnet und Schreie tönten durch die Nacht.

      „Was war das?“

      „Welches Arschloch ballert hier rum? Silvester ist doch vorbei!“

      „Idiot, das waren Schüsse!“

      „Ruft die Polizei!“

      „Bist du verletzt?“ Wills robbte hinter den Sessel, wo Thyburn kauerte. Sie war blass und zitterte leicht.

      „Nein, alles gut!“ Sie deutete auf den Sessel, der zahlreiche Kugeln abgefangen hatte.

      „Aber du blutest!“, aus Wills Stimme klang echte Besorgnis.

      „Querschläger, nichts Besonderes“, murmelte die Agentin und wickelte sich ein Tuch um den Arm.

      „Wir müssen abhauen. Sofort! In fünf Minuten sind die Cops da und ich möchte ihnen nicht erklären müssen, warum wir offensichtlich das Ziel des Anschlags waren.“

      Thyburn hatte ihre Tasche noch gar nicht ausgepackt, Wills aktivierte sein GPS, raffte in aller Eile die wichtigsten Sachen zusammen und Minuten später hasteten sie die Treppe hinab und drängten sich durch die Mitbewohner, die im Treppenhaus standen und das Geschehen aufgeregt diskutierten. Zwischen Hysterie und Neugier waren hier alle Reaktionen zu finden.

      In dem Durcheinander fiel es gar nicht auf, dass es zwei Mitbewohner besonders eilig zu haben schienen, den Tatort zu verlassen.

      Und keine Sekunde zu früh!

      Die Polizeiwache Rhöndorfer Straße war vom Ort des Geschehens nur fünf Minuten entfernt, und länger dauerte es auch nicht, bis zwei Streifenwagen mit Blaulicht und durchdringender Sirene vor dem Haus hielten. Da standen die beiden Agenten schon auf der anderen Straßenseite und beobachteten aus sicherer Entfernung das Geschehen.

      Fünf Beamte, darunter zwei Frauen mit langen blonden Zöpfen sprangen heraus und trafen auf eine Schar aufgeregter Hausbewohner, die ihnen in wildem Durcheinander einen verworrenen Ablauf schilderten. Und während zwei Beamten sich anschickten, den Garten mit Taschenlampen zu durchsuchen, begannen die anderen, die verworrenen Zeugenaussagen aufzunehmen.

      „Wir haben genug gesehen“, sagte Wills lakonisch, „wir hauen ab!“

      „Das war knapp“, flüsterte Thyburn. „Gut, dass deine Ohren in Ordnung sind.“

      „Nicht nur meine Ohren“, grinste er etwas anzüglich.

      „Aber das beweist meine Theorie. Der Unbekannte kennt nicht nur unseren Aufenthaltsort, sondern er weiß auch, dass du hier bist. Er wollte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, aber der Bursche wird langsam unvorsichtig. Das war jetzt schon der zweite Anschlag, der ihm misslungen ist. Und ich schwöre, den dritten wird er nicht überleben!“

      Aber darin sollte sich der gute Agent irren!

       14. Kapitel

       Köln/Innenstadt

       Seit jenem Tag, an dem der erste Schuft seinen ersten Dummkopf fand, gibt es Quacksalber. (Voltaire)

      Dr. Klaus Marquardt galt in Köln als einer der Experten im Bereich der Inneren Medizin.

      Seine Praxis auf dem Hohenstaufenring war klein, aber exquisit und nur Privatpatienten zugänglich. Marquardt war überdurchschnittlich groß und sehr schlank, fast schon hager. Sein volles Haar war weiß und lockig, seine randlose Brille betonte ein asketisches, aber freundliches Gesicht. Ein gepflegter Oberlippenbart verlieh ihm einen Hauch von Jugend und das kräftige, weiße Gebiss zeugte von besonderer Pflege. Ein Mann, der Kompetenz und Vertrauen ausstrahlte und dazu ausgesprochen gut aussah.

      Daran änderten auch die mehr als sechzig Jahre nichts, die er schon hinter sich gebracht hatte.

      Sein gestärkter blütenweißer Kittel verstärkte nachhaltig den Eindruck von Würde und Kompetenz. Er würde nie, wie manche andere Kollegen, ohne Ärztekittel auftreten. In Jeans und Buschhemd vielleicht? Gruselige Vorstellung!

      „Ein Polizist trägt auch seine Uniform“, pflegte er zu sagen, wenn er darauf angesprochen wurde.

      Doris Bassler hatte sich wieder angezogen und wartete auf das Ergebnis. Sie war nervös und nestelte mit fahrigen Händen an ihrer Tasche. Ihr Mann wusste nichts von dem Arztbesuch. Vielleicht war die Diagnose doch nicht so schlimm, und sie wollte ihm eine sinnlose Beunruhigung ersparen.

      Das Ergebnis des Blutbildes lag jetzt ebenso vor wie der Befund des Ultraschalls und der Computertomographie. In den letzten Tagen war ein MRT veranlasst worden, sogar eine endoskopische Darstellung von Pankreasgang und Gallenwegen durch eine Röntgenaufnahme unter Kontrast. Nichts war ausgelassen worden, was gut, teuer und hilfreich war. Die Krankenkasse würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.

      Der Arzt musterte seine Patientin nachdenklich. Er legte seine Hände zu einer Pyramide zusammen, wie er es immer unwillkürlich zu tun pflegte, wenn er schlechte Nachrichten zu überbringen hatte. Vielleicht sollte die Pyramide ein Schutzdach für den Patienten darstellen.

      „Frau Bassler, es hat wenig Zweck, um die Sache herumzureden. Sie haben eine sehr gefährliche Krankheit, und sie ist in einem ziemlich fortgeschrittenen Zustand.“

      Doris Bassler guckte ihn fragend an. Erste Tränen sammelten sich in ihren Augen.

      „Vielleicht sollten wir zuerst Ihren Mann dazuholen.“

      Bassler schüttelte den Kopf. „Weiter“, hauchte sie tonlos.

      „Ein Pankreaskarzinom oder um es für Sie verständlicher zu machen Bauchspeicheldrüsenkrebs!“

      Bassler schlug die Hände vor den Mund. Ein Todesurteil! Von diesem Krebs hatte sie schon gehört und er zählte zu den schlimmsten. Ihre Mutter war daran gestorben. Damals hatten zwischen Diagnose und Tod fünf Monate gelegen!

      Dr. Marquardt stand auf und goss ihr ein Glas Wasser ein.

      Wieso glauben eigentlich alle Menschen, selbst Ärzte, dass in einer solchen Situation ein Glas Wasser helfen konnte, dachte Bassler und stieß das Glas unwirsch zur Seite.

      Wasser schwappte über und versah den dunklen Schreibtisch mit einem Kranz.

      Vorsichtig legte der Arzt seine Hand auf die zitternde Schulter seiner Patientin.

      „Eigentlich gehören Sie nicht zu der Gruppe von Menschen, die eine Disposition für diese Erkrankung haben.“

      „Was wäre denn typisch als Disposition“, sagte Bassler leise. „Riskante Lebensgewohnheiten wie Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, Übergewicht und fett- und fleischreiche Ernährung, alles Dinge, die ich bei Ihnen ausschließe.“

      Er machte eine kurze Pause und sah seine Patientin nachdenklich an.

      „Hat es in Ihrer Familie diese Krankheit schon gegeben?“

      „Meine Mutter ist daran gestorben“, kam es kaum hörbar.

      Dr. Marquardt nickte einfühlsam.

      „Die genetische Disposition ist in der Tat eine erhebliche Komponente. Das Problem dieser Krankheit