Название | Sinclair Lewis: Die großen Romane |
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Автор произведения | Sinclair Lewis |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 4066338121196 |
Als die Dawsons und Herr Mott behauptet hatten, sie wären »entzückt, sie kennenzulernen«, schien alles gesagt zu sein, aber die Konversation lief automatisch weiter.
»Gefällt Ihnen Gopher Prairie?« winselte Frau Dawson.
»Oh, ich bin überzeugt, ich werde sehr glücklich hier sein.«
»Es sind so viel nette Leute hier.« Frau Dawson suchte mit einem Blick bei Herrn Mott gesellschaftliche und intellektuelle Hilfe. Er ließ sich vernehmen:
»Das ist hier eine feine Menschenklasse. Wissen Sie schon, daß Percy Bresnahan aus unserer Stadt stammt? Er ist hier in die Schule gegangen, als noch das alte Gebäude stand!«
»Ich habe davon gehört.«
»Ja. Er ist ein großartiger Mann. Wir, er und ich, haben zusammen gefischt, als er das letztemal hier war.«
Die Dawsons und Herr Mott schwankten auf müden Beinen und lächelten Carola mit erstarrten Mienen zu. Sie setzte das Gespräch fort:
»Sagen Sie, Herr Mott, haben Sie schon einmal Versuche mit einem von den neuen Erziehungssystemen gemacht? Mit den modernen Kindergartenmethoden oder dem Gary-System?«
»Oh, die. Die meisten Leute, die sich als Reformer aufspielen, sind ganz einfach Menschen, die bekannt werden wollen. Ich halte was vom Handfertigkeitsunterricht, aber Latein und Mathematik werden immer das Rückgrat eines gesunden Amerikanismus sein, was auch diese Theoretiker sonst empfehlen wollen – weiß der Himmel, was die alles wünschen, stricken, glaub' ich, und Unterricht im Ohrenwackeln!«
Die Dawsons lächelten voll Anerkennung dafür, daß sie einem Weisen lauschen durften. Carola wartete darauf, daß Kennicott sie befreite. Der Rest der Gesellschaft wartete auf das Wunder, sich zu unterhalten.
Harry und Juanita Haydock, Rita Simons und Dr. Terry Gould – die jungen flotten Leute Gopher Prairies. Sie wurde ihnen zugeführt. Juanita Haydock begann mit ihrer hohen, schnatternden, freundlichen Stimme:
»Also, es ist ja so nett, daß wir Sie hier haben. Wir werden uns gut unterhalten – tanzen und alles mögliche. Sie werden in die ›Lustige Siebzehn‹ eintreten müssen. Wir spielen Bridge und haben einmal im Monat ein Abendessen. Sie spielen doch natürlich?«
»N–nein, ich spiele nicht.«
»Wirklich? In St. Paul?«
»Ich bin immer so ein Bücherwurm gewesen.«
»Wir werden's Ihnen beibringen müssen. Bridge ist fast das netteste, was es gibt.« Juanita hatte zu begönnern angefangen und warf jetzt einen respektlosen Blick auf Carolas goldene Schärpe, die sie vorher bewundert hatte.
Harry Haydock fragte höflich: »Was glauben Sie, wie wird es Ihnen in unserem alten Nest gefallen?«
»Ich bin überzeugt, es wird mir ausgezeichnet gefallen.«
»Die besten Leute von der Welt hier. Und auch sehr tüchtige Menschen. Natürlich hab' ich sehr oft Gelegenheit gehabt, nach Minneapolis zu übersiedeln. Aber es gefällt uns hier. Wissen Sie, daß Percy Bresnahan von hier ist?«
Carola bemerkte, daß sie durch das Eingeständnis ihrer Bridgeunkenntnis eine kleine Niederlage im Kampf ums Leben erlitten hatte. Von dem nervösen Wunsch getrieben, ihre Stellung zurückzugewinnen, wandte sie sich an Dr. Terry Gould, den jungen billardspielenden Konkurrenten ihres Mannes. Ihre Augen kokettierten mit ihm, während sie sagte:
»Ich will Bridge lernen. Aber was ich wirklich liebe, das ist die freie Natur. Können wir nicht alle eine Kahnpartie machen und fischen, oder was man sonst tut, und nachher ein Picknick veranstalten?«
»Das ist mal ein Wort!« bestätigte Dr. Gould. Er blickte etwas zu unverhohlen auf die glatte Kurve ihrer Schulter.
»Fischen Sie gern? Mir ist das Fischen das Liebste auf der Welt. Ich werd' Ihnen das Bridge beibringen. Spielen Sie überhaupt gern Karten?«
»Ich habe mal ziemlich gut Bésigue gespielt.«
Sie wußte, daß Bésigue ein Kartenspiel sei – oder irgendein anderes Spiel. Vielleicht auch Roulette. Aber ihre Lüge war ein Triumph. Auf Juanitas hübschem Pferdegesicht mit den lebhaften Farben zeigte sich Unsicherheit. Harry fuhr sich über die Nase und fragte demütig: »Bésigue? Das ist doch ein Hasardspiel, nicht?«
Während noch andere sich zu ihrer Gruppe schlugen, belebte Carola die Konversation. Sie lachte, war leichtfertig und ziemlich unsicher. Sie konnte die Augen der Leute nicht sehen. Sie bildeten ein verschwommenes Theaterauditorium, vor dem sie ganz bewußt die Komödie spielte, die kluge kleine Frau Doktor Kennicotts zu sein:
»Ja, die berühmte freie Natur, die suche ich. Ich will nie wieder etwas lesen außer dem Sportteil der Zeitung. Will hat mich auf unserem Colorado-Trip bekehrt. Es waren so viele Touristchen da, die Angst davor hatten, aus dem Autobus zu steigen, daß ich beschloß, Annie Oakley, der Wildwest-Vampyr, zu werden, und ich hab' mir, oh! ein schreckliches Kleid gekauft, das meine reizenden Fesseln den Presbyterianerblicken aller Provinzschullehrerinnen gezeigt hat, und bin von Fels zu Fels gesprungen wie eine Gemse, und – Sie halten Doktor Kennicott vielleicht für einen Nimrod, aber Sie hätten ihn sehen sollen, wie ich ihn dazu gebracht habe, sich ganz auszuziehen und in einem eiskalten Gebirgsbach zu schwimmen.«
Sie wußte, daß ihre Zuhörer daran dachten, empört zu werden, aber Juanita Haydock bewunderte sie wenigstens. Sie schwadronierte weiter:
»Ich weiß ja, daß ich Wills Ruf als anständiger Doktor untergrabe – ist er ein guter Arzt, Doktor Gould?«
Kennicotts Rivale schnappte bei diesem Angriff auf die Berufsmoral nach Luft, es dauerte eine ziemliche Weile, bis er seine Höflichkeit wiedergewann. »Ich will Ihnen etwas sagen, Frau Kennicott.« Er lächelte Kennicott zu, um zu verstehen zu geben, daß alles, was er in seiner Bemühung, witzig zu sein, auch sagen mochte, im medico-kommerziellen Krieg nicht gegen ihn sprechen sollte. »Es gibt ein paar Leute in der Stadt, die sagen, daß der Doktor ein ganz brauchbarer mittelmäßiger Diagnostiker und Rezepteverschreiber ist, aber ich will Ihnen ins Ohr sagen – und erzählen Sie ihm um Gottes willen nichts davon – man wendet sich nie mit etwas Ernsthafterem an ihn, als mit einer Appendektomie am linken Ohr oder einem Strabismus des Cardiographen.«
Niemand außer Kennicott wußte, was das heißen sollte, aber man lachte. Carola merkte, daß George Edwin Mott und das farblose Ehepaar Dawson noch nicht hypnotisiert waren. Sie sahen aus, wie wenn sie nicht wüßten, ob sie so aussehen sollten, als wären sie nicht zufrieden. Sie wandte sich ihnen zu:
»Aber ich weiß, mit wem ich mich nicht getraut hätte, nach Colorado zu gehen! Mit Herrn Dawson! Ich bin überzeugt, der ist ein regelrechter Herzensknicker. Als ich ihm vorgestellt worden bin, hat er meine Hand festgehalten und fürchterlich gedrückt.«
»Ha! Ha! Ha!« Die ganze Gesellschaft applaudierte. Herr Dawson war selig. Er hatte schon viele Namen bekommen – Wucherer, Schinder, Geizkragen, Schleicher – aber einen Poussierstengel hatte ihn noch niemand genannt.
»Er ist ein ganz schlechter Kerl, nicht wahr, Frau Dawson. Müssen Sie ihn nicht einsperren?«
»Ach nein, aber vielleicht wäre 's doch besser«, versuchte Frau Dawson zu scherzen, und ihr bleiches Gesicht rötete sich sanft.
Fünfzehn Minuten hielt Carola es aus. Sie erklärte, sie wolle eine komische Oper aufführen, Café Parfait sei ihr lieber als Beefsteak, sie hoffe, Dr. Kennicott werde nie verlernen, reizenden Frauen den Hof zu machen, und sie besitze ein Paar Goldstrümpfe. Man riß den Mund auf und wollte mehr hören. Aber sie konnte nicht weiter. Sie zog sich auf einen Sessel hinter Sam Clarks breitem Rücken zurück. Die Lachfältchen auf den Gesichtern aller anderen, die an der Unterhaltung mitarbeiteten, glätteten sich feierlich, wieder standen sie herum und hofften, erwarteten aber nicht mehr, sich zu vergnügen.
Carola