Название | Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates |
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Автор произведения | Friedrich Engels |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783966511728 |
An diesem Punkt setzt Morgan's Hauptwerk an: Ancient Society(1877), das Werk, das der gegenwärtigen Arbeit zu Grunde liegt. Was Morgan 1871 nur noch dunkel ahnte, das ist hier mit vollem Bewußtsein entwickelt. Endogamie und Exogamie bilden keinen Gegensatz; exogame »Stämme« sind bis jetzt nirgends nachgewiesen. Aber zur Zeit, wo die Gruppenehe noch herrschte – und sie hat aller Wahrscheinlichkeit nach überall einmal geherrscht – gliederte sich der Stamm in eine Anzahl von, auf Mutterseite blutsverwandten Gruppen, Gentes, innerhalb deren strenges Eheverbot herrschte, so daß die Männer einer Gens ihre Frauen zwar innerhalb des Stammes nehmen konnten, und in der Regel nahmen, aber sie außerhalb ihrer Gens nehmen mußten. So daß, wenn die Gens streng exogam, der die Gesammtheit der Gentes umfassende Stamm eben so sehr endogam war. Damit war der letzte Rest der MacLennan'schen Künstelei endgültig abgethan.
Hiermit aber begnügte sich Morgan nicht. Die Gens der amerikanischen Indianer diente ihm ferner dazu, den zweiten entscheidenden Fortschritt auf dem von ihm untersuchten Gebiet zu machen. In dieser, nach Mutterrecht organisirten Gens entdeckte er die Urform, woraus sich die spätere, vaterrechtlich organisirte Gens entwickelt hatte, die Gens wie wir sie bei den antiken Kulturvölkern finden. Die griechische und römische Gens, allen bisherigen Geschichtschreibern ein Räthsel, war erklärt aus der indianischen, und damit eine neue Grundlage gefunden für die ganze Urgeschichte.
Diese Wiederentdeckung der ursprünglichen mutterrechtlichen Gens als der Vorstufe der vaterrechtlichen Gens der Kulturvölker, hat für die Urgeschichte dieselbe Bedeutung, wie Darwin's Entwicklungstheorie für die Biologie und Marx' Mehrwerthstheorie für die politische Oekonomie. Sie befähigte Morgan, zum ersten Mal eine Geschichte der Familie zu entwerfen, worin wenigstens die klassischen Entwicklungsstufen im Ganzen und Großen, soweit das heute bekannte Material erlaubt, vorläufig festgestellt sind. Daß hiermit eine neue Epoche der Behandlung der Urgeschichte beginnt, ist vor aller Augen klar. Die mutterrechtliche Gens ist der Angelpunkt geworden, um den sich diese ganze Wissenschaft dreht; seit ihrer Entdeckung weiß man, in welcher Richtung und wonach man zu forschen, und wie man das Erforschte zu gruppiren hat. Und dementsprechend werden jetzt auf diesem Gebiet ganz anders rasche Fortschritte gemacht als vor Morgan's Buch.
Die Entdeckungen Morgan's sind jetzt allgemein anerkannt, oder vielmehr angeeignet von den Prähistorikern auch in England. Aber fast bei keinem findet sich das offene Zugeständniß, daß es Morgan ist, dem wir diese Revolution der Anschauungen verdanken. In England ist sein Buch so weit wie möglich todtgeschwiegen, er selbst mit herablassendem Lob wegen seiner früheren Leistungen abgefertigt worden; an den Einzelheiten seiner Darstellung klaubt man eifrig herum, von seinen wirklich großen Entdeckungen schweigt man hartnäckig. Ancient Society ist in der Originalausgabe vergriffen; in Amerika ist für so etwas kein lohnender Absatz; in England wurde das Buch, scheint es, systematisch unterdrückt, und die einzige Ausgabe dieses epochemachenden Werks, die noch im Buchhandel circulirt, ist – die deutsche Übersetzung.
Woher diese Zurückhaltung, in der es schwer ist, nicht eine Todtschweigungs-Verschwörung zu sehen, besonders gegenüber den zahlreichen bloßen Höflichkeitscitaten und andern Beweisen von Kamaraderie, wovon die Schriften unsrer anerkannten Prähistoriker wimmeln? Etwa weil Morgan ein Amerikaner ist, und es sehr hart ist für die englischen Prähistoriker, daß sie, trotz alles höchst anerkennenswerthen Fleißes im Zusammentragen von Material, für die bei der Ordnung und Gruppirung dieses Materials geltenden allgemeinen Gesichtspunkte, kurz für ihre Ideen, angewiesen sind auf zwei geniale Ausländer, auf Bachofen und Morgan? Den Deutschen konnte man sich noch gefallen lassen, aber den Amerikaner? Gegenüber dem Amerikaner wird jeder Engländer patriotisch, wovon ich in den Vereinigten Staaten ergötzliche Beispiele gesehn. Nun kommt aber noch dazu, daß MacLennan der sozusagen amtlich ernannte Stifter und Führer der englischen prähistorischen Schule war; daß es gewissermassen zum prähistorischen guten Ton gehörte, nur mit der höchsten Ehrfurcht von seiner verkünstelten, vom Kindermord durch Vielmännerei und Raubehe zur mutterrechtlichen Familie führenden Geschichtskonstruktion zu reden; daß der geringste Zweifel an der Existenz von einander absolut ausschließenden exogamen und endogamen »Stämmen« für frevelhafte Ketzerei galt; daß also Morgan, indem er alle diese geheiligten Dogmen in Dunst auflöste, eine Art von Sakrileg beging. Und obendrein löste er sie auf in einer Weise, die nur ausgesprochen zu werden brauchte, um sofort einzuleuchten; so daß die bisher zwischen Exogamie und Endogamie rathlos umhertaumelnden MacLennan-Verehrer sich fast mit der Faust vor den Kopf schlagen und ausrufen mußten: Wie konnten wir so dumm sein und das nicht schon lange selbst finden!
Und wenn das noch nicht der Verbrechen genug waren, um der offiziellen Schule jede andere Behandlung außer kühler Beiseiteschiebung zu verbieten, so machte Morgan das Maß übervoll, indem er nicht nur die Civilisation, die Gesellschaft der Waarenproduktion, die Grundform unserer heutigen Gesellschaft, in einer Weise kritisirte, die an Fourier erinnert, sondern von einer künftigen Umgestaltung dieser Gesellschaft in Worten spricht, die Karl Marx gesagt haben könnte. Es war also wohlverdient, wenn MacLennan ihm entrüstet vorwirft, »die historische Methode sei ihm durchaus antipathisch,« und wenn Herr Professor Giraud-Teulon in Genf ihm dies noch 1884 bestätigt. Wankte doch derselbe Herr Giraud-Teulon noch 1874 ( Origines de la famille) hülflos im Irrgarten der MacLennan'schen Exogamie herum, aus dem ihn Morgan erst befreien mußte!
Auf die übrigen Fortschritte, die die Urgeschichte Morgan verdankt, brauche ich hier nicht einzugehn; im Verlauf meiner Arbeit findet sich das Nöthige darüber. Die vierzehn Jahre, die seit dem Erscheinen seines Hauptwerkes verflossen, haben unser Material für die Geschichte der menschlichen Urgesellschaften sehr bereichert; zu den Anthropologen, Reisenden und Prähistorikern von Profession sind die vergleichenden Juristen getreten und haben theils neuen Stoff, theils neue Gesichtspunkte gebracht. Manche Einzelhypothese Morgan's ist dadurch schwankend oder selbst hinfällig geworden. Aber nirgendwo hat das neu gesammelte Material dazu geführt, seine großen Hauptgesichtspunkte durch andere zu verdrängen. Die von ihm in die Urgeschichte gebrachte Ordnung gilt in ihren Hauptzügen noch heute. Ja, man kann sagen, sie findet mehr und mehr allgemeine Anerkennung in demselben Maß, worin seine Urheberschaft dieses großen Fortschritts verheimlicht wird.
London, 16. Juni 1891.
Friedrich Engels.
I. Vorgeschichtliche Kulturstufen
Morgan ist der erste, der mit Sachkenntniß eine bestimmte Ordnung in die menschliche Vorgeschichte zu bringen versucht; so lange nicht bedeutend erweitertes Material zu Aenderungen nöthigt, wird seine Gruppirung wohl in Kraft bleiben.
Von den drei Hauptepochen: Wildheit, Barbarei, Civilisation beschäftigen ihn selbstredend nur die ersten zwei und der Uebergang zur dritten. Jede der beiden theilt er ein in eine untere, mittlere und obere Stufe, je nach den Fortschritten der Produktion der Lebensmittel; denn, sagt er: »die Geschicklichkeit in dieser Produktion ist entscheidend für den Grad menschlicher Ueberlegenheit und Naturbeherrschung; von allen Wesen hat nur der Mensch es bis zu einer fast unbedingten Herrschaft über die Erzeugung von Nahrungsmitteln gebracht. Alle großen Epochen menschlichen Fortschritts fallen, mehr oder weniger direkt, zusammen mit Epochen der Ausweitung der Unterhaltsquellen.« – Die Entwicklung der Familie geht daneben, bietet aber keine so schlagenden Merkmale zur Trennung der Perioden.
I. Wildheit.
1. Unterstufe: Kindheit des Menschengeschlechts, das, wenigstens theilweise auf Bäumen lebend, wodurch allein sein