Название | Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates |
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Автор произведения | Friedrich Engels |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783966511728 |
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Bis zum Anfang der sechziger Jahre kann von einer Geschichte der Familie nicht die Rede sein. Die historische Wissenschaft stand auf diesem Gebiet noch ganz unter dem Einflusse der fünf Bücher Mosis. Die darin ausführlicher als anderswo geschilderte patriarchalische Familienform wurde nicht nur ohne Weiteres als die älteste angenommen, sondern auch – nach Abzug der Vielweiberei – mit der heutigen bürgerlichen Familie identifizirt, so daß eigentlich die Familie überhaupt keine geschichtliche Entwicklung durchgemacht hatte; höchstens gab man zu, daß in der Urzeit eine Periode geschlechtlicher Regellosigkeit bestanden haben könne. – Allerdings kannte man außer der Einzelehe auch die orientalische Vielweiberei und die indisch-tibetanische Vielmännerei; aber diese drei Formen ließen sich nicht in eine historische Reihenfolge ordnen und figurirten zusammenhangslos neben einander. Daß bei einzelnen Völkern der alten Geschichte, sowie bei einigen noch existirenden Wilden, die Abstammung nicht vom Vater, sondern von der Mutter gerechnet, also die weibliche Linie als die allein gültige angesehn wurde; daß bei vielen heutigen Völkern die Ehe innerhalb bestimmter größerer, damals nicht näher untersuchter Gruppen verboten ist, und daß diese Sitte sich in allen Welttheilen findet – diese Thatsachen waren zwar bekannt und es wurden immer mehr Beispiele davon gesammelt. Aber man wußte nichts damit anzufangen, und selbst noch in E. B. Tylor's Researches into the Early History of Mankind &c. &c. (1865) figuriren sie als bloße »sonderbare Gebräuche« neben dem bei einigen Wilden geltenden Verbot, brennendes Holz mit einem Eisenwerkzeug zu berühren, und ähnlichen religiösen Schnurrpfeifereien.
Die Geschichte der Familie datirt von 1861, vom Erscheinen von Bachofen's »Mutterrecht.« Hier stellt der Verfasser die folgenden Behauptungen auf: 1) daß die Menschen im Anfang in schrankenlosem Geschlechtsverkehr gelebt, den er, mit einem schiefen Ausdruck, als Hetärismus bezeichnet; 2) daß ein solcher Verkehr jede sichere Vaterschaft ausschließt, daß daher die Abstammung nur in der weiblichen Linie – nach Mutterrecht – gerechnet werden konnte, und daß dies ursprünglich bei allen Völkern des Alterthums der Fall war; 3) daß in Folge hiervon den Frauen, als den Müttern, den einzigen sicher bekannten Eltern der jüngern Generation, ein hoher Grad von Achtung und Ansehn gezollt wurde, der sich nach Bachofen's Vorstellung zu einer vollständigen Weiberherrschaft (Gynaikokratie) steigerte; 4) daß der Uebergang zur Einzelehe, wo die Frau Einem Mann ausschließlich gehörte, eine Verletzung eines uralten Religionsgebots in sich schloß (d. h. tatsächlich eine Verletzung des altherkömmlichen Anrechts der übrigen Männer auf dieselbe Frau), eine Verletzung, die gebüßt, oder deren Duldung erkauft werden mußte durch eine zeitlich beschränkte Preisgebung der Frau.
Die Beweise für diese Sätze findet Bachofen in zahllosen, mit äußerstem Fleiß zusammengesuchten Stellen der altklassischen Literatur. Die Entwicklung vom »Hetärismus« zur Monogamie und vom Mutterrecht zum Vaterrecht vollzieht sich nach ihm, namentlich bei den Griechen, in Folge einer Fortentwicklung der religiösen Vorstellungen, einer Einschiebung neuer Gottheiten, Repräsentanten der neuen Anschauungsweise, in die altüberlieferte Göttergruppe, die Vertreterin der alten Anschauung, so daß die letztere mehr und mehr von der ersteren in den Hintergrund gedrängt wird. Es ist also nicht die Entwicklung der tatsächlichen Lebensbedingungen der Menschen, sondern der religiöse Widerschein dieser Lebensbedingungen in den Köpfen derselben Menschen, der nach Bachofen die geschichtlichen Veränderungen in der gegenseitigen gesellschaftlichen Stellung von Mann und Weib bewirkt hat. Hiernach stellt Bachofen die Oresteia des Aeschylos dar als die dramatische Schilderung des Kampfes zwischen dem untergehenden Mutterrecht und dem in der Heroenzeit aufkommenden und siegenden Vaterrecht. Klytämnestra hat, um ihres Buhlen Aegisthos willen, ihren vom Trojanerkrieg heimkehrenden Gatten Agamemnon erschlagen; aber ihr und Agamemnon's Sohn Orestes rächt den Mord des Vaters, indem er seine Mutter erschlägt. Dafür verfolgen ihn die Erinnyen, die dämonischen Schützerinnen des Mutterrechts, wonach der Muttermord das schwerste, unsühnbarste Verbrechen. Aber Apollo, der den Orestes durch sein Orakel zu dieser That aufgefordert, und Athene, die als Richterin aufgerufen wird – die beiden Götter, die hier die neue, vaterrechtliche Ordnung vertreten – schützen ihn; Athene hört beide Parteien an. Die ganze Streitfrage faßt sich kurz zusammen in der nun stattfindenden Debatte zwischen Orestes und den Erinnyen. Orest beruft sich darauf, daß Klytämnestra einen doppelten Frevel begangen: indem sie ihren Gatten, und damit auch seinen Vater getödtet. Warum denn verfolgten die Erinnyen ihn, und nicht sie, die weit Schuldigere? Die Antwort ist schlagend:
»Sie war dem Mann, den sie erschlug, nicht blutsverwandt.«
Der Mord eines nicht blutsverwandten Mannes, selbst wenn er der Gatte der Mörderin, ist sühnbar, geht die Erinnyen nichts an; ihres Amtes ist nur die Verfolgung des Mords unter Blutsverwandten, und da ist, nach Mutterrecht, der schwerste und unsühnbarste der Muttermord. Nun tritt Apollo für Orestes als Vertheidiger auf; Athene läßt die Areopagiten – die athenischen Gerichtsschöffen – abstimmen; die Stimmen sind gleich für Freisprechung und Verurtheilung; da gibt Athene als Vorsitzerin ihre Stimme für Orestes ab und spricht ihn frei. Das Vaterrecht hat den Sieg errungen über das Mutterrecht, die »Götter jungen Stamms,« wie sie von den Erinnyen selbst bezeichnet werden, siegen über die Erinnyen, und diese lassen sich schließlich auch bereden, im Dienst der neuen Ordnung ein neues Amt zu übernehmen.
Diese neue, aber entschieden richtige Deutung der Oresteia ist eine der schönsten und besten Stellen im ganzen Buch, aber sie beweist gleichzeitig, daß Bachofen mindestens eben so sehr an die Erinnyen, Apollo und Athene glaubt, wie seiner Zeit Aeschylos; er glaubt eben, daß sie in der griechischen Heroenzeit das Wunder vollbrachten, das Mutterrecht zu stürzen durch das Vaterrecht. Daß eine solche Auffassung, wo die Religion als der entscheidende Hebel der Weltgeschichte gilt, schließlich auf reinen Mystizismus hinauslaufen muß ist klar. Es ist daher eine saure und keineswegs immer lohnende Arbeit, sich durch den dicken Quartanten Bachofen's durchzuarbeiten. Aber alles das schmälert nicht sein bahnbrechendes Verdienst; er, zuerst, hat die Phrase von einem unbekannten Urzustand mit regellosem Geschlechtsverkehr ersetzt durch den Nachweis, daß die altklassische Literatur uns Spuren in Menge aufzeigt, wonach vor der Einzelehe in der That bei Griechen und Asiaten ein Zustand existirt hat, worin nicht nur ein Mann mit mehreren Frauen, sondern eine Frau mit mehreren Männern geschlechtlich verkehrte, ohne gegen die Sitte zu verstoßen; daß diese Sitte nicht verschwand, ohne Spuren zu hinterlassen in einer beschränkten Preisgebung, wodurch die Frauen das Recht auf Einzelehe erkaufen mußten; daß daher die Abstammung ursprünglich nur in weiblicher Linie, von Mutter zu Mutter gerechnet werden konnte; daß diese Alleingültigkeit der weiblichen Linie sich noch lange in die Zeit der Einzelehe mit gesicherter, oder doch anerkannter Vaterschaft, hinein erhalten hat; und daß diese ursprüngliche Stellung der Mütter, als der einzigen sichern Eltern ihrer Kinder, ihnen und damit den Frauen überhaupt, eine höhere gesellschaftliche Stellung sicherte, als sie seitdem je wieder besessen haben. Diese Sätze hat Bachofen zwar nicht in dieser Klarheit ausgesprochen – das verhinderte seine mystische Anschauung. Aber er hat sie bewiesen, und das bedeutete 1861 eine vollständige Revolution.
Bachofen's dicker Quartant war deutsch geschrieben, d. h. in der Sprache der Nation, die sich damals am wenigsten für die Vorgeschichte der heutigen Familie interessirte. Er blieb daher unbekannt. Sein nächster Nachfolger auf demselben Gebiet trat 1865 auf, ohne von Bachofen je gehört zu haben.
Dieser Nachfolger war J. F. MacLennan, das grade Gegentheil seines Vorgängers. Statt des genialen Mystikers haben wir hier den ausgetrockneten Juristen; statt der überwuchernden dichterischen Phantasie die plausiblen Kombinationen des plaidirenden Advokaten. MacLennan findet bei vielen wilden, barbarischen und selbst zivilisirten Völkern alter und neuer Zeit eine Form der Eheschließung, bei der der Bräutigam, allein oder mit seinen Freunden, die Braut ihren Verwandten scheinbar gewaltsam rauben muß. Diese Sitte muß das Ueberbleibsel sein einer früheren Sitte, worin die Männer eines Stammes sich ihre Frauen auswärts, von anderen Stämmen, wirklich mit Gewalt raubten. Wie entstand nun diese »Raubehe?« So lange die Männer hinreichend Frauen im eignen Stamm finden konnten, war durchaus kein Anlaß dazu vorhanden. Nun finden wir aber ebenso häufig, daß bei unentwickelten Völkern gewisse Gruppen existiren (die um 1865 noch häufig mit den Stämmen selbst identifizirt wurden), innerhalb deren die Heirath verboten war, so daß die Männer ihre Frauen und die Frauen