Kreaturen des Todes - 2. Band. Walter Brendel

Читать онлайн.
Название Kreaturen des Todes - 2. Band
Автор произведения Walter Brendel
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783966511513



Скачать книгу

der jedoch nur deshalb beschuldigt wurde, weil er Geldsorgen hatte - Nitribitt wiederum hatte ein großes Vermögen angehäuft. Doch auch von ihm ließen die Ermittler letztlich ab.

      Aus den höheren Kreisen, in denen sie verkehrte und die Polizei Befragungen anstellte, drang dagegen gar nichts. Dabei hatte die junge Frau die halbe Wirtschaftswunderprominenz im Adressbuch stehen; zu ihren Kontakten zählten etwa die Millionärsbrüder Gunter und Ernst Wilhelm Sachs oder auch Harald Quandt, Sprössling des Großindustriellen-Clans.

      Der Krupp-Erbe Harald von Bohlen und Habach schrieb ihr gar Liebesbriefe; nur eine Hochzeit kam für ihn nicht infrage. Tatsächlich geriet Harald von Bohlen und Halbach ins Visier der Ermittler, es wurde schließlich ein Teilabdruck seiner linken Hand an einer Flasche Rotwein am Tatort gefunden. Am Ende gab sich die Polizei jedoch mit einem Alibi der Haushälterin aus der Krupp-Familie zufrieden.

      In der prüden, biederen Adenauer-Republik war schon allein die Existenz dieser Frau skandalös; eine derartige Liaison wäre aber schlicht undenkbar gewesen.

      Ob es tatsächlich Liebe zwischen ihnen war? Möglich. Rosemarie Nitribitt gab sich rätselhaft, zeigte sich von mädchenhaft über verführerisch bis vulgär und abgebrüht in allen Facetten. Laut Christian Steiger, Autor des Buchs „Rosemarie Nitribitt – Die Autopsie eines deutschen Skandals“, sehnte sie sich aber eigentlich nach Nähe, Familie und einem Häuschen auf dem Land, kurz: einer bürgerlichen Existenz.

      Das klingt unbedingt nicht nach „Rebecca“, womöglich aber nach der unehelich geborenen Maria Rosalie Auguste, wie Nitribitt in Wirklichkeit hieß. Jener jungen Frau, die erst in einer Pflegefamilie und dann in brutalen Erziehungsheimen aufgewachsen war, mit elf vergewaltigt wurde, immer wieder abhaute und sich schon als Teenager Soldaten andiente. Jener jungen Frau, die sich oft unglücklich verliebte, Affären mit Männern oder auch Frauen hatte und zuletzt Geld und Verehrer um sich scharte. Nur die echte Liebe, die blieb ihr verwehrt. Die käufliche Liebe machte sie dafür berühmt – und wurde ihr wohl zum Verhängnis.

      Der Mörder ist bis heute nicht gefasst, doch die Verschwörung rund um die Krupp-Familie hat nie ein Ende gefunden. Heinz Pohlmann schrieb für die Illustrierte "Quick" an der Serie "Quick sucht den Mörder der Nitribitt", die nach einigen Folgen jedoch eingestellt wurde.

      Hintergrund war eine Zahlung der Firma Krupp an den Autoren, aufgrund dessen Pohlmann die Arbeit an der Reihe stoppte. Der Industriellen-Familie ging es dabei darum, ihren Namen aus dem Spiel zu lassen. Doch seitdem ranken sich unzählige Mythen um die gesamte Geschichte, die in mehreren Filmen verarbeitet wurde.

      Kein Wunder: Schließlich bieten die Fehler der Polizei, absichtlich verwischte und seltsamerweise verschwundene Spuren sowie die nicht nachgegangenen Fährten genug Stoff für jede Menge Krimis.

      Als Kind vergewaltigt, geriet Rosemarie Nitribitt früh auf die schiefe Bahn. Im fabrikneuen Cabrio wirbelte sie die verstaubte Ära Adenauer auf. Doch ihr Traum vom sozialen Aufstieg endete böse.

Wusste sie zu viel? Die Prostituierte Rosemarie Nitribitt im Jahr ihrer Ermordung 1957.

      Rosemarie Nitribitt im Jahre ihre Ermordung

      Zerbrechlich war die christlich-demokratische Bundesrepublik unter Adenauer, im Brennpunkt des heißesten Kalten Krieges. Die Russen schossen als Trockenübung schon einmal ihre Sputniks in die Erdumlaufbahn, und nach der NS-Katastrophe bemühte Deutschland sich tunlichst, die Trümmer der Vergangenheit beiseite- und seine «bürgerliche Wohlanständigkeit» herauszukehren.

      Es ist beinahe unerträglich, wie selbstgerecht und zugleich lächerlich verklemmt es da zuging. Wie sich die voyeuristische Boulevardpresse und die klatschsüchtige Gesellschaft an dem Sittenskandal weideten, ohne das Treiben beim Namen zu nennen. «Wer waren ihre Freunde?», fragte die «Frankfurter Rundschau» nach Nitribitts Tod und suchte selbstverständlich ihre Freier.

      Die Polizei schickte bei Gunter Sachs’ detailreichem Verhör über Nitribitts sexuelle Vorlieben die Stenotypistin aus dem Raum und entschärfte die erwähnten Blow-Jobs zu «Mundverkehr». Benimmbücher fanden in den Fünfzigern reissenden Absatz, Unmoral aber fand, wenn überhaupt, im Sperrbezirk am Rande der Gesellschaft statt. So schön, so verlogen. Ernst Wilhelm Sachs ließ die Edelhure zwar ein paar Tage in seiner Wohnung bleiben – länger aber nicht.

      Rosemarie Nitribitt war der lebende Beweis dafür, dass das Laster mitten unter ihnen war. Zwischen ihren Heimaufenthalten tauchte sie immer wieder in Frankfurt am Main ab und träumte im Schatten von Bankenbauten und gen Himmel wachsenden Häusern von Geld und Ansehen. Einer Kollegin aus dem Milieu sagte Nitribitt, sie wolle eine reiche, anerkannte Ehefrau werden und «einen großen Salon führen». Eine Weile arbeitete sie als Hausmädchen bei einer Bäckersfamilie, in einem Familiencafé und auf einer Hühnerfarm. Das meiste Geld verdiente die unbelehrbare Schulabbrecherin aber auf dem Strich.

      «Keineswegs besonders attraktiv» fand der Journalist Erich Kuby die Nitribitt, die postum in dessen Buch als «Des deutschen Wunders liebstes Kind» auferstand. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» meinte später gnadenlos, «ihr durchschnittliches Gesicht mit der kurzen, etwas plumpen Nase und der leicht zynisch geschürzten Oberlippe wäre hinter keinem Ladentisch und keiner Ausschanktheke aufgefallen.»

      Auf einer Polizeifoto von 1951 wirkt die damals 18-Jährige wirklich kein bisschen glamourös, eher mausgrau, aschfahl und sturzunglücklich.

      Aber Rosemarie Nitribitt mauserte sich. Wenn schon Hure, dann wollte sie keine billige sein. Sobald Nitribitt mit 21 Jahren volljährig war und offiziell keinen Vormund mehr brauchte, erfand sie sich nagelneu. Den Aufstieg der Nitribitt kann man sehr gut anhand der Statussymbole verfolgen, mit denen sie sich stückweise aufwertete, offen kokettierte und klarstellte: Ich bin nicht für jedermann zu haben.

      Schon der Teenager Rosemarie versuchte, seine ärmliche, erbärmliche Herkunft zu überspielen. In einer der wenigen stabilen Phasen ihrer Jugend entstand eine Foto, auf der sie in einem figurbetonten Kostüm, mit Schirm und breitkrempigem Hut als Requisiten die Grande Dame mimt. Anfangs steckte Nitribitt jeden Pfennig in ihre Inszenierung als mondäne Mätresse. Wenig Geld gab sie für Essen aus. Im Magen hatte sie auch an ihrem Todestag nur ein wenig Reis.

      Stundenlang blockierte sie das Gemeinschaftsbad ihrer Pension am Stadtrand und ging anschließend in hochgeschlitzten Kleidern, glänzenden Nylons, hochhackigen Schuhen und Pudel Joe auf dem Arm auf Frankfurts Prachtboulevard im Bahnhofsviertel schaulaufen.

      Im Telefonbuch stand die 1 Meter 60 kleine Prostituierte als «Mannequin» zwischen einer Textilien- und Lederbekleidung und zwei Ärzten. Nitribitts Täuschung war zuletzt so vollendet, dass sie sich der Maklerfirma «Dröll und Scheuermann», die über jeden neuen Mieter umfassende Erkundigungen einholte, als selbständiges Mannequin mit einem Monatseinkommen von 800 DM «einwandfrei» verkaufte.

      Im September 1955 zog Nitribitt, die längst mehr als 4000 DM im Monat einnahm, in die Stiftstrasse 36. Apartment Nr. 41, 4. Stock. Zwei Zimmer, Küche, Bad, 75 Quadratmeter, Parkettboden und Fußbodenheizung. Wer an der Türsprechanlage ihren Codenamen «Rebecca» nannte, dem drückte sie die Tür auf.

      Ihr größter Coup aber war ihr Auto. Bevor es ihr Markenzeichen wurde, bedeutete das Auto für Nitribitt die ultimative Freiheit. Darin entkam sie dem Rotlichtmilieu, machte sich unabhängig von einem Zuhälter. Nitribitt stand nicht am Bordstein und wartete auf vorbeifahrende Freier. Das «Rehlein», so einer ihrer Kosenamen, ging selbst auf die Jagd.

      Im Opel gabelte Nitribitt 1953 Ernst Wilhelm Sachs auf, den 24-jährigen Erben der Präzisionskugellager-Werke Fichtel & Sachs. Das schicke Gefährt sprach mehr und hochkarätigere Kunden an, das Prinzip verstand sie. Am 18. Mai 1956 registrierte die Kfz-Zulassung Frankfurt ein schwarzes Mercedes Cabrio 190 SL unter dem Kennzeichen H 70 6425. Rote Echtledersitze, Radio und Weisswandreifen. Rosemarie hatte die 17 700 DM dafür bar hingeblättert. Chefärzte fuhren damals VW Käfer.

      Trotz seiner sportlichen Erscheinung brachte es der kleine Roadster gerade mal auf 170 km/h, aber Nitribitt schaltete meistens ohnehin nur in den ersten oder zweiten