Kreaturen des Todes - 2. Band. Walter Brendel

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Название Kreaturen des Todes - 2. Band
Автор произведения Walter Brendel
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783966511513



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vorher in die Lehre zu gehen.

      Am 1. Februar 1936 begann sie ihre Lehre im Yoshida-ya, das in den 20ern von Ishida Kichizō im Tokioter Bezirk Nakano gegründet wurde. Ishida war ein Schürzenjäger, so dass das Restaurant hauptsächlich von seiner Frau geführt wurde. Er machte ihr Avancen, und da Ōmiya sie nicht sexuell befriedigte, gab sie nach. Am 23. April 1936 trafen sie sich zu einem „kurzen Liebesabenteuer“ in einem Machiai, dem damaligen Gegenstück der heutigen Love Hotels, in Shibuya, verbrachten aber dann dort vier Tage im Bett. In der Nacht des 27. Aprils 1936 zogen sie in ein anderes Machiai zum Sex, teilweise in Anwesenheit einer singenden Geisha oder des Personals, das ihre Getränke nachfüllte. Danach ging ihr Liebesmarathon im Viertel Ogu weiter. Ishida kehrte erst am Morgen des 8. Mai 1936 in sein Restaurant zurück. Abe sagte später über ihn: „Es ist schwer zu sagen, was ich an ihm gut fand. Aber ich kann nichts Schlechtes sagen über sein Aussehen, sein Verhalten, seine Fähigkeit als Liebhaber, die Art, wie er seine Gefühle ausdrückte. Ich hatte noch nie so einen sexy Mann getroffen.“

      Nachdem sie sich trennten, wurde Abe eifersüchtig und begann zu trinken. Eine Woche vor dem Mord, dachte sie über diese Tat nach. Am 9. Mai 1936 besuchte sie ein Theaterstück, in dem eine Geisha ihren Geliebten mit einem Messer angreift. Zwei Tage später verpfändete sie einen Teil ihrer Sachen, um Sushi und ein Küchenmesser zu kaufen. Abe beschrieb später ihr nächstes Treffen mit Ishida wie folgt: „Ich zog das Messer aus meiner Tasche, bedrohte ihn, wie ich es in dem Stück gesehen hatte, und sagte ‚Kichi, du hast diesen Kimono getragen, nur um einen Lieblingskunden zu erfreuen. Ich werde dich Bastard dafür umbringen.‘ Ishida erschrak und machte einen Schritt zurück, aber er schien vergnügt zu sein.“

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      Das Opfer

      Ishida und Abe kehrten nach Ogu zurück, wo sie bis zu seinem Tod blieben. Während ihres Liebesaktes legte Abe das Messer an seinen Penis an und sagte, sie werde sicherstellen, dass er ihr nie untreu werde, was Ishida mit Lachen erwiderte. Nach zwei Tagen des Geschlechtsverkehrs begann Abe ihn zu würgen, Ishida animierte sie, weiterzumachen und würgte sie auch. Am Abend des 16. Mai benutzte sie dafür ihren Obi, und nachdem sie dies zwei Stunden lang wiederholten, verzerrte sich Ishidas Gesicht, ohne wieder normal zu werden. Abe benutzte ein Sedativum namens Calmotin, um seine Schmerzen zu stillen. Als Ishida langsam ohnmächtig wurde, sagte er: „Du wirst den Gürtel wieder um meinen Hals legen und abschnüren, wenn ich schlafe, oder…? Wenn du anfängst, höre nicht auf, weil das danach schmerzhaft ist.“

      Um 2 Uhr am Morgen des 18. Mai strangulierte sie ihn während seines Schlafes zu Tode. Nachdem sie mehrere Stunden lang neben seinem Körper gelegen hatte, trennte sie seine Genitalien mit dem Küchenmesser ab, packte sie in einer Zeitschrift ein und trug sie bis zu ihrer Verhaftung drei Tage später mit sich. Mit dem Blut schrieb sie auf Ishidas linken Schenkel und das Laken „Sada, Ishida Kichi zusammen“ und ritzte ihren Namen in seinen linken Arm. Danach zog sie sich seine Unterwäsche an, verließ den Ort um 8 Uhr morgens und bat das Personal, Ishida nicht zu stören. Auf die Frage, warum sie seine Genitalien abgetrennt habe, antwortete sie: „Weil ich nicht seinen Kopf oder Körper mit mir nehmen konnte. Ich wollte den Teil mit mir nehmen, der mir die lebhaftesten Erinnerungen brachte.“

      Danach traf sie sich mit Ōmiya Gorō, bat mehrmals um Entschuldigung, wobei er annahm, es gehe darum, dass sie ihn betrogen habe, wobei sie tatsächlich um Verzeihung dafür bat, seine politische Karriere zerstört zu haben, wie es mit der Berichterstattung der Zeitungen ab dem 19. Mai geschehen sollte.

      Die Geschichte wurde zur nationalen Sensation und die resultierende Hysterie wurde „Abe-Sada-Panik“ genannt. Die Polizei erhielt Meldungen von Abe-Sichtungen aus verschiedenen Städten, wobei fast eine Massenpanik in Ginza ausgelöst wurde und zu einem großen Verkehrsstau führte. In Bezugnahme auf den Zwischenfall vom 26. Februar wurde das Verbrechen scherzhaft als „Zwischenfall vom 18. Mai“ bezeichnet.

      Den 19. Mai verbrachte sie wie einen gewöhnlichen Tag. Am 20. schrieb sie in einem Gasthaus in Shinagawa Abschiedsbriefe an Ōmiya, einen Freund und Ishida. Sie praktizierte Nekrophilie und plante für die folgende Woche ihren Selbstmord am Berg Ikoma.

      Um vier Uhr nachmittags erhielt sie Besuch von der Polizei, der ihr Pseudonym, mit dem sie sich im Gasthaus registriert hatte, verdächtig vorkam. Abe stellte sich vor und überzeugte die zweifelnden Polizisten, indem sie ihnen die Genitalien als Beweis zeigte.

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      Sada Abe bei ihrer Verhaftung am 20. Mai 1936

      Was diesen Fall von Dutzenden ähnlichen Fällen in Japan unterscheidet, sah William Johnston darin, dass sie nicht aus Eifersucht, sondern aus Liebe tötete. Mark Schreiber bemerkt, dass der Zwischenfall zu einer Zeit geschah, als die japanischen Medien ständig über extreme politische und militärische Probleme berichteten, wie den Zwischenfall vom 26. Februar oder den anstehenden Krieg gegen China. Ein derartig sensationalistischer Sexskandal diente als willkommene Abwechslung von den verstörenden Ereignissen dieser Zeit. Der Zwischenfall passte auch zur damals beliebten Stilrichtung des erotisch-grotesken Nonsense und der Vorfall um Abe Sada sollte dieses Genre auf Jahre dominieren.

      Als die Details des Verbrechens öffentlich gemacht wurden, begannen Gerüchte um die außergewöhnliche Größe des Gliedes die Runde zu machen, was jedoch von einem Polizisten und Abe dementiert wurde. Sein Penis und Hoden wurden in das pathologische Museum der medizinischen Fakultät der Universität Tokio verbracht, wo sie bis nach Ende des Zweiten Weltkriegs ausgestellt wurden, danach aber verschwanden.

      Ihr Gerichtsverfahren begann am 25. November 1936 und schon um fünf Uhr morgens bildeten sich Schlangen vor dem Gebäude. Der Richter gab an, von einigen Details sexuell erregt worden zu sein, sorgte aber für die seriöse Durchführung des Verfahrens. Abes Plädoyer vor dem Urteilsspruch begann mit: „Was ich am meisten an diesem Vorfall bedauere, ist, dass ich als eine Art sexuelle Perverse missverstanden werde … Es gab in meinem Leben keinen Mann wie Ishida. Es gab Männer, die ich mochte und mit denen ich, ohne Geld zu verlangen, schlief, aber für keinen fühlte ich wie gegenüber ihm.“

      Am 21. Dezember wurde Abe wegen Mordes mit bedingtem Vorsatz und der Leichenschändung zu 6 Jahren Freiheitsentzug verurteilt, obwohl die Staatsanwaltschaft 10 Jahre forderte und Abe selbst die Todesstrafe wünschte. Sie kam in die Frauenstrafanstalt Tochigi als Insassin Nummer 11. Am 10. November 1940 erhielt sie anlässlich des 2600-jährigen Jubiläums der Reichsgründung durch den mythologischen Kaiser Jimmu eine Strafminderung und wurde genau fünf Jahre nach dem Mord am 17. Mai 1941 freigelassen.

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      Schauplatz des „Abe-Sada-Zwischenfalls“

      Die Polizeiaufzeichnungen von Abes Verhör und ihr Geständnis wurden 1936 ein nationaler Bestseller. Christine L. Marran setzt die Faszination für Abes Geschichte in den Kontext des dokufu-Stereotyps („Giftfrau“), ein transgressiver weiblicher Charaktertypus, der in den 1870ern in Japan in Fortsetzungsromanen und Bühnenstücken aufkam. In dessen Verlauf erschienen in den späten 1890ern beichtende Autobiographien verurteilter Frauen. In den frühen 1910ern erhielten derartige Autobiographien zunehmend einen unapologetischen Ton und kritisierten Japan und die Gesellschaft. So schrieb Kanno Suga, die 1911 wegen des Hochverratszwischenfalls, einer Verschwörung zur Ermordung Kaiser Meijis, gehängt wurde, offen rebellische Essays im Gefängnis. Kaneko Fumiko, die wegen ihres Plans eines Bombenattentats gegen die kaiserliche Familie die Todesstrafe erhielt, benutzte ihr Berüchtigtsein, um sich gegen das kaiserliche System und den Rassismus und Paternalismus, den es erzeugte, auszusprechen. Abes Geständnis wurde zur meistverbreiteten Erzählung einer verurteilten Verbrecherin in Japan. Marran weist darauf hin, dass Abe, im Gegensatz zu den vorangegangenen ähnlichen Autobiographen, ihre Sexualität und Liebe zu ihrem Opfer betonte.

      Nach ihrer Freilassung nahm Abe ein Pseudonym an. Als Geliebte eines „ernsthaften