Essentielles Sein. A.H. Almaas

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Название Essentielles Sein
Автор произведения A.H. Almaas
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783867811538



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identifiziert. All das hat ein Etikett, das man „Ich“ nennt. Was ist dieses Etikett? Wenn man diese persönliche Geschichte nimmt, um sich zu definieren, dann sind alle eigenen Erfahrungen eingeschlossen, auch Erfahrungen von Selbstverwirklichung, Erleuchtung und Essenz. Man nutzt auch diese Erinnerungen, um sich zu definieren. Zum Beispiel erinnert man sich vielleicht an ein Erlebnis, das man vor etwa zwei Monaten hatte, bei dem man sein wahres Selbst erfahren hat, und jetzt glaubt man, das man das ist. Diese Erfahrung wurde zu Nahrung für die eigene persönliche Geschichte. Man versucht, jetzt eine Identität zu erzeugen, indem man sich daran erinnert. Wer sagt, daß es das ist, was man jetzt ist? Seid ihr immer dasselbe? Wenn ihr eine Erinnerung nehmt, um euch zu definieren, dann spielt es keine Rolle, woran ihr euch erinnert - Gutes, Schlechtes, Grundlegendes, Oberflächliches, Wahres oder Falsches. Alles sammelt sich in eurer persönlichen Geschichte an. Sogar eine Erfahrung eures wahren Selbst kann erinnert und der Sammlung hinzugefügt werden. Aber euer wahres Selbst ist keine Anhäufung oder Sammlung.

      Geheimnisvoll, nicht wahr? Jetzt sagt ihr vielleicht: „Moment mal. Wenn ich nicht der Körper bin und wenn ich nicht mein Gefühl meiner persönlichen Geschichte bin – wer bin ich dann? Ich stehe vor etwas Neuem.“ Wenn ihr sagt: „Ich stehe vor etwas Neuem,“ dann fragt ihr euch: „Soll ich davor Angst haben oder mich danach sehnen? Soll ich darauf hoffen oder sollte ich mich davor fürchten? Sollte ich darauf zugehen oder mich dagegen wehren?“ Wer seid ihr also in diesem Moment? Identifiziert ihr euch nicht mit eurer persönlichen Geschichte? Und will diese persönliche Geschichte nicht eine weitere Erfahrung haben, um mit Sicherheit zu wissen, wer sie ist?

      Angenommen ich könnte euch sagen, wer ihr wirklich seid. Was würde das ändern? Wenn ich sagte: „Ja, du hast ein Selbst, und es fühlt sich so und so an und es macht das und das.“ Na und? Es ist einfach ein weiteres Stück Information, das ihr in eurem Kopf (mind) speichern und eurer persönlichen Geschichte hinzufügen könnt. Es ist nicht einmal eine Erfahrung - es ist eine Erinnerung, die nicht einmal euch selbst gehört.

      Ist es möglich, nicht nur euren Körper zu betrachten und eure Identifikation mit ihm zu sehen, sondern auch eure persönliche Geschichte objektiv zu betrachten, ohne daß ihr euch mit ihr identifizieren müßt? Ist es möglich, die Totalität eurer Persönlichkeit auf einmal anzuschauen? Meistens identifiziert ihr euch mit dieser Totalität. Ihr seid mitten darin, wie in einem Medium, zum Beispiel einer Wolke, und ihr laßt euch von der Atmosphäre dieser Wolke definieren. Ist es möglich, euch dessen bewußt zu werden, daß ihr das tut? Könnt ihr eure Erfahrung in diesem Moment betrachten und sehen, wie ihr euch mit eurer persönlichen Geschichte identifiziert? Seid ihr euch bewußt, wie schwer es ist, sich von solchen Gedanken und Erinnerungen und Vorstellungen von euch selbst loszulösen?

      Versucht nicht, euch loszulösen. Seid nur gewahr, daß ihr euch nicht loslöst. Wir versuchen nicht, irgendetwas zu machen, wir versuchen nur zu sehen. Wir wollen nur sehen, was wirklich da ist. Und alles, was ich tue, ist, euch anzuleiten, hierhin und hierhin und hierhin zu schauen. Das ist alles. Wie gesagt, wir forschen. Wir gehen nicht notwendigerweise von der Annahme aus, daß es eine bestimmte Antwort gibt oder daß die Antwort auch nur gefunden werden kann. Wir forschen einfach, und bisher habe ich euch nichts verraten.

      Wenn ihr die Totalität auf diese Weise betrachtet, werdet ihr sehen, daß es Muster gibt, die sich nicht zu verändern scheinen. Ihr habt euch immer für dieselbe Person gehalten. Ihr habt euch vielleicht ein wenig verändert - vielleicht mögt ihr jetzt andere Dinge, vielleicht seid ihr jetzt glücklicher, aber im allgemeinen seid ihr dieselben geblieben. Ihr denkt immer noch genauso wie früher. Ihr habt immer noch ähnliche Gefühle, oder ihr reagiert auf Dinge genauso, wie ihr früher auf sie reagiert habt. Persönliche Geschichte hat eine verschwommene Art von Konsistenz und Kontinuität, die uns ein Gefühl von Identität vermittelt. Das Identitätsgefühl ist nichts als ein Etikett, ein Gefühl, das auf einer Sammlung von Erinnerungen beruht.

      Es ist ein bißchen wie ein Film. Wenn ihr euch einen Film anschaut, dann scheint er etwas Kontinuierliches zu sein, aber wenn ihr ihn anhaltet, dann seht ihr, daß es hier ein Bild gibt und ein Bild hier und so weiter. Eure Erinnerungen sind eine Serie von Bildern, genau wie ein Film. Sie sind Bilder, die zusammengesetzt eine Bewegung ergeben, so daß man ein Gefühl von Kontinuität hat, das man für die Definition seiner selbst benutzt. Eure persönliche Geschichte definiert, wer ihr seid, worum es bei euch geht. Eigentlich definiert sie, wie es euch jetzt geht und was ihr tut, wenn ihr mit dieser Untersuchung aufhört.

      Seht ihr, wie schwer es ist, sich davon zu lösen? Ihr könnt euch nicht erlauben zu sagen: „Vielleicht muß ich ja gar nicht durch diese Dinge definiert sein. Vielleicht muß ich gar nicht wissen, wohin ich gehe, wenn ich diesen Raum verlasse.“ Denn dann denkt ihr gleich: „Moment mal. Ich werde total aufgeschmissen sein. Ich verliere mein Gedächtnis und man wird mich ins Krankenhaus bringen und man wird mir Medikamente geben müssen, damit ich mich daran erinnere, wer ich bin. Also halte ich mich besser an meine Erinnerungen, an meine Identität. Jetzt habe ich eine Orientierung. Ich weiß, wer ich bin, und deshalb bin ich sicher.“ Aber wie kann so irgendetwas Neues geschehen? Was immer auch passiert, es ist schon von diesen Dingen vorherbestimmt.

      Vielleicht seid ihr schlau und sagt: „Ich weiß, daß ich das tue, aber ich weiß es zugleich besser. Ich weiß, daß ich nicht wirklich meine persönliche Geschichte bin. Ich erfahre jetzt einen essentiellen Zustand. Er fühlt sich wunderbar an, wie eine Art Liebe. Das bin doch ich, oder?“ Wenn ihr diese Zustände für euch selbst haltet, dann gebt Acht. Seid euch bewußt, wofür ihr euch haltet. Ist dieser essentielle Zustand das, was ihr vor einer Stunde gefühlt habt? Wenn er nicht da war, wer wart ihr damals? Essenz manifestiert sich auf verschiedene Weise. Vor einer Stunde wart ihr vielleicht ein anderer Aspekt. Das Einzige, was ihr wirklich wißt ist, daß ihr euch an eine Erfahrung erinnert, und jetzt ist da eine andere Erfahrung. Was läßt euch denken, daß sie das ist, was ihr seid? In ein paar Augenblicken werdet ihr wieder etwas anderes erfahren.

      Zum Beispiel sagt ihr vielleicht: „Ich bin zur Zeit wirklich unglücklich“ oder „Ich bin wütend“. Was meint ihr? Sind diese Aussagen korrekt? Gibt es ein „Ich“, das diese Dinge fühlt? Ja, euer Körper hat Gefühle und Empfindungen von Unglücklichsein, und euer Kopf (mind) hat Vorstellungen und Assoziationen von Unglücklichsein, aber warum glaubt ihr, daß ihr selbst unglücklich seid? Vielleicht denkt ihr, daß ihr eure Gefühle seid. Seid ihr wirklich wütend oder seid ihr einfach einer Wut im Körper und in eurem Geist (mind) gewahr? Spekuliert nicht, schaut einfach das an, was da ist.

      Wir sehen also, daß ihr zu verschiedenen Zeiten einmal euren Körper, dann ein Gefühl, dann einen essentiellen Aspekt für euch selbst haltet. Euer Identitätsgefühl verändert dauernd sein Etikett. Wofür ihr euch haltet, verändert sich dauernd. Der Inhalt verändert sich, aber ihr sagt immer „ich“, als wäre das „Ich“ ein einziges Ding.

      Ist es möglich, des ganzen Prozesses gewahr zu sein? Ist es möglich, der Tatsache gewahr zu sein, daß ich jetzt mit meinem Körper identifiziert bin, jetzt mit einem Gedanken, jetzt mit einer Erinnerung, jetzt mit meinem Gefühl - des Prozesses der Verschiebung des Festmachens der Identität mal an diesem und mal an jenem gewahr zu sein? Wenn es das ist, was wir tun, warum es dann nicht erforschen?

      Bedeutet das, daß es kein „Ich“ gibt, daß es kein wirkliches Selbst gibt? Ist es nur eine Sache von Identifikation, von Festhalten an einer Sache nach der anderen ohne Kontinuität? Wenn das so ist, dann gibt es kein Selbst, kein Du und kein „Ich“, sondern nur Reihen von Ereignissen, von Sachen, an denen wir uns festmachen, und von Identifikationen. Das könnte die Antwort sein. Aber schauen wir, ob es andere Möglichkeiten gibt. Wir sehen, daß unser Gewahrsein, unser Bewußtsein sich ausdehnen und mehr und mehr umfassen kann.

      Wenn ihr euer Identitätsgefühl an etwas Bestimmtem festmacht – wie macht ihr das? Was geschieht dann wirklich? Wenn ihr das Gefühl habt, der Körper zu sein, dann durchdringt dieses Gefühl. Was tut ihr, das euch dazu bringt zu glauben, ihr selbst wäret der Körper? Warum nicht einfach empfinden, daß da ein Körper ist? Warum sagen „Ich bin mein Körper“? Was geschieht, wenn ihr sagt „Ich sitze und spreche“ statt „Ich bin eines Körpers gewahr, der sitzt und spricht“. Was geschieht da? Und ihr macht dasselbe mit eurer persönlichen Geschichte, mit eurem psychologischen Gefühl von Identität.