Название | Kunst des Lebens, Kunst des Sterbens |
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Автор произведения | Yungdrung Wangden Kreuzer |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867813464 |
Der Mensch, der den Tod verdrängt und dem die Kostbarkeit und Begrenztheit seiner Lebenszeit deshalb nicht bewusst sind, hat meistens die Neigung dahinzuleben, als würde er ewig leben. Der Buddha hat deshalb empfohlen, sich der eigenen Sterblichkeit täglich mehrmals zu erinnern, um den daraus entstehenden Impetus für die Praxis zu nutzen.
Die ruhige, nichturteilende Achtsamkeit auf die »vergänglichen Natur« all unserer Erfahrungen, anicca, in jedem Augenblick neu und frisch, ist die grundlegende Praxis des Vipassana, die uns durch direkte Wahrnehmung aus der konzeptuellen Fantasiewelt eigener Erwartungen und Befürchtungen zurückführt in die Wirklichkeit des ewigen Jetzt. Deshalb sagte der Buddha: »Von allen Spuren ist die des Elefanten die größte. Von allen Achtsamkeitsmeditationen ist die, der Vergänglichkeit gewahr zu sein, die höchste.«
Nach Buddhagosha, dem Verfasser des Vishuddhimagga, des »Pfads der Reinheit«, gibt es nur zwei meditative Praktiken, die jederzeit, überall und in den verschiedensten Situationen der inneren Entfaltung förderlich sind. Diese sind erstens die Kultivierung des unendlichen Wohlwollens für alle Wesen durch den Gedanken »Mögen alle Wesen glücklich sein« und zweitens das Gewahrsein der Vergänglichkeit und die Erinnerung des Todes. Auch wenn dies dem normal weltlichen Empfinden zuwiderläuft, oder besser gerade deswegen, verhilft uns die wache Achtsamkeit auf das, was gerade ist, dazu, in jedem Augenblick präsent und lebendig zu sein und nicht in einer eingebildeten, konzeptuellen Vergangenheit oder Zukunft zu leben.
Wenn wir uns betrachtend und kontemplativ mit Vergänglichkeit sowie mit dem Prozess des Sterbens und dem Postmortem vertraut machen, so tun wir dies mit einer Achtsamkeit, die aller dabei aufsteigenden Emotionen, auch der Angst zu sterben, gewahr ist und können dadurch immer tiefere Schichten des Unbewussten erkunden und belichten. Wir verstehen daraus, dass das Beängstigende eigentlich nicht das Sterben und der Tod ist, sondern die falsche Vorstellung, die wir davon haben. Indem wir uns bewusst in das Szenario des Sterbens versetzen, können wir experimentell die Angst vor Kontrollverlust und vor dem Unbekannten kontaktieren und zulassen und gleichzeitig erfahren, dass der Spiegel unseres Gewahrseins von jeder Erfahrung unverändert bleibt. Wir entdecken unsere Unsterblichkeit, wenn wir unser Sterben und Geborenwerden beobachten. Der tibetische Buddhismus hat die therapeutische Technik der Exposition im Rahmen von Fantasiereisen und kreativer Visualisationen bereits mehr als tausend Jahre vor deren Wiederentdeckung in der modernen Psychotherapie angewandt.
Ein anderes Beispiel hierfür ist die selten geübte, vorbereitende Dzogchen-Übung des »äußeren Ru-shän«, bei der wir uns in einer längeren Klausur imaginativ nacheinander in die Lebens- und Leidenssituationen der Wesen in der Menschenwelt, Götterwelt, Tierwelt, in die der hungrigen Geister und der Wesen in der paranoiden Erlebniswelt der Hölle hineinversetzen. Wir können dabei die karmischen Spuren dieser Erlebnisse aus vielen Reinkarnationen aus unserem Unterbewusstsein nach oben bringen und spontan ausagieren. Diese Erfahrungsspuren sind in feinstofflicher, energetischer Form in unseren Chakras gespeichert.
Indem wir gleichzeitig luzide bleibend erkennen, dass wir wie ein Spiegel von seinen Reflexionen von all diesen Erfahrungen immer frei sind und waren, reinigen wir uns von diesen Spuren durch authentische Selbsterkenntnis, und wir vertiefen gleichzeitig unser Mitgefühl mit allen Wesen der sechs Bereiche.
Es ist der Gedanke an den Tod, der uns an die Kostbarkeit dieses Lebens erinnert und mit Dringlichkeit ermahnt, im gegenwärtigen Augenblick voll bewusst zu leben und zu handeln. Es ist der Gedanke, dass wir morgen bereits tot sein können, der die nach außen gerichteten Triebkräfte des Egos kontrastiert und die Rückwendung auf unser unvergängliches, betrachtendes Gewahrsein inspiriert. Longchenpa rät uns deshalb: »Selbst wenn du nun das, was so schwer zu erlangen ist, nämlich diese menschliche Geburt, endlich gefunden hast – auch dieses Leben wird nicht lange dauern und kann jederzeit plötzlich zu Ende sein. Und weil du dem, was wie eine Luftblase ist, nicht vertrauen kannst – erinnere dich Tag und Nacht an die Gewissheit deines Todes!«
Da wir geneigt sind, den Tod zu verdrängen und die Praxis gern auf morgen verschieben, empfiehlt uns die buddhistische Geistesschulung, jeden Tag mit einem kurzen Resümee der folgenden Punkte zu beginnen. Wenn wir sie präzise drücken, schmerzt es etwas, aber sie versetzen uns in eine realistische Perspektive und frische Geistesgegenwart, die eine gute Grundlage für einen neuen Tag in intensiver, heilsamer Praxis der Achtsamkeit und Luzidität bildet:
Es ist unvermeidlich, dass dieser Körper sterben wird und ich ihn verlassen muss.
Die mir gegebene Lebenszeit wird täglich und stündlich geringer.
Die Zeit, die mir noch zur Selbstentwicklung zur Verfügung steht, ist begrenzt.
Wann meine Todesstunde kommt, ist ungewiss, wo es sein wird und wie und durch was der Tod verursacht wird, ist unsicher. Aber dass er kommt, ist sicher.
Es gibt viele Ursachen, die zum Tod führen können, denn der menschliche Körper ist sehr anfällig und verletzlich.
Nur das, was ich durch die Schulung und Reinigung meines Geistes realisiert habe, kann mir im Tod und im Postmortem helfen.
All mein Geld und Besitz und alle äußeren Mittel und Objekte können mir dann nicht helfen. Im Gegenteil, ich will mich frühzeitig von ihnen lösen, um nicht von meinem Haften daran im Sterben irritiert und herabgezogen zu werden.
Nur unsere Taten folgen uns nach. Deshalb will ich mich heute in der Ansammlung von Weisheit durch Studium und Meditation und in der Ansammlung von Verdiensten durch heilsame Gedanken, Worte und altruistische Handlungen üben.
Freunde und Angehörige können mir in der Todesstunde nicht helfen. In der Gegenwart meines wahren Selbst will ich eute leben und mich unzerstreut und liebevoll auf die unvergängliche Zuflucht, die Quelle des Segens und der Erleuchtung, den »Herrn des großen Mitgefühls« ausrichten.
»In deine Hände lege ich meinen Geist« – das sei mein letzter, liebevoller Gedanke im Augenblick des Todes; und mit der letzten Ausatmung will ich in seiner Gegenwart sein und aus dem Traum dieses und aller anderen Leben endgültig erwachen!
So oder ähnlich sind die heilsamen, ernüchternden Betrachtungen, die uns von der prekären Anhaftung an vergängliche Erfahrung heilen und unserem Streben nach Selbsterkenntnis und bleibendem Glück die Richtung weisen können.
Eine klare, vor dem Tod schon kultivierte Richtung, wohin wir nach diesem Leben gehen wollen, ist wichtig. Anderenfalls sind wir wie Reisende auf einem Bahnhof, die vergessen haben, wohin sie fahren wollten. Sie werden folglich einem spontanen Einfall oder der Anregung eines Mitreisenden, sprich, sie werden ihren früheren Prägungen folgen, genau wie in einem nichtluziden Traum.
Longchen Rabjam lädt uns ein, nachdem er die idealen Umstände einer Eremitage inmitten der Natur beschrieben hat, wo unser Geist zur Ruhe kommen kann, zunächst die Wandlungen in unserer Umgebung zu beobachten und Anlass für weitere Realisationen der Vergänglichkeit werden zu lassen. Er schreibt: »Nachdem du dir deinen Sitz bereitet, ihn eingenommen hast und zur Ruhe gekommen bist, beobachte das Knospen, Blühen, Reifen, Welken, das Herabfallen und die Auflösung der Blätter der Bäume um dich herum, und realisiere, dass auch dein Körper, deine Jugend, die Sinne und alles Erworbene sich ständig ändern und hinfällig sind. Wie die Blätter sich trennen vom Baum, so werden auch deine Freunde, Feinde und dein Körper und alles, woran du hängst, unaufhaltsam von dir abfallen und verloren gehen. Siehst du ausgetrocknete Lotosteiche, so realisiere, dass alle Objekte des Begehrens, dass Reichtum und Wohlstand sich wandeln und alles, was angesammelt wurde, wieder zerstreut wird. Die Stunden, Tage, Monate und Jahreszeiten vergehen ohne Halt, und wie diese Frühlingsblumen, so vergeht auch dein blühender Körper. Ihre jugendliche Erscheinung verwelkt, und der Herr des Todes kommt bestimmt. Und so, wie reife Früchte herabfallen, so sterben Junge und Alte, wenn ihre Zeit gekommen ist. Der Zeitpunkt des Todes ist nicht sicher, doch sicher ist es, dass alles, was geboren wurde, sterben muss. Siehst du die Spiegelungen der Dinge auf einer ruhigen Wasserfläche, so realisiere, dass alle Phänomene