Euch aufgesetzt. Peter Schwarz

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Название Euch aufgesetzt
Автор произведения Peter Schwarz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991076735



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Zahnärzte gab, war seine Praxis immer pump voll. Kein Wunder bei einem Umfeld, das sich nicht um Raum und Zeit, Tag und Nacht, Anfang und Ende scherte. Kompromisse eingehen, hieß nicht selten die These zu sein, die durch die Antithese zu etwas Synthetischem wird. Ja, wer konnte schon ahnen, in welche Richtung die ganze synthetische Welt steuerte. Alles voller Plastik und anderen auf Erdöl basierenden Stoffen. Es war ein Kompromiss, dass ich seit Jahren Olanzapin nahm. Man probierte schon alles Mögliche an mir aus, als wäre ich ein lebendes Reagenzglas. Levomepromazin, Haloperidol und anderes Zeug. Doch das Schlimmste war Amilsulprid. Ich erinnere mich noch, als ich bei meiner ersten Einweisung Amilsulprid bekam. 2 Monate schlief ich nicht mal 20 % der Nacht oder konnte zumindest nicht empfinden zu schlafen. Es ging mir so elend, wie noch nie zuvor, doch vor lauter Benzodiazepinen grinste ich ununterbrochen, was offensichtlich einen guten Eindruck machte. Ich wurde entlassen und setzte schlagartig wieder alles ab, was zu sehr real erscheinenden Halluzinationen führte. So ging es noch einige Jahre weiter. Einweisung, Entlassung, Psychose und das fünfmal. Und die Jahre vergingen. Als ich mich schließlich damit abfand, war ich auch „krankheitseinsichtig“. Ob ich je vor meiner ersten „Behandlung“ wirklich krank war, daran konnte ich mich nicht erinnern. Um mir meine Seele wieder zu holen, brauchte ich Geduld. Morgen in der Arbeit würde ich auf andere Gedanken kommen. Ich legte mich hin und wartete bis 20 Uhr, nahm meine Tabletten und wurde müde, todmüde. Des Todes müde.

      3.

      Der Wecker meines antiken Handys klingelte, und weckte mich aus einem ohnehin unangenehmen und konfusen Traum. Es war halb 7, um halb 8 war Schichtbeginn. Mit kaltem Wasser bereitete ich mir einen Löskaffee zu. Ich wartete, meinen bitteren, kalten Kaffee trinkend und versuchte, wach zu werden, doch das gelang mir nicht so recht. Dann zog ich mich an, und machte mich auf den Weg ins Industriegebiet, das im Süden der Stadt lag. In letzter Zeit steckte ich mir wieder die Ohrenstöpsel meines 1 GB-MP3-Players in die Ohren, wenn ich zur Arbeit ging. Ich hörte ein älteres Lied, denn die Texte in der Musik von heutzutage ergaben selten Sinn. Doch diese zwei Sätze, die gleich zu Beginn des Liedes kamen, sagten mir mehr als tausend Worte und ich summte es mit: „Some people tell me that I need help? Some people can fuck off and go to hell!“. Ich war noch so schläfrig und in Gedanken versunken, dass ich mit meinem gesenkten, leeren Kopf unversehens an einer Straßenlaterne anstieß. Ein Polizist sah mich skeptisch an und eine Gruppe Schüler lachte mich aus. Ich zog die Ohrenstöpsel raus und wurde allmählich wach. Die Morgenluft roch anders als gestern, der Himmel war diesig und babyblau, der Verkehr laut. Früher gab es Dinosaurier, heute gibt es LKWs. Ich erreichte meinen Arbeitsplatz pünktlich. Es war eine Schuhlagerhalle. Die Kollegen standen vor der Tür und aßen ihr Frühstück und tranken dazu ihr Big Black Bull. Ich ging rein und meldete mich beim Chef. Dann drückte ich mir beim Automaten einen heißen Blutorangentee raus, schlürfte ihn langsam und wartete auf den Signalton. Als dieser dann ertönte ging’s los. Ein Lastwagen stand schon in der Ladezone, mit einer Lieferung aus Russland. Der Fahrer überreichte einem Kollegen den Lieferschein. Es waren Kartons, um die zehn Kilo schwer, in denen sich Turnschuhe in verschiedenen Größen befanden. Die Kartons mussten entladen, geöffnet und entsorgt werden. Die in ihnen enthaltenen Schuhschachteln mussten eingescannt und im Lager an ihren Plätzen einsortiert werden. Die Mitarbeiter waren geschwätzig und redeten über Gott und die Welt. Manchmal quatschten sie auch mich voll. Aus einem Minimum an Höflichkeit heraus erwiderte ich immer mit einem „Aha“, „M-Hm“ und „Weiß nicht“ ihr unaufhörliches Gerede, aber das war schon reine Routine. Einer namens Daniel fragte mich: „Hey Lexe, was heißt Lagerregal auf rückwärts?“ „Ich habe gerade anderes zu tun, als mir den Kopf über sowas zu zerbrechen, laber mich nicht immer so voll.“ „Na, ist doch ganz einfach! Lagerregal!“ Er fand das so lustig, dass er lachen musste und erzählte diesen „Witz“ im Laufe des Tages allen anderen. „So glücklich wie der werde ich wohl nie sein.“ sagte ich mir. In der Mittagspause lechzten die Arbeiter schon nach ihren Zigaretten und rauchten sie die volle halbe Stunde eine nach der anderen. Danach ertönte das Signal, und sie kippten ihre Big Black Bull auf Ex runter. Es war nicht mehr viel zu tun, und so wurde ich eingeteilt, die Böden zu kehren. Ein bekannter Blondinenwitz fiel mir dabei ein: „Was macht eine Blondine mit einem Besen in der Wüste?“ Ich kehrte und kehrte bis es halb 5 war. Feierabend. Ich trat aus dem Zwielicht der Neonröhren, die das einzige Licht in der Lagerhalle waren – keine Ahnung warum es keine Fenster gab – und kam ins Freie, wo die Sonne tröstlich schien, bis sie von ein paar Flugzeugen verschleiert wurde. Alles hinter mir lassend, ging ich schnellen Fußes nach Hause. Wohnungstür auf, Wohnungstür zu, abgesperrt, ab auf’s Sofa und einmal tief durchgeatmet. Als ich erstmal wieder richtig angekommen war, schien mir der ganze Arbeitstag wie ein Traum. Ernsthaft, er war nicht echt. Im Hier und Jetzt lag ich auf meiner Couch, davor war ich woanders. Ich lebte in drei verschiedenen Welten: Schicht, Feierabend, Schlafenszeit. Mit künstlich durcheinandergebrachten Botenstoff-Werten bemüht man sich umso härter normal zu sein. These plus Antithese gleich Synthese, das war meine künstliche Welt. „ Was soll’s“, dachte ich, und schaltete das erste Mal seit Wochen resigniert den Fernseher ein. Es lief eine Kochsendung, Pornographie für den Gaumen. Er zerhackte Petersilie und Knoblauch, briet Zwiebeln, und kochte Kartoffeln als Beilage. Dann schmeckte er die Soße ab. Er gab auch der fotogenen, blonden Dame neben sich eine Kostprobe. Es sah wirklich appetitlich aus. Dann zog er einen Kochtopf hervor, den er schon einmal vorbereitet hatte, und kramte sonderbares Fleisch daraus hervor. Er garnierte alles mit Petersilie, Knoblauch und gebratenen Zwiebeln und sagte „Voilá! So macht man die besten Stierhoden. Wir wünschen ihnen noch gutes Gelingen und einen guten Appetit.“ Ich schaltete schnell um. Auf Vida-Musica sah ich mir ein Lied an und zappte weiter. Bei Family-Dude blieb ich hängen „So wie damals als ich John F. Kennedy erschossen habe“. Ich schaltete aus, und mein alter Röhrenbildschirm blitzte auf, bevor er schwarz wurde. Jeder Tag war gleich und das schon seit Jahren. „Hätte ich nicht immer diese vermaledeiten Substanzen in mir“, so dachte ich, „hätte ich sicher einen ganz anderen Aussichtspunkt.“ Wie sollte ein noch so erfinderischer Chemiker einen Stoff entwickeln, der eine Lösung auf Probleme wäre, die so alt sind wie das Leben selbst? Die kurze Unterbrechung dieses immer gleichen vertrottelten Trotts am Samstag war vorüber, und sie blieb mir nicht mit ihrem Duft und Sinn in meiner Erinnerung, genauso wenig wie so vieles andere auch. Wie könnte ich bloß mein Umfeld davon in Kenntnis setzen, dass ich von ihm abgeschnitten war? Ich war hier drüben! Ich überlegte ernsthaft ein Buch zu schreiben. Oder wäre es nicht angebrachter einen Stoff zu entwickeln, der sie dessen, was sie Realität nennen, so beraubt wie ich es war, und erst recht sein würde, wenn in meinem Gehirn zu wenig von seinem Ersatztreibstoff wäre? Aber es endete damit, dass ich Stift und Papier nahm und versuchte zu schreiben wie ich mich fühlte, in Form eines Gedichtes:

      Ein hartes Los, ein karges Brot

      Der Staat nennt mich ein’ Chaot

      Es fragt sich bloß, was war denn los

      Wieso ist mein Schaden so groß?

      Die Fabrikanten von Koks

      behandeln ihre Sklaven so grob,

      genau wie die eures Gewands

      und eures Smartphones bis in den Tod

      ihr braven Schafe werdet gelobt

      und sagt, ich wär ein Idiot.

      Jeden Tag ertrag ich eure Farce

      und den Wahn der in mir so tobt.

      Fragt noch einmal Wieso

      Ich sag euch fragt noch einmal Wieso …

      Es hatte keinen Sinn. Ich zerknüllte das Papier und schmiss es in den Papierkorb. Von wegen Neuroleptika machten nicht abhängig. Es ist die totale Umprogrammierung der Seele, allein schon weil man zu der Überzeugung kam, dass diese im Körper und nicht der Körper in ihr wohnen musste. Die ganze Erlebniswelt ist eine andere und nur wenn man versuchte, sich die Symptome die man am Anfang von ihnen bekam, in Erinnerung zu rufen, dämmerte es einem was sie wirklich aus der Identität machten. Rätsel über Rätsel und kaum erriet man sie, vergaß man sie gleich wieder wie die Zeit im Schlafe. Während ich so nachdachte, fiel mir ein, dass ich noch meine gesamte Urlaubszeit nutzen konnte. Morgen, beschloss ich, würde ich Urlaub beantragen. Vielleicht würde ich beim gemütlichen Beisammensein