Название | Euch aufgesetzt |
---|---|
Автор произведения | Peter Schwarz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991076735 |
„Ach, was du nicht sagst, und worum geht es denn dann dabei?“
Igor grübelte einen Augenblick.
„Es geht … Es geht darum andere und sich, besser zu verstehen. Sie will ja auch nicht im Irrenhaus arbeiten, sondern Gesprächstherapeutin mit eigener Praxis werden. Sie hat ja gute Voraussetzungen dafür.“
Andi verkniff sich seine Antwort: „Ja, reiche Eltern und einen Dachschaden.“ Er hatte wieder seinen undeutbaren Gesichtsausdruck aufgesetzt und kippte seinen Wodka herunter. Man sagt Österreich sei ein Land glücklicher Alkoholiker. Ich schenkte mir das zweite Glas Most ein. Igor und Andi unterhielten sich über Fußball. Schade, dass ich mich dafür nie begeistert habe. Andi machte mit seinem Wissen über Fußball rund 30 % Gewinn beim Wetten. Aber für ihn war es auch schon ohne Einsatz immer spannend gewesen. Ich trank mein Glas aus, ging auf den Balkon und zündete mir eine weitere Apache an. Auf den Packungen waren seit einem Jahr diese Schockbilder drauf, die das Sammlerherz höher schlagen ließen. Seitdem stand dort auch keine Anmerkung mehr darüber, dass diese Zigaretten Zusatzstoff-frei wären. Was in Zigaretten alles drin ist, steht sowieso nicht auf der Packung. Aber was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Andi kam mit rotem Gesicht raus, und zündete sich solidarisch eine R.I.P an. „Weißt du gar nicht, was du da für ein Gift rauchst?“ „Man soll sein Leben in vollen Zügen genießen.“ „In vollen Zügen ist gottseidank Rauchverbot. Allein schon wie die Dinger aussehen. Schwarz angemalt. Igitt!“ „Jedem das seine“, sagte er, während er an irgendwas anderes dachte. Mein Handy läutete. Es war meine Mutter.
„Hallo Mama, was gibt’s?“ „Hallo Alex! Wollt nur mal hören, wie’s dir geht.“ „Ich bin gerade bei einem Freund zu Besuch, es geht mir einigermaßen gut.“
„Das freut mich zu hören. Freut mich, dass du vernünftige Freunde und endlich wieder eine Arbeit hast und vor allem, dass du deine Medikamente nimmst.“ „Ja.“ „Und wie geht’s dir in der Arbeit?“ „Ganz gut.“ „Isst du denn auch wohl immer gesund? Wer hart arbeitet, muss sich auch gut ernähren.“ „Ja, mach dir da keine Gedanken, ich ernähr’ mich gesund.“ „Und du trinkst auch wohl nicht zu viel mit deinen Freunden?“ „Nein nein … du, Mama, ich will jetzt nicht allzu lang telefonieren. Gibt’s sonst noch irgendwas?“ „Nein wollt nur mal von dir hören.“ „Also dann, tschüs!“
„Alles Gute, tschüs!“
Meine Mutter rief mich selten an, ich sie noch seltener. Je wichtiger mir Menschen waren, desto kürzer hielt ich die Telefonate mit ihnen, warum ist eine psychologische Frage, aber wozu gibt es schließlich Psychologen. Wieder auf Igors Couch schenkte ich mir das dritte und vierte und fünfte Glas ein. „Wird wohl nichts mit den Tabletten heute“, dachte ich. Natürlich hatte ich, ohne es mir einzugestehen, ohnehin den ganzen Tag geplant, dass ich sie heute nicht nehmen würde. Es wurde 20 Uhr und ich schenkte mir das sechste Glas ein. Die warme Heiterkeit hatte sich schon längst in Melancholie gewandelt. Wir saßen schweigend auf der Couch und tranken immer langsamer. „Zeit für etwas passende Musik“, meinte Igor. Und er legte eine Schallplatte in den Plattenspieler. Es war die Mondscheinsonate. Immer noch besser als die schöne neue Weltmusik, die sie immer im Radio spielten. Ich nickte ein. Ich schlief mit einer vom Alkohol und Zigaretten zwar getrübten, aber dennoch authentischeren Frische als sonst.
2.
Sonntagmorgen. Andi und Igor schnarchten vor sich hin. Der Schallplattenspieler war auf Repeat geschaltet und so wachte ich pünktlich zu einem weiteren Beginn der Mondscheinsonate auf.
Draußen regnete es. Ich stand auf, schaltete die Musik ab, ging auf den Balkon und zündete mir eine Zigarette an. Ich blickte noch einmal den Abgrund, der sich vorm Balkon auftat, hinunter, riss meinen Blick weg und setzte mich hin. Freitage waren besser als Sonntage. Ich musste mich an diesem Tag schonen, wollte ich montagmorgens fit sein. Ich war seltsamerweise gar nicht richtig verkatert, aber fühlte mich, wie wohl ein Astronaut sich fühlen musste, wenn er nach einiger Zeit in Schwerelosigkeit wieder auf der Erde war. Ich fühlte mich echter. Wenn auch der Alkohol trügerisch war, so war er immerhin doch noch ehrlicher als die meisten Neuroleptika, welche nur bewirken, dass der Botenstoffwechsel im Körper „reguliert“ wird. Das eigene Leben wird immer dickflüssiger, bis es irgendwann ausgehärtet ist und man den Glückseligen nur noch eine gute Reise durch den Fluss des Lebens wünschen kann, auf dessen Grund man selbst wie ein Stein sinkt und ertrinkt. Ich dachte über den Tod nach und über die Art meiner Bestattung. Hoffentlich würde man mich, wie ich es mir wünschte, im Mariannengraben versenken. Keinesfalls verbrennen oder verscharren. Sondern mich dem weiten, tiefen, reinen Ozean übergeben. Aber vermutlich spielte das dann auch keine Rolle mehr. Tot ist tot. Ich erinnere mich nicht was davor war, wie sollte ich mir vorstellen was danach kommen würde. Ich drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Als ich wieder reinkam, öffnete Andi die Augen. „Au, mein Kopf.“ „Dein Kopf würd’ mir auch wehtun“, sagte Igor mit noch geschlossenen Augen daliegend. „Und, gut geschlafen, schön geträumt?“, fragte ich. „Ja“, sagte Andi. „Von einer überdimensionalen Super-Mario-Figur, die zu krächzendem Gameboy-Gedudel auf und ab sprang.“ „Da kenn ich schlimmeres“, meinte ich. Igor raffte sich auf und streckte sich. „Uahrg, Morgen miteinander. Ist noch Wodka da?“ „Gerade noch genug gegen die Kopfschmerzen“, sagte Andi und schenkte sich reichlich ein. Mein Apfelmost war aufgebraucht, aber das war auch gut so. Ich hätte mich gerne noch weiter gehen lassen, aber ich beschloss mich auf den Heimweg zu machen. Ich verabschiedete mich. Igor bot mir an, mich nachhause zu fahren, aber ich lehnte ab, nicht zuletzt weil ich Bewegung brauchte. Ich polterte die Treppen runter und eine alte Stimme rief laut: „Ruhe!“. Aber da war ich sowieso fast schon unten. Ich setzte meine Kapuze auf und ging Richtung Bahnhof, hinter dem meine Wohnung auf mich wartete. Für einen Sonntag war auffällig viel Verkehr, vermutlich ist man aus dem ganzen Land hergekommen, um das Konzert irgend so einer neuen Boyband zu besuchen. Wie hießen die noch gleich? Ich sah mich am Weg nach ihren Plakaten um. Aber sah nichts was mir mehr ins Auge stach als eine McRonalds-Werbung mit einem Huhn und der Aufschrift „Bock, Bock, Bock drauf!“. Mir knurrte der Magen und ich legte einen Zahn zu, um mir endlich Zuhause etwas kochen zu können. Die Wolken verdichteten sich und der Regen wurde heftiger, um mich kurz vor meiner Ankunft nochmal richtig zu durchnässen. Ich sperrte die Wohnungstür auf, schloss sie hinter mir und zog mir frisches Gewand an. Ich briet mir Garnelen in Olivenöl und würzte sie mit Knoblauchgranulat. Das Essen schmeckte mir gut und gab mir wieder Energie. Ich fühlte mich lebendig, allzu lebendig. Es war seltsam sein inneres Gesicht wieder zu sehen und mit einem Blick in den Spiegel festzustellen, dass dessen Abglanz nur eine Belanglosigkeit war. Plötzlich spielte das Archiv sorgsam eingeteilter Verhaltensmuster, Sorgen und Kalküle zwischenmenschlicher Belange eine immer geringere Rolle und zum Vorschein kam das, was man gemeinhin als Seele bezeichnet. Das Eis begann langsam zu tauen und floss Richtung Ozean. Die Ketten im Kopf lösten sich. Konnte es wirklich sein, dass ich 2 Jahre lang alles Wesentliche ignoriert hatte? Doch ich hatte keine Wahl, genau so wenig wie ich Macht über die Gesichte und Gesichter, Eindrücke und Erinnerungen hatte, die in langen Warteschlangen vor meinem Kopf auf Einlass warteten. Seelenfragmente, die ich erbarmungslos ausgesperrt und Druck, den ich eingesperrt hatte, gerieten aneinander. Ein Leben lang zu vergessen, nur um kompatibel zu sein und am Ende ein sinnentleertes Leben in einem Pflegeheim? Nein, auf diese Art nicht. Ich nahm die Nagelfeile, die mir meine Mutter geschenkt hatte und die bisher nur nutzlos herumgelegen war und feilte an einer meiner Tabletten ein Stück weg. Dann nahm ich ein Lineal. Genau ein Millimeter weniger. Würde man sie so schnell absetzen, wie die Ärzte es in nicht seltenen Fällen taten, würden einem starke Halluzinationen und Dyskinesien nicht erspart bleiben. Deswegen war ich vorsichtig. Denn es würde heißen, dass man mich vor mir selbst schützen müsste und mir wäre nicht anders zu helfen, als mich wegzusperren. Sie hatten schon immer die Falschen als minderwertig bezeichnet, sie von der Gesellschaft abgesondert oder sogar kastriert, in der Hoffnung ihr makelloses Volk zu züchten. Für sie war ich nur ein nutzloser Esser. Doch diesmal würden sie mich nicht kriegen. Ein Millimeter weniger pro Monat und es musste einfach funktionieren. Aber eins nach dem anderen, mit zu viel Träumerei fing bei mir immer jedes so tückische Pathos an, mit dem ich meinem Psychiater besser nicht vor die Augen