Название | Die ganze Geschichte |
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Автор произведения | Yanis Varoufakis |
Жанр | Зарубежная деловая литература |
Серия | |
Издательство | Зарубежная деловая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956142185 |
Ich nannte Thomas Mayer zwei Gründe, warum ich eine Parallelwährung nicht unterstützte. Erstens: »Parteien und Interessen, die gegen uns sind, erzeugen bereits ein Klima des Terrors, indem sie behaupten, wir hätten eine heimliche Agenda, Griechenland aus dem Euro zu führen, die Ersparnisse des Volks zu plündern und Griechenland zu einem zweiten Argentinien zu machen. Der Propagandawert Ihres Vorschlags für unsere Gegner wäre unermesslich.« Zweitens bestand keine Notwendigkeit dafür, weil das parallele Zahlungssystem, an dem ich arbeitete, uns die nötige Flexibilität bringen würde.
Monate später ging mir auf, dass Deutschlands Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble die beiden Vorschläge – Kapitalverkehrskontrollen und eine Parallelwährung – gegen mich verwenden würde. Die rasche Entscheidung, die Waffen des Feindes abzulehnen, war also richtig gewesen. Trotzdem wurde mir bald nach meinem Rücktritt als Finanzminister im Juli 2015 vorgeworfen, ich hätte teuflische Pläne geschmiedet, beides einzuführen!
So ist das Leben in Bailoutistan.
Maßvolle Sturheit
Als der Wahltag näher rückte, mussten wir unbedingt zwei Signale an Mario Draghi und die übrigen Verantwortlichen von EU und IWF aussenden, ein Zeichen der Mäßigung und ein Zeichen, dass wir es ernst meinten: Ihr könnt mir glauben, dass ich eine Umschuldung vorschlage, die substanziell ist und klug zugleich, die Griechenland eine Chance gibt, aber nicht gegen die Regeln der EZB verstößt und, ganz wichtig, die Angela Merkel nervösen Bundestagsabgeordneten als ihre eigene wunderbare Idee präsentieren kann. Aber täuscht euch nicht: Selbst wenn ihr Griechenlands Banken zusperrt, wird uns das nicht zurück in unser Gefängnis treiben.
Am 17. Januar 2015, eine Woche vor der Wahl, gab ich in meiner offiziellen Eigenschaft als Abgeordnetenkandidat für den Großraum Athen eine Presseerklärung heraus, in der ich meine Vorschläge für eine Umstrukturierung der griechischen Schulden skizzierte. Zuerst sollten wir sie in vier große Tranchen aufteilen:
1. Geld, das Griechenland der EZB in Form der 2010/2011 erworbenen Anleihen schuldete (die sogenannten SMP-Anleihen, die 2012 einen Haircut um 90 Prozent erlitten hätten, wenn die EZB sie nicht aufgekauft hätte);20
2. die größte Tranche (60 Prozent der Gesamtsumme), die wir dem Rest Europas aus den beiden Rettungspaketen schuldeten;
3. eine kleinere Tranche, die wir dem IWF schuldeten (rund 10 Prozent des Schuldenbergs);
4. Geld, das wir nach dem Haircut von 2012 immer noch privaten Investoren schuldeten (rund 15 Prozent der Gesamtsumme).
Und Folgendes schlug ich für die vier Tranchen vor: Unsere Schulden gegenüber dem IWF (3) und gegenüber privaten Investoren (4) sollten vollständig beglichen werden. Letztere waren zu gering, als dass es sich lohnen würde, Hedgefonds gegen uns aufzubringen; das könnte sich zu einem internationalen Konflikt ähnlich wie in Argentinien auswachsen, mit nur geringem potenziellen Nutzen. Abgesehen davon hatten sie einen Schuldenschnitt von 90 Prozent der Summe, die wir ihnen 2012 schuldeten, bereits geschluckt. Der IWF hatte Brüssel und Berlin geholfen, Griechenland in die Schuldknechtschaft zu zwingen, indem er wissentlich falsche Vorhersagen verbreitete. Trotzdem wollten wir die Vereinigten Staaten nicht auch noch verärgern (die den IWF als ihr Eigentum ansehen), wo wir es schon mit Berlin zu tun hatten. Außerdem würde ein Haircut bei den Krediten des IWF auch nicht-europäische Länder wie Malaysia und Japan treffen, die mit Europas internen Querelen nichts zu tun hatten und vielleicht unserer Regierung ein offenes Ohr schenken würden.
Das Geld, das wir der EZB schuldeten (1), das Trichet-Vermächtnis, wie ich es nach dem damaligen Präsidenten der EZB nannte, der die SMP-Anleihen gekauft hatte, war eine absurde Schuld. Wir schuldeten es nur, weil die EZB den Fehler gemacht hatte, nach Griechenlands Insolvenz griechische Staatsanleihen zu rund 70 Prozent ihres Nennwerts zu kaufen, während ihr Marktwert bei nicht viel mehr als 10 Prozent gelegen hatte. Seit damals waren wir in dem jämmerlichen Ritual gefangen, das in Kapitel 3 ausführlich beschrieben wurde (siehe »Erfolgsgeschichte«), dass wir uns von der EZB Geld liehen, um damit der EZB diese Anleihen zurückzuzahlen, und gleichzeitig behaupteten, das nicht zu tun. Dieser Schwindel musste aufhören.
In einem rationalen Europa wäre diese absurde Schuld einfach abgeschrieben worden. Doch leider erlaubt die Satzung der EZB das nicht. Um der Satzung Genüge zu tun, orientierte ich mich am Vorbild des britischen Schatzamts. Die britische Regierung praktizierte schon lange das Verfahren, unbefristete oder ewige Anleihen auszugeben. Sie bringen Zinsen, aber die Regierung kann entscheiden, wann sie die Kreditsumme zurückzahlt und ob sie sie überhaupt zurückzahlt. Ewige Anleihen, die während der Südseeblase in den 1720er-Jahren ausgegeben wurden oder später von Neville Chamberlain und Winston Churchill während und kurz nach dem Ersten Weltkrieg, hat das britische Schatzamt erst Ende 2014 und Anfang 2015 zurückgezahlt. Ich schlug vor, dass unsere Regierung neue ewige Anleihen ausgeben sollte mit dem gleichen Nennwert wie die Anleihen im Besitz der EZB; sie sollten geringe Zinsen abwerfen, aber kein Fälligkeitsdatum besitzen. Diese Anleihen könnten gegen die Anleihen der EZB getauscht werden und würden dann sauber und ordentlich für alle Zeiten in den Büchern der EZB stehen und ein wenig Zinsen abwerfen. Mario Draghi könnte so seine Satzung einhalten, denn die griechischen Schulden würden nie komplett oder auch nur teilweise abgeschrieben werden.
Schließlich schlug ich für die größte Tranche der Schulden (2), die aus den zwei Rettungspaketen stammten und deren Gläubiger Europas Steuerzahler waren, eine andere Art von Tauschgeschäft vor. Bestehende Schulden gegenüber dem europäischen Rettungsfonds sollten gegen neue griechische Staatsanleihen mit dreißigjähriger Laufzeit eingetauscht werden, die ebenfalls den gleichen Nominalwert haben würden (deshalb handelte es sich formell nicht um einen Haircut), aber mit zwei Bedingungen verbunden wären: Erstens würden die jährlichen Zahlungen so lange ausgesetzt bleiben, bis die Wirtschaftsleistung sich über einen bestimmten Schwellenwert erholt hätte. Zweitens sollte der Zinssatz an die Wachstumsrate der griechischen Volkswirtschaft gekoppelt werden. Auf diese Weise würden unsere Gläubiger Partner bei der Erholung Griechenlands werden und hätten ein Interesse daran, dass der Kuchen, aus dem sie ihr Geld zurückerhalten würden, größer wurde.
Diese Vorschläge für einen Schuldentausch, die ich vor den Wahlen vorlegte, sollten die Grundlage meines Verhandlungsangebots an Griechenlands Gläubiger sein, wenn ich im Amt wäre. Sie waren maßvoll und für die Gläubiger politisch verlockend, weil sie keinen richtigen Schuldenschnitt beinhalteten. Sie signalisierten der Öffentlichkeit und potenziellen Investoren, dass die EU eine neue Rolle annahm: Sie war nicht länger der unnachgiebige Gläubiger eines insolventen Staates, sondern würde ein Partner bei Griechenlands Wachstum werden, weil ihre Renditen proportional zu Griechenlands BIP steigen würden. Die Vorschläge würden einen Strom neuer Investitionen nach Griechenland lenken, wo die Investitionen beinahe versiegt waren. Sie würden die griechische Rezession beenden, und dabei würde es nur Gewinner geben, mit Ausnahme der Kakerlaken, die sich in dem Schmutz tummelten, den das lange Elend verursacht hatte.
Kein Vertreter von EU oder IWF formulierte jemals Kritik an der Logik dieser Vorschläge. Wie hätten sie das auch können? Der CEO einer der größten amerikanischen Investmentbanken kommentierte sie so: »Sie bieten ihnen einen Deal an, der von einem auf Insolvenzrecht spezialisierten Anwalt von der Wall Street hätte kommen können.« Ganz genau. Es musste erst eine radikal linke Regierung in Griechenland gewählt werden, damit Athen in Brüssel, Frankfurt und Berlin maßvolle Schuldenvorschläge vorlegte – ein Indiz für den organisierten Wahnsinn, in den die Europäische Union nach Beginn der Eurokrise versunken war.
Doch damals, im Januar 2015, glaubte ich keinen Augenblick, dass die unbestreitbare Logik und offensichtliche Mäßigung meiner Vorschläge die Gläubiger überzeugen würde. Wie ich Alexis