Die ganze Geschichte. Yanis Varoufakis

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Название Die ganze Geschichte
Автор произведения Yanis Varoufakis
Жанр Зарубежная деловая литература
Серия
Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783956142185



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schaltete sich ein: »Dragasakis wird als stellvertretender Ministerpräsident die drei Wirtschaftsressorts kontrollieren.« Damit meinte er das Finanzministerium, das Wirtschaftsministerium und ein neues Ministerium für Produktiven Wiederaufbau.8

      Das veränderte alles. Die vorgeschlagene Kabinettsstruktur war vernünftig. Der einzige Grund, Alexis’ Angebot jetzt abzulehnen, wären Zweifel an den wahren Absichten von ihm und Dragasakis, an ihrem Format und Charakter. Es wäre, gelinde gesagt, merkwürdig gewesen, derart fundamentale Bedenken direkt vorzubringen. Stattdessen sprach ich eine andere prinzipielle Frage an.

      »Wie du weißt, habe ich erhebliche Vorbehalte gegen das Programm von Thessaloniki. Tatsächlich kann ich ihm kaum etwas abgewinnen, und da ihr es dem griechischen Volk als euer wirtschaftliches Versprechen präsentiert habt, sehe ich beim besten Willen nicht, wie ich als Finanzminister die Verantwortung für seine Umsetzung übernehmen könnte.«

      Erwartungsgemäß schaltete sich Pappas an der Stelle ein und wiederholte, das Programm von Thessaloniki sei für mich nicht bindend. »Du bist nicht einmal Mitglied von Syriza.«

      »Aber wird man nicht erwarten, dass ich als Finanzminister Mitglied werde?«

      Alexis hatte die Antwort offensichtlich schon vorbereitet: »Nein, auf keinen Fall. Ich will nicht, dass du Mitglied von Syriza wirst. Du sollst unbelastet von den verworrenen kollektiven Entscheidungsprozessen in unserer Partei bleiben.«

      In meinem Kopf schrillten mehrere Alarmglocken. Alexis’ Argument war vernünftig, barg aber enorme Risiken. Auf der einen Seite würde es mir wertvolle Freiheit verschaffen, wenn ich halbwegs unabhängig von Syriza agieren konnte, einer Partei, deren mehr als dünne wirtschaftspolitische Strategie ich seit Jahren kritisierte. Alexis konnte dann bei all meinen Entscheidungen, die der Parteilinie zuwiderliefen, auf die Tatsache verweisen, dass ich nicht an die Parteilinie gebunden war. Aber das konnte jederzeit als Vorwurf auf mich zurückfallen, und dann hätte ich die Partei gegen mich, deren Unterstützung ich im Kampf gegen die Troika und die griechische Oligarchie doch dringend brauchen würde. Auch diese Sorge konnte ich nicht mit ihnen teilen.

      Der Druck, mich zu entscheiden, wuchs, doch ich musste sicher sein: Waren wir uns über Ziele und Mittel wirklich einig? Wenn nicht, wäre mein Leben herrlich unkompliziert geblieben.

      »Schauen wir, ob wir uns über Grundlegendes einigen können, bevor wir über meine Rolle in einer Syriza-Regierung sprechen«, schlug ich vor.

      Ich beabsichtigte, ihnen eine aktualisierte, feste, klar umrissene Version der Fünf-Punkte-Strategie vorzulegen, die ich Alexis 2012 präsentiert hatte und die dann so schmählich abgelehnt worden war.9

      Der Pakt

      Ganz oben auf der Agenda müsse eine echte Umschuldung stehen.10 Wir müssten darin übereinstimmen, dass dies das A und O einer Syriza-Regierung sein würde. Griechenland aus dem Schuldgefängnis herauszuholen sei sehr viel wichtiger, als Privatisierungen zu verhindern und andere Ziele auf der Agenda von Syriza. Sie stimmten zu.

      Mit einer Umschuldung könnten wir endlich die Spirale aus Austerität und Deflation durchbrechen und einen kleinen Haushaltsüberschuss anstreben – ich nannte als Zielmarke höchstens 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das würde massive Kürzungen bei der Mehrwertsteuer und der Körperschaftssteuer bedeuten, um den privaten Sektor umzustrukturieren.

      »Warum sollten Unternehmen weniger bezahlen?«, protestierte Alexis.

      Ich erklärte, dass meiner Ansicht nach der private Sektor insgesamt mehr Steuern zahlen sollte, dass sich das aber in einer Zeit, in der die Unternehmen praktisch keine Umsätze machten und die bankrotten Banken selbst profitablen Firmen keinen Kredit geben konnten, nur durch eine Senkung der Körperschaftssteuer erreichen ließ. Dragasakis meldete sich und sagte, er stimme mir zu. Offensichtlich wollte er Alexis und Pappas beruhigen.

      Beim Thema Privatisierungen, fuhr ich fort, müssten wir Zugeständnisse machen, wenn wir eine Einigung mit der EU und dem IWF anstrebten. Statt Privatisierungen prinzipiell abzulehnen, müsse Syriza dazu übergehen, jeden Fall einzeln zu prüfen. Überstürzte Verkäufe von öffentlichem Eigentum müssten aufhören, aber einige Vermögenswerte wie Häfen und Eisenbahnstrecken sollten wir zum Verkauf stellen unter der Bedingung, dass ein Minimum an Investitionen getätigt wurde, dass der Käufer sich bereit erklärte, den Beschäftigten anständige Verträge zu geben, und ihnen das Recht auf gewerkschaftliche Vertretung zugestand. Außerdem sollte der Staat weiterhin einen Minderheitsanteil halten, aber einen erheblichen, und die daraus fließenden Dividenden sollten für die Stützung von Pensionsfonds verwendet werden. Die Vermögenswerte, die in Staatsbesitz bleiben würden, sollten auf eine neue staatliche Entwicklungsbank übertragen werden, die sie dann als Sicherheiten verwenden könnte, um Geld für Investitionen in eben diese Vermögenswerte aufzutreiben und so ihren Wert zu steigern, Arbeitsplätze zu schaffen und künftige Einnahmen zu generieren. Sie stimmten auch diesem Punkt zu.

      Als Nächstes kam das heikle Thema von Aris, Zorba und ihren Bankerkollegen. Ich erinnerte mich an das unangenehme Gespräch mit Alexis im Schatten des Steinschiffs und wählte in Gegenwart von Dragasakis meine Worte vorsichtig. Ich fragte sie, inwieweit sie bereit wären, sich mit Bankern vom Schlag von Aris und Zorba anzulegen und sie zu zwingen, dass sie die Kontrolle über ihre Banken abgaben, die im Wesentlichen Eigentum der Steuerzahler waren. Ich erinnerte sie an die seltsame Allianz zwischen unseren Bankern und der Europäischen Zentralbank, die ihre Banken durch Schuldverschreibungen, für die Staaten bürgten, am Leben erhielt. Sowohl die einen wie die andere konnten einer Syriza-Regierung die Luft zum Atmen nehmen.

      Pappas platzte förmlich vor revolutionärem Eifer und forderte, alle Banker müssten ihre Koffer packen. Alexis war vorsichtiger, stimmte aber prinzipiell zu und betonte, deshalb sei es so wichtig, dass jemand in der Position des stellvertretenden Regierungschefs – gemeint war Dragasakis – die Banker kontrollierte.

      Waren sie auch bereit, fragte ich, meinen Vorschlag zu übernehmen, dass die bankrotten Banken in den Besitz der EU überführt und ihrer Kontrolle unterstellt würden? Ich wusste, dass das für eine linke Partei, die unbedingt den Bankensektor verstaatlichen wollte, eine außerordentliche Herausforderung war. Es folgte bedrohliche Stille.

      Schließlich brach Alexis das Schweigen mit der unvermeidlichen Frage: »Aber warum können nicht wir die Banken verstaatlichen? Der Staat besitzt sowieso schon die Mehrheit der Anteile. Können wir nicht ein Gesetz verabschieden, das aus unseren stimmrechtslosen Anteilen stimmberechtigte Anteile macht?«

      Ich erwiderte, wenn wir nicht bereit seien, die Banken auf die Europäische Union zu übertragen, würden wir den griechischen Staat nicht von den Lasten befreien können, die mit ihrer trügerischen Rekapitalisierung verbunden seien. Die Verstaatlichung der Banken wäre nur bei einem Grexit sinnvoll. »Aber wir haben uns doch darauf verständigt, dass wir den Grexit nicht wollen, richtig?«

      »Richtig«, erwiderte Alexis wie aus der Pistole geschossen.

      »Können wir uns in dem Fall auf folgende Verhandlungsposition bei den Banken einigen: Die Anteile der Banken sowie die Verbindlichkeiten aus ihrer Rekapitalisierung sollen auf die Europäische Union übertragen werden, sie sollen neue Verwaltungsräte bekommen, die nicht mehr von griechischen Bankern beherrscht werden?«

      Alexis und Pappas stimmten zu, aber ich bemerkte, dass Dragasakis sich lieber nicht direkt äußerte. Er sagte lediglich, es sei wichtig, innerhalb der Grenzen der Legalität zu bleiben – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dass er dieser Frage auswich, bestätigte meinen Verdacht. Bis zu diesem Punkt schienen alle drei mit der Agenda zufrieden zu sein. Trotzdem fand ich, ich sollte noch einmal rekapitulieren, auf welche Ziele wir uns geeinigt hatten.

      »Die Umschuldung ist das Wichtigste. Zweitens, ein Primärüberschuss von nicht mehr als 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung und keine neuen Austeritätsmaßnahmen. Drittens, eine erhebliche Senkung von Umsatz- und Körperschaftssteuer. Viertens, strategische Privatisierungen unter Bedingungen, die die Rechte der Arbeitnehmer schützen und Investitionen fördern. Fünftens,