Das Beste aus meinem Leben. Axel Hacke

Читать онлайн.
Название Das Beste aus meinem Leben
Автор произведения Axel Hacke
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783888976193



Скачать книгу

gar nicht so vielen Jahren wusste kein Mensch, was das Internet ist. Heute gilt einer ohne Internet-Adresse praktisch als Person ohne festen Wohnsitz. Wo wird das enden? Ich sag’s Ihnen.

      Beginnen wir in meinem Zeitungsladen, in dem Monat für Monat ein weiterer Regalmeter von Zeitschriften eingenommen wird, die zum Beispiel OS/2 Inside heißen und in deren Artikeln ich keinen einzigen Satz kapiere. Ich greife wahllos zwei Beispiele heraus, erstens: »In der Standardkonfiguration sind die Parameter Client User ID und Client Group ID auf NULL – nicht 0 – gesetzt. Das heißt: Sie existieren nicht.« Zweitens: »Nach ein wenig Einarbeitungszeit kommt man problemlos mit Ausdrücken wie diesem zurecht: (\« ^\« *\«\’ ^’ *’).«

      Gebt mir tausend Jahre Einarbeitungszeit, das werde ich nie verstehen! Muss ich auch nicht, es ist nicht für mich geschrieben, und es interessiert mich nicht. Ich könnte mit einem Text auf Koreanisch genauso wenig anfangen. Auch im medizinischen Fachbericht eines Arztes an einen anderen Arzt, betreffend eine Erkrankung meines Unterleibs, wäre mir Satz für Satz verschlossen.

      Aber! Jemand könnte mir das Koreanische ins Deutsche übersetzen. Ein Mediziner könnte mir erklären, an welcher Krankheit ich leide. Niemals jedoch wird mir jemand begreiflich machen, was diese beiden Sätze bedeuten. Man kann sie nicht übersetzen. Es ist, als wäre man mit Wesen in Kontakt gekommen, die in einer anderen Dimension leben. Es müssen viele sein, sonst würden nicht jeden Tag neue Zeitschriften mit solchen Sätzen erscheinen. Vor einiger Zeit fand ich sogar schon im Sportteil der Zeitung ein Inserat, in dem eine Firma mitteilte, dass sie dem Leser alles über ein Fußballspiel mitteilen könne, falls er das Match nicht habe sehen können. Die Firma gab ihre Internet-Adresse zur Kenntnis und verabschiedete sich mit den Worten: »Viel Vergnügen wünscht Ihr IT-Partner für Beratung, Systemintegration und Outsourcing.« IT-Partner? Systemintegration? Outsourcing? Wer grüßt da wen?

      Ob Leute, die so sprechen und schreiben, noch das gleiche essen wie wir? Vielleicht leben sie nicht mehr von Brot und Butter, Fleisch und Gemüse? Vielleicht sehen sie noch so aus wie wir, tragen Anzüge und Kleider und bezahlen dafür mit Geld, damit sie nicht auffallen. Aber wenn sie allein sind, schlucken sie kleine grüne Tabletten oder verschlingen gierig die Innereien alter Laptops, oder sie verspeisen ihre eigenen Wörter, seltsame Menüs aus Begriffen wie »Bootmanager-Partition«, »Netscape-Browser« und »(»=’«=`«.

      Vielleicht lebt mitten unter uns eine Kaste von Wesen, die in einer anderen Wirklichkeit existieren. Sie gehören einer höheren Realität an, von der wir nichts wissen und zu der wir auch nicht vordringen können, weil unsere Gehirne prinzipiell zur Erkenntnis dieser Dimension nicht in der Lage sind: So wie eine Ameise diesen Artikel nicht lesen kann, kann ich nicht OS/2 Inside dechiffrieren. Diese Wesen lesen ihre eigenen Zeitschriften, surfen in ihren eigenen Computer-Netzen, regieren ihre Parallelwelt in eigenen Ministerien. Sie tanzen auf ihren eigenen Parties nach ihrer eigenen Musik, und wenn sie sich mögen, sagen sie »\(»‘ )/?« zueinander und pflanzen sich mit ihren eigenen Geschlechtsorganen fort, die sehr anders als unsere funktionieren.

      Das Verhältnis zwischen den Computerexperten und uns wird eines Tages ganz und gar sein wie das Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Der Mensch erforscht das Verhalten der Tiere, freut sich an ihrer Existenz und nutzt sie. Wozu werden wir von Nutzen sein? Wird man uns als eine Art Singvögel halten, in Käfigen, unserem Gezwitscher lauschend? Wir werden nicht verstehen, was sie mit uns tun, und auf den Lauf der Welt werden wir keinen Einfluss haben.

      Nachrichten aus dem Flachland

      Erzähl’ mir von draußen«, sagte Bosch, mein alter Kühlschrank und Freund, als ich ihm abends ein Bier entnahm. »Ich erlebe hier nichts, bloß immer Tür auf und Tür zu – sonst erlebe ich ja nichts.«

      Ich setzte mich an den Küchentisch, nahm einen Schluck und sagte: »Die Straße war heute gesperrt, weil sie einen Film gedreht haben. Immerzu drehen sie hier Filme, weil die Straße so schön ist. Diesmal war es ein Film mit Schießerei. Die Schießerei haben sie auf Handzetteln angekündigt, damit wir nicht erschrecken. Dem Briefträger ist an der Baustelle nebenan ein Ziegel auf den Kopf gefallen, aber er hat es überlebt. Der Elektroladen drei Häuser weiter hat zugemacht. Da ist ein Pizza-Service eingezogen.«

      »War das der Laden, wo du die blöde Mikrowelle gekauft hast?«, fragte Bosch.

      »Ja«, sagte ich.

      »Geschieht dem Laden recht«, flüsterte er, »ich hasse das hysterische Miststück.«

      »Aber was sollen wir mit noch einem Pizza-Service?«, sagte ich. »Immer wenn ein Laden dichtmacht, eröffnet stattdessen ein Pizza-Service. Und jeden Tag liegt der Prospekt eines anderen Pizza-Services im Briefkasten. Eines Tages werden wir keine Läden mehr haben, bloß Pizza-Services.«

      Die Bierflasche war leer. Ich nahm eine neue.

      »Und was macht ein Pizza-Service?«, brummte Bosch. »Bringt Pizza ins Haus«, sagte ich. »Man ruft an, und er bringt sie. Hier, steht alles im Prospekt: Pizza mit Plockwurst und Pizza mit Formfleischvorderschinken und Pizza mit Ananas und Pizza mit Pizza und Pizza mit Schofsköse…«

      »Schofsköse?«, fragte mein Kühlschrank.

      »Schafskäse, ein Druckfehler«, sagte ich. »Pizza mit Druckfehlern gibt’s auch. Neulich stand in einem Faltblatt, man könne nicht nur Pizza, sondern auch ›beleckte Semmeln‹ haben, lecker beleckt mit Formfleischvorderschinken oder Plockwurst oder Köse, äh, Käse.« Ich schaute Bosch an. »Hast du noch Bier?«, fragte ich. »Aber immer«, sagte er.

      Ich öffnete ihn, nahm die dritte Flasche und schloss die Tür wieder.

      »Ich versteh’s nicht«, sagte er dann. »Sind die Leute nicht früher in Restaurants gegangen und haben dort Pizza gegessen, mit Messern und Gabeln und von Tellern?«

      »Ja«, sagte ich und trank. »Aber das ist bald vorbei. Man geht nicht mehr auf die Straße. Was willst du dort? Es fallen dir Steine auf den Kopf, oder du kommst nicht weiter, weil ein Film gedreht wird. Und Läden zum Einkaufen gibt es nicht mehr, weil alle Geschäfte durch Pizza-Dienste ersetzt sind.«

      »Seltsam: immer Pizza«, sagte mein Kühlschrank.

      »Eigentlich gar nicht seltsam«, sagte ich. »Pizza ist das ideale Essen für Leute, die nicht mehr aus dem Haus gehen. So schön flach. Man kann es durch den Briefschlitz werfen oder unter der Haustür hindurchschieben und muss nicht einmal mehr mit dem Lieferanten in Kontakt treten. Eines Tages wird man sich per Internet eine Pizza auf dem Bildschirm aufrufen und dann aus dem CD-Laufwerk holen oder ausdrucken. Manche schmekken jetzt schon so.«

      Ich trank gluckernd.

      »Pizza«, rief ich, »ist ’n schönes, flaches Essen, flach wie die modernsten Handys und die neuesten Laptops und die schönsten Autos, flach wie das Fernsehprogramm, flach wie die ganze Welt von morgen. Der Lieferpizza gehört die Zukunft! Wir brauchen flache Mahlzeiten!«

      »Und… und neue, flache Kühlschränke?«, fragte Bosch zögernd.

      »Fang nicht wieder mit deinem Pessimismus an!«, rief ich und entnahm ihm die vierte kalte Flasche. »Flaches Bier gibt’s nicht. Wir werden alle leben wie du, immer daheim und nie draußen, angeschlossen an große Stromkreise, fern von anderen unserer Art, innen voller Kälte und doch voller Sehnsucht nach…«

      Er unterbrach mich: »Wer ist hier der Pessimist?!«

      Ich starrte aus dem Fenster ins Dunkle.

      »Wenn du mir auch so viel zu trinken gibst…«, flüsterte ich.

      Schill und Schiller

      Königssöhne sind oft merkwürdige Typen, denken wir nur an Charles, oder, seltsamer, an jenen Prinzen, der in Schneewittchen vorgeblich absichtslos durch den Wald reitet, bei sieben Zwergen übernachtet und dabei die anscheinend tote Prinzessin in ihrem gläsernen Sarg entdeckt: So lange bettelt er die sieben an, bis sie ihm den Leichnam überlassen. Ich bitte sehr! Schiere Nekrophilie! Ein