Oder sind es Sterne. Eva Munz

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Название Oder sind es Sterne
Автор произведения Eva Munz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783956144448



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tippt sich mit zwei Fingern an die Stirn. Im Gehen summt er eine Melodie. Ryder könnte schwören, dass es Britney ist.

      Später, hinter den Baracken, abseits von den anderen Soldaten, versuchen Kellogg und Ryder, die extravagante Erscheinung zu enträtseln. Gerüchte von Sondereinheiten, die Camps nach Talenten durchkämmen, kursieren in letzter Zeit häufiger, aber Ryder hat sich diese Leute immer anders vorgestellt. Unauffällig. Als Spießer getarnte Kampfmaschinen.

      »Dieser General ist doch wahnsinnig, bestimmt einer dieser durchgeknallten PSYOPS-Leute.« Kellogg schielt und malt Kreise in die Luft.

      »Er wusste immerhin, dass du Ramadan einhältst«, sagt Ryder.

      »Bin gespannt, ob wir von dem noch was hören.«

      Ryder kann sich das nicht vorstellen, aber es ist das erste Mal seit Langem, dass er beim Militär jemandem begegnet ist, dem es nicht nur darum geht, recht zu haben, Macht auszuüben oder hart rüberzukommen. Er will rausfinden, was es mit diesem Anthropozän auf sich hat. Vielleicht sogar Vegetarier werden.

      Ein paar Tage später überredet Kellogg Ryder, nach dem Dienst noch mit zu ihm zu kommen, um ein paar Runden Snake’s Revenge auf Nintendo zu spielen. Das letzte Mal ist Ryder beim Verhör truth gas verabreicht worden, während Kellogg schon massenweise Geiseln befreit hatte. Das kann Ryder unmöglich auf sich sitzen lassen. Solange er vor Sonnenuntergang nach Hause kommt, wird seine Frau keinen Stress machen.

      Auf dem Parkplatz vor Kelloggs Wohnung werden sie von zwei aalglatten Typen in Zivil abgefangen. General Bender hätte sie geschickt, sagen sie einsilbig. Der eine ist dünn, trägt einen blonden Bürstenschnitt auf rosa Kopfhaut, beige Hosen und beiges Hemd. Er sieht aus wie ein Stangenspargel. Der andere erinnert eher an einen Nachrichtensprecher.

      Für Ryder riecht das nach Disziplinarverfahren. Wahrscheinlich sind Kelloggs unpatriotische Aktionen doch rausgekommen. Sie haben das Sweatshirt entdeckt, in dessen Innenseite er mit dem Elektrorasierer eine Swastika gefräst hat. Ryder gegenüber hat er das als Spinnrad deklariert, Zeichen postkolonialer Unabhängigkeit. Oder jemand hat das Foto von Halloween gefunden, auf dem Kellogg als Freiheitsstatue mit aufgeschnittener Kehle zu sehen ist. Mit dem Theaterblut hat er bei der Party eine Riesensauerei in der Turnhalle gemacht. Nicht gut angekommen bei den Vorgesetzten.

      Oben in Kelloggs Junggesellenbude sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Auf dem einzigen Sessel steht der Fernseher. Kellogg bemüht sich, ein paar Kleidungsstücke vom Bett zu räumen, aber am Ende bleiben alle steif an der Küchentheke stehen. Die beiden Männer lassen sich nichts anmerken und versuchen krampfhaft, wie Kumpel rüberzukommen, doch ihr Ostküsten-Akzent und Ivy-League-Duktus entlarven sie. Schlaumeier.

      Ryder und Kellogg hätten den General beeindruckt. Er hätte sie für eine Sondereinheit vorgeschlagen, sagt der Nachrichtensprecher.

      »Das ist doch ein Witz, oder?« Kelloggs Augen springen zwischen den beiden hin und her.

      »Negativ. Wir folgen den Anordnungen eines Viersternegenerals. Wir haben ein bisschen in Ihren Lebensläufen gestöbert und keine nennenswerten Verfehlungen finden können. Sie sind einigermaßen sauber«, sagt der Spargel, der andere räuspert sich auffällig. »Ob Sie wirklich etwas draufhaben, liegt im Ermessen des Generals.«

      Ryder kann beim besten Willen keine Ironie heraushören.

      Dann legen die Typen los. Die kompakte Einheit sei ein experimentelles Sonderprogramm im Grenzbereich zwischen Militär und Geheimdienst. Thinktank und Trainingslager in einem, spezialisiert auf Präventivmaßnahmen. Der General arbeite an Strategien, die US-Bürger im In- und Ausland vor Terroranschlägen schützen sollen. Ziel sei es, die Einheit später auf internationale Missionen zu schicken, um Terrorzellen aufzuspüren, zu infiltrieren, Drahtzieher auszuschalten.

      Ryder schlägt der Puls bis zum Hals, das ist der Stoff aus Actionthrillern, nur der Begriff Thinktank macht ihn stutzig. Ihm leuchtet ein, dass sie Interesse an Kelloggs Sprachkenntnissen haben, aber spätestens in dieser Bruchbude muss den Leuten doch klar geworden sein, dass Kellogg ein Chaot und kein geheimdienstliches Präzi sionswerkzeug ist. Und Ryder besitzt nicht einmal einen Reisepass.

      Weil es sich bei dem Sonderkommando um eine sogenannte weiße Einheit handelt, so die Männer, hätten die wenigsten je davon gehört. Egal, ob Ehefrauen, Liebhaber oder beste Freunde – niemand dürfe etwas davon erfahren. Jegliche Namen müssten sofort vergessen werden, Diskretion und Geheimhaltung stünden an oberster Stelle. Falls Ryder und Kellogg die Probezeit bestünden, würden sie in die Eliteeinheit aufgenommen.

      Obwohl die beiden zuerst so tun, als sei es eine Art Bewerbungsgespräch, wird klar, dass sie eigentlich nicht wollen, dass Kellogg und Ryder sich zu sehr den Kopf zerbrechen. Die Begriffe »Ehre« und »unsere Nation« fallen häufiger, alles andere bleibt vage.

      Die Sache werde als Fortbildung für Friedenseinsätze kommuniziert und sie sollten sich an strikte Sprachformeln halten, wenn sie mit Freunden oder Familie darüber sprächen. Ideal für seine Frau, denkt sich Ryder. Katie hat sich bis heute nicht mit der Tatsache abfinden können, dass Töten zum Aufgabengebiet eines Marines gehört. Das Wichtigste an der Strategie sei, so der Spargel, die Leute mit Information zu überfluten und mit Jargon zu verwirren. Quantität sei wichtiger als Qualität. Immer weiterreden! Die Zuhörer sollten ermüdet werden, bis sie das Interesse am nicht vorhandenen Kleingedruckten verlieren. Alles würde ausschließlich mündlich vereinbart. Dann übt der Spargel noch ein paar Runden verbale Zuckerwatte mit ihnen.

      Draußen dämmert es schon, als er Ryder die Hand hinhält. Ryder und Kellogg werden gar nicht mehr gefragt, ob sie überhaupt dabei sein wollen.

      Die Privilegien des Soldatenlebens. Befreiung von der Qual der Wahl!

      »Wird schon ok sein«, sagt Kellogg und schlägt ein. Sein Magen knurrt.

      Ryder will sich im Gehen noch bei dem Spargel bedanken, kann sich aber nicht an seinen Namen erinnern. Haben die sich überhaupt vorgestellt?

      HASIR ZAMAN

      PARIS

      DU STELLST DICH MIT DEINEM französischen Namen vor, Henri.

      »Inès?«, sagt die Kellnerin, als sei sie sich nicht ganz sicher. Ihre großen Augen schwimmen unter schweren Lidern, die Wimpern werfen Schatten auf die hohen Wangenknochen, ein leichter Überbiss ragt zwischen den vollen Lippen hervor. Die Haut schimmert oliv. Das eigensinnige Haar ist mit einem dieser roten Haushaltsgummis halbherzig zum Chignon gezähmt. Die Nase war offenbar einmal gebrochen. Jeder Chirurg könnte das wahrscheinlich ambulant wieder in Ordnung bringen. Ihrer Stimme gibt es immerhin ein charmantes Timbre, als sei sie erkältet. Die dünnen Arme scheinen achtlos am mageren Körper angebracht. Als klassische Schönheit kann man sie nicht bezeichnen.

      Aber sobald sie sich bewegt, fügt sich alles zu einer eigenwilligen, betörenden Choreografie. Es ist, als würde man durch die Schlitze eines Zoetrops blinzeln und das Pferd zum ersten Mal im Flackern des Lichts galoppieren sehen. Etwas Unheimliches und zugleich Vertrautes geht von ihr aus. Du hast auf einmal Sehnsucht. Heimweh. Ein körperliches Verlangen, das du seit Ewigkeiten nicht mehr gespürt hast.

      Sie muss ziemlich verzweifelt sein, wenn sie im Chez Farida arbeitet, dem marokkanischen Restaurant, welches dein Freund Ziad geerbt hat. Ziad ist ein Ausbeuter und nicht gerade dafür bekannt, sein Personal fair zu behandeln. Du kennst ihn seit Studienzeiten, ein Playboy, der mit Baseballkappe und zerrissenen Jeans versucht, von Haarausfall und Midlife-Crisis abzulenken.

      Das Restaurant ist wie immer voll, aber heute nimmst du die bobos und Touristen, die sich vom Marais hierher verlaufen haben, kaum wahr. Deine Aufmerksamkeit gilt nur ihr. Als sie wieder an deinen Tisch kommt, hinten am Fenster, fragst du, ob sie den Bordeaux oder den Wein aus dem Rhone-Tal empfehlen würde.

      »Möchten Sie probieren?«, fragt sie angespannt, sie muss spüren, dass Ziad sie beobachtet.

      Ziad sehe nicht her, behauptest du. Gelogen.

      »Bouf! Bei dem weiß man nie. Ich bin neu hier. Haben Sie schon ein Gericht gewählt?« Auf ihrer Bluse zittern