Oder sind es Sterne. Eva Munz

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Название Oder sind es Sterne
Автор произведения Eva Munz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783956144448



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Ein goldenes Amulett blitzt auf seiner Brust.

      Zulu faselt von seinem Papa, überglücklich, und knöpft sich den Overall auf.

      Ryder will nicht an seinen Alten denken. Als die Tasse wieder an ihm vorbeikommt, nimmt er doch einen richtigen Schluck. Diesmal schleicht der Tee angenehm durch seinen Körper. Zuerst kitzelt es an Hals und Ohren, dann explodiert es scheinbar in ihm, als hätte jemand Wunderkerzen in seinem Kopf angezündet.

      Ryder dreht sich vom Feuer weg, sieht hinaus in die Weite. Eine Schlange schlängelt auf ihn zu, richtet sich auf und spreizt ihren Hals. »Bist du bereit?«, zischt sie.

      Ryder meint zu nicken, und schon verschwindet sie in der Wüste.

      Das Gesicht des Generals, die Pupillen seiner drei Augen zu Stecknadeln verkleinert, schwebt nun vor ihm und saugt die Worte auf, die aus Ryders Mund lodern.

      Erinnerungen. Ryders Alter im Badezimmer. Der Rauch seiner Zigarette im Neonlicht. Der Duschvorhang kreischt über die Stange.

       Zzzwwwiiirrrschhhhh!

      Wasser spritzt. Giftiger Atem. Schwielige Hände auf Kinderbeinen. Vaseline.

      Ryder spürt nichts. Er sieht nur zu. Kaum anwesend.

      Wut fährt in die zitternde Kinderhand, sie reckt sich nach dem Vorhang, zieht ihn vor dem Alten zu. Die Ringe kreischen.

       Zzzwwwiiirrrschhhhh!

      Schon ist die Fratze weg. Verschwunden. Licht.

      Zurück am Lagerfeuer, richtet Ryder sich auf, wächst zu Kellogg empor. Sie wirbeln wie Funken ums Feuer. Draußen in der Wüste locken wabernde Regenbogenfarben, und die beiden werfen sich der bunten Ferne entgegen, dorthin, wo der Himmel auf die Erde trifft, bis die Ranch am Horizont abgleitet. Kelloggs Grinsen taucht in Ryders Lippen. Endlich!

      Der Wind weht ein wundersames Lied herbei. Ein Chor nähert sich, in blaue Seide gehüllt.

       Wieso, weshalb, warum? Was soll’s?

       Whiskey India Echo Sierra Oscar?

       Whiskey Echo Sierra Hotel Alpha Lima Beta?

       Whiskey Alpha Romeo Uniform Mike?

      Violinen schwellen, die Seide wogt wie die Tränen in einem gigantischen Auge. Ein kolossales Drishti, das dritte und allsehende Auge. Blau.

      DRISHTI!

      HASIR ZAMAN

      PARIS

      IN JENER ERSTEN NACHT hatte Inès sich noch vor Sonnenauf-gang aus der Wohnung geschlichen. Als du aufwachtest, war sie bereits verschwunden, und mit ihr der Ring deines Vaters. Du zähltest dein Geld, aber es fehlte nichts, und du schämtest dich, es gezählt zu haben.

      Am selben Abend gingst du wieder ins Chez Farida. Sie trug eines deiner weißen Hemden, mit den Perlmuttknöpfen, aus ägyptischem Baumwoll-Twill, die Ärmel aufgeschlagen. Was für einen Unterschied dieses Hemd machte. Sie war distanziert, professionell.

      »Ich musste etwas anziehen. Ich gebe es dir zurück«, flüsterte sie, sobald Ziad außer Hörweite war. »Kannst du auf mich warten, draußen?«

      An diesem Abend regnete es nicht. An der Ampel zog sie wieder den roten Gummi aus der Mähne. Ihr schwiegt. Im Aufzug überlegtest du dir, ihn anzuhalten, du konntest dich kaum zurückhalten, aber behieltst schließlich deine Phantasien für dich, bis ihr in der Wohnung wart. Dort ließt du dich von ihren Bewegungen, ihrem Atem, ihrem Blick und ihrer warmen Haut überwältigen.

      Am Morgen ist sie immer verschwunden, wie ein Spuk. Den Ring hast du nie wiedergesehen, nur ihren Geruch, den lässt sie da; er schwebt über dem aufgeschlagenen Fotoalbum. Sie ist besessen von diesen Bildern. Du bist besessen von ihr. Monate vergehen, und du weißt noch immer nichts über sie. Nur ihren Namen, Inès.

      Bis sie ein paar Tage nicht im Restaurant erscheint. Ziad ist amüsiert. »Beruhige dich, sie hat sich freigenommen. Ganze zwei Wochen wollte sie wegbleiben«, sagt er. »Wenn sie am Wochenende nicht wiederkommt, ist sie den Job los. Kannst du ihr gerne ausrichten.«

      Am Samstag fängst du sie an der Metro ab. Wo sie gewesen sei?

      »Zu Hause.«

      Mit wem?

      »Mit niemandem. Jemandem. Was soll das? Ich muss zur Arbeit.«

      Du bettelst darum, dass sie mit dir nach Hause kommt.

      »Jetzt sofort?«

      Jetzt. Bitte.

      Kaum in der Wohnung, führt sie deine Hand unter ihren Rock.

      Die Tür fällt ins Schloss. Es geht schnell, zu schnell.

      »Ich muss los.« Sie schließt den Rock mit einer Sicherheitsnadel.

      Nein! Du greifst zu hart nach ihrer Hand.

      Langsam dreht sie ihr Handgelenk aus deinem Griff, ihr Blick ist kalt.

      »Ich bin nicht einmal gekommen.«

      Du entschuldigst dich.

      Sie blinzelt gelangweilt, als du ihr Bein entlangstreichst. Deine Hand wandert um ihren Schenkel nach innen. Sie sieht auf deine Armbanduhr.

      »Drei Minuten.«

      Du gehst auf die Knie und tust, was dir eine Prostituierte in Beirut beigebracht hat. Dein Vater hatte sie dafür bezahlt, dir zu zeigen, wie man eine Frau zum Höhepunkt bringt. Du warst noch jung, ein Teenager, aufgeregt. Es war ein kleiner Triumph, aber hauptsächlich hast du dich geschämt.

      Inès kommt in kurzen, heiseren Wellen.

      »Hasir mit dem Hhhhsssschhhh. Jetzt muss ich wirklich gehen.«

      Sie solle bleiben, sich krankmelden.

      »Ich brauche die Arbeit.«

      Dieses alberne Trinkgeld, Almosen von gönnerhaften Gästen. Du ziehst ein Bündel Scheine aus der Tasche.

      »Für wen hältst du mich?« Mit spitzen Fingern zählt sie die Scheine, lässt sie in ihrem Lederbeutel verschwinden und wirft die Geldklammer auf die Anrichte. Du hasst dich. Zum Abschied küsst sie dich auf den Mund.

      »Du schmeckst komisch.« Ein belustigter Zug huscht über ihre Lippen.

      Du legst dich in die Badewanne und weinst.

      Spätabends wartest du vor dem Restaurant in einer dunklen Ecke und bittest sie um Verzeihung.

      »Du bist mir immer noch so fremd.« Ihre perfekt gerauchten Ringe hängen in der Nacht. »Irgendetwas muss sich ändern.«

      Du würdest alles tun.

      Morgens weckt dich Geklapper aus der Küche. Ihre Kleider liegen noch auf dem Boden verstreut. Nackt hält sie dir eine Tasse Kaffee hin. »Ich habe keine Milch gefunden.«

      Du würdest Milch hassen.

      »Milch ist widerlich.« Ein schattiges Lächeln.

      Ekelhaft.

      »Ich habe Hunger.«

      Du würdest etwas besorgen. Ob sie noch da sei, wenn du wiederkommst?

      »Wo denn sonst?«

      Du ziehst die Sachen vom Vorabend an. Du kannst dich nicht erinnern, wann du das zuletzt getan hast, vielleicht noch nie. Du musst dich beeilen, sie darf dir nicht wieder entwischen.

      Als du zurückkehrst, blättert Inès in dem Album.

      »Wer sind die Kinder im Waisenhaus?« Sie beißt in ein Croissant.

      Während der sowjetischen Besatzung hätten viele von ihnen die Eltern verloren. Der junge Rothaarige, das sei dein Neffe.

      »Dein Bruder ist gestorben? Wie schrecklich, das tut mir leid.«

      Nein,