Название | Winzige Gefährten |
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Автор произведения | Ed Yong |
Жанр | Математика |
Серия | |
Издательство | Математика |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956142482 |
Als Nächstes sah sich Leeuwenhoek Wasser an, und zwar insbesondere Wasser aus dem Berkelse Mere, einem See in der Nähe von Delft. Er saugte ein wenig von der trüben Flüssigkeit in eine Glaspipette, und als er sie anschließend im Mikroskop betrachtete, sah er, dass es in dem Wasser von Leben wimmelte: »kleine grüne Wolken« aus Algen, außerdem Tausende winzige, tanzende Geschöpfe.2 »Die Bewegung der meisten dieser Tierlein im Wasser war so schnell und so verschieden aufwärts, abwärts und rundherum, dass es wundervoll zu sehen war«, schrieb er, »und nach meinem Urteil sind manche dieser kleinen Geschöpfe ungefähr tausendmal kleiner als die kleinsten, die ich jemals auf der Rinde von Käse gesehen habe.«3 Es waren Protozoen – Organismen einer vielgestaltigen Gruppe, zu der unter anderem die Amöben und andere einzellige Eukaryonten gehören. Leeuwenhoek war der erste Mensch, der sie jemals zu Gesicht bekam.4
Im Jahr 1675 richtete Leeuwenhoek seine Linsen auf Regenwasser, das sich in einem blauen Topf vor seinem Haus gesammelt hatte. Auch hier tauchte eine wunderbare Tierwelt auf. Er sah schlangenähnliche Gebilde, die sich auf- und abwickelten, und ovale Lebewesen, »welche mit vielfältigen, winzigen Füßen ausgestattet sind« – weitere Protozoen. Außerdem sah er Exemplare aus einer noch kleineren Klasse von Lebewesen; sie waren tausendmal kleiner als das Auge einer Laus und »drehten sich mit einer Schnelligkeit, als würden wir einem Kreisel bei seiner Bewegung zusehen« – Bakterien! Er untersuchte weiteres Wasser aus seinem Studierzimmer, von seinem Dach, aus den Kanälen von Delft, aus dem nahe gelegenen Meer und aus dem Brunnen in seinem Garten. Die kleinen »Tierlein« waren überall. Wie sich herausstellte, existierten Lebewesen in unvorstellbarer Zahl unterhalb der Grenze unserer Wahrnehmung – sichtbar waren sie nur für diesen einen Mann mit seinen überragenden Linsen. Später schrieb der Historiker Douglas Anderson: »Nahezu alles, was er sah, sah er als allererster Mensch überhaupt.« Aber vor allem: Warum sah er sich überhaupt das Wasser an? Was um alles in der Welt trieb diesen Mann an, den Regen zu untersuchen, den er in einem Topf gesammelt hatte? Ähnliches könnte man sich bei vielen Menschen aus der gesamten Geschichte der Mikrobiomforschung fragen: Sie waren diejenigen, die die Idee hatten, genauer hinzusehen.
Im Oktober 1676 berichtete Leeuwenhoek der Royal Society, was er gesehen hatte.5 Seine Schriften waren ganz anders als die muffigen wissenschaftlichen Abhandlungen in den Fachzeitschriften. Sie waren voller lokaler Tratschgeschichten und enthielten auch Berichte über Leeuwenhoeks Gesundheit. (»Der Mann hätte einen Blog gebraucht«, so Anderson.) Aus dem Brief vom Oktober erfahren wir beispielsweise, wie das Wetter in Delft in diesem Sommer gewesen war. Er enthält aber auch faszinierend detaillierte Berichte über die Tierlein. Sie seien »unglaublich klein, nein, aus meiner Sicht so klein, dass ich der Ansicht bin, dass selbst hundert dieser winzigen Tiere, die ausgestreckt hintereinander lägen, nicht die Länge eines groben Sandkorns erreichen würden; und wenn das wahr ist, kämen zehnmal hunderttausend dieser Lebewesen kaum der Masse eines groben Sandkorns gleich«. (Später stellte er fest, dass ein Sandkorn einen Durchmesser von ungefähr einem Dreißigstelmillimeter hat, das heißt, eines der »winzigen Tiere« wäre drei Mikrometer lang. Das ist mehr oder weniger die Größe eines durchschnittlichen Bakteriums. Der Mann war erstaunlich präzise.)
Angenommen, heute würde irgendjemand plötzlich verkünden, er habe eine Gruppe wundersamer, unsichtbarer Lebewesen beobachtet, die noch kein anderer jemals gesehen hat. Würden wir ihm glauben? Oldenburg hatte sicherlich seine Zweifel, wie auch bereits bei Leeuwenhoeks früheren Beschreibungen der »Tierlein«. Dennoch veröffentlichte er 1677 Leeuwenhoeks Brief – »ein außerordentliches Denkmal für die aufgeschlossene Skepsis der Wissenschaft«, wie Nick Lane es nennt. Allerdings fügte Oldenburg eine warnende Notiz hinzu: Er erklärte, die Gesellschaft wolle Leeuwenhoeks Methoden im Einzelnen kennenlernen, damit auch andere seine unerwarteten Beobachtungen bestätigen konnten. Aber Leeuwenhoek kooperierte nicht so recht. Seine Technik zur Herstellung von Linsen war ein gut gehütetes Geheimnis. Statt es preiszugeben, zeigte er die Tierlein einem Notar, einem Rechtsanwalt, einem Arzt und anderen gut beleumundeten Herren, die daraufhin der Royal Society berichteten, er könne tatsächlich sehen, was er zu sehen behauptete. Gleichzeitig bemühten sich andere Mikroskopiker darum, Leeuwenhoeks Arbeiten nachzuvollziehen – und scheiterten. Selbst der große Hooke hatte anfangs zu kämpfen, und der Erfolg stellte sich erst ein, als er zu den verhassten Einzellinsen-Mikroskopen wechselte. Sein Erfolg bestätigte Leeuwenhoek und festigte den Ruf des Niederländers. Im Jahr 1680 wurde der ungebildete Textilkaufmann zum Mitglied der Royal Society ernannt. Und da er weder Latein noch Englisch lesen konnte, erklärte sich die Gesellschaft bereit, ihm die Mitgliedsurkunde auf Niederländisch auszustellen.
Nachdem Leeuwenhoek als erster Mensch überhaupt Mikroorganismen gesehen hatte, sah er nun auch als erster seine eigenen. Im Jahr 1683 fielen ihm zwischen seinen Zähnen weiße, teigige Beläge auf, und wie es seine Gewohnheit war, betrachtete er sie durch seine Linsen. Das Ergebnis? Weitere Lebewesen »in sehr hübscher Bewegung«! Da gab es lange, torpedoförmige Stäbchen, die »wie ein Hecht« durch das Wasser schossen, in dem er seinen Zahnbelag gelöst hatte, und kleinere, die sich drehten wie ein Kreisel. »Alle Menschen, welche in unseren Vereinigten Niederlanden leben, sind nicht so zahlreich wie die lebenden Tiere, die ich genau an diesem Tag in meinem eigenen Mund mit mir herumtrage«, berichtete er. Er zeichnete die Mikroben und schuf damit ein einfaches Bild, das die Mona Lisa der Mikrobiologie wurde. Außerdem studierte er sie in den Mündern anderer Bürger aus Delft: von zwei Frauen, einem achtjährigen Kind und einem alten Mann, der sich angeblich nie die Zähne geputzt hatte. Er setzte den Proben, die er bei sich selbst abgekratzt hatte, sogar Essig zu und beobachtete, wie die Tierlein starben – der erste Bericht über Desinfektion.
Als Leeuwenhoek 1723 im Alter von neunzig Jahren starb, war er zu einem der berühmtesten Mitglieder der Royal Society geworden. Er hinterließ der Gesellschaft ein schwarzes, lackiertes Kästchen, in dem sechsundzwanzig seiner verblüffenden Mikroskope einschließlich der montierten Objekte lagen. Bizarrerweise verschwand die Kiste und tauchte nie wieder auf – ein umso tragischerer Verlust, als Leeuwenhoek niemandem je genau erklärt hatte, wie er seine Instrumente herstellte. In einem Brief beschwerte er sich, die Studenten interessierten sich mehr für Geld oder Ruhm als dafür, »Dinge zu entdecken, welche unseren Blicken verborgen sind«. »Nicht einer unter tausend Männern ist zu solchen Studien in der Lage, denn sie benötigen viel Zeit und man muss viel Geld aufwenden«, klagte er. »Und vor allem sind die meisten Männer nicht neugierig, es zu wissen: Nein, manche zögern nicht einmal zu sagen: Was spielt es schon für eine Rolle, ob ich es weiß oder nicht?«6
Seine Einstellung wäre fast der Tod seines Erbes gewesen. Als andere durch ihre minderwertigen Mikroskope blickten, sahen sie nichts, oder nichts als Produkte ihrer Einbildung. Das Interesse schwand. Als Carl von Linné in den 1730er-Jahren begann, alle Lebensformen zu klassifizieren, fasste er sämtliche Mikroorganismen zu der Gattung Chaos (was so viel wie »formlos«) und dem Stamm Vermes (»Würmer«) zusammen. Nachdem man die Welt der Mikroorganismen entdeckt hatte, sollten noch eineinhalb Jahrhunderte vergehen, bevor man sich daranmachte, sie ernsthaft zu erforschen.
Heute werden Mikroorganismen so häufig mit Schmutz und Krankheit in Verbindung gebracht, dass die meisten Menschen wahrscheinlich angeekelt zurückschrecken würden, wenn man ihnen zeigte, welche Vielfalt allein in ihrem Mund zu Hause ist. Leeuwenhoek hegte diese Abscheu nicht. Tausende von winzigen Dingen? In seinem Trinkwasser? In seinem Mund? Im Mund jedes Menschen? Wie aufregend! Wenn er den Verdacht hatte, dass sie Krankheiten verursachen können, brachte er es in seinen Schriften, in denen er so auffällig auf Spekulationen verzichtete, nicht zum Ausdruck. Andere Gelehrten waren weniger zurückhaltend. Der Wiener Arzt Marcus Plenciz behauptete 1762, mikroskopisch kleine Lebewesen könnten Krankheiten verursachen, weil sie sich im Körper vermehren und durch die Luft verbreiten. »Jede Krankheit hat ihren Organismus«, schrieb er weitsichtig. Leider hatte er für seine Behauptungen keine Belege, und deshalb konnte er auch andere nicht davon überzeugen, dass diese unbedeutenden Lebewesen eine Bedeutung haben. »Ich werde keine Zeit mit der Bemühung vergeuden, diese absurden Hypothesen zu widerlegen«, schrieb ein Kritiker.7
Das alles änderte sich erst Mitte des 19. Jahrhunderts durch den anmaßenden und streitlustigen französischen Chemiker Louis Pasteur.8 Er konnte kurz hintereinander